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Kolumnen

Hartz IV und Minijobs geben kein Vorbild

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Mittlerweile will auch Frankreich das deutsche Rezept der vorangegangenen Jahre übernehmen. Lohnzurückhaltung, Hartz IV und Minijobs sollen Beschäftigung schaffen: Ein Rezept, das sich als Irrweg entpuppen wird. (Foto: dpa)

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Nun ist es also auch wissenschaftlich bestätigt, was ich in meiner Kolumne wiederholt geschrieben habe: Den Hartz-Reformen haben die Deutschen nichts Gutes zu verdanken. Diejenigen, die davon betroffen sind, wissen es aus eigener Erfahrung. Aber diejenigen, die uns die Reformen eingebrockt haben, wollen davon bis heute nichts hören. Im Gegenteil, Angela Merkel will mit den gleichen Mitteln jetzt auch noch die Krisen-Staaten Südeuropas malträtieren. Und Frankreichs Präsident François Hollande hat Peter Hartz persönlich in den Élysée-Palast bestellt, um sich von ihm in die Geheimnisse der Leiharbeit, Mini-Jobs und Ich-AGs einweihen zu lassen.

Doch statt mit Hartz zu parlieren, sollten Hollande und seine Beamten lieber das lesen, was die Wirtschaftswissenschaftler Christian Dustmann, Uta Schönberg (beide University College London), Alexandra Spitz-Oener (Humboldt Universität) und Bernd Fitzenberger (Universität Freiburg) in ihrem Papier „From Sick Man of Europe to Economic Superstar: Germany’s Resurgent Economy. Journal of Economic Perspectives“ geschrieben haben. Denn in diesem Papier entzaubern sie die Hartz-Reformen, wie der von der Nachricht selbst überraschte „Spiegel“ berichtet. Minijobs und Jobcenter hätten demnach eigentlich gar nichts gebracht.

So weit, so richtig. Ansonsten aber geben sich die Autoren als gelehrsame Schüler jenes menschenverachtenden Neoliberalismus zu erkennen, der selbst die haarsträubendsten gesellschaftlichen Verwerfungen gutheißt, wenn er nur Banken und Konzernen satte Gewinne, den Aktionären hohe Dividenden und den Vorständen exorbitante Gagen garantiert. Der Arbeitnehmer soll malochen, bescheiden sein und die Klappe halten.

Arbeitslose in Madrid

Kassandrarufe ertönten bereits in den 80er-Jahren

So beschreiben die Autoren die seit Mitte der neunziger Jahre sinkenden Realeinkommen als das Ergebnis eines Vernunft-Paktes zwischen Unternehmen und Gewerkschaften, die sich aufgrund der Umstände gerne auch auf den Verzicht auf Lohnerhöhungen verständigt hätten. Auf diese Weise seien nämlich die Lohnstückkosten „flächendeckend über alle Industriezweige“ gesunken, was die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Exportindustrie langfristig deutlich verbessert habe.

Fast jeder Deutsche glaubt heute an dieses Märchen, dass die Arbeitnehmer auf Einkommenszuwächse verzichten müssen, damit die Unternehmen ihre Produkte im Ausland verkaufen können. Dabei machen die Löhne nur einen Teil der Arbeitskosten aus, die andere sind die technischen Herstellungskosten.

Seit eh und je ist die deutsche Wirtschaft dank ihrer Ingenieurskunst ein Innovationstreiber gewesen. Vor allem in den Bereichen Maschinenbau und Elektronik konnte ihnen niemand etwas vormachen. Weil das so ist, erzielten deutsche Unternehmen auch zu Zeiten Exporterfolge, als sie ihre Arbeiter noch gut bezahlt hatten. So schrieb der Spiegel etwa im Dezember 1981:

„Während Wirtschaftspolitiker noch klagen, sie könnten die teure Ölrechnung nicht mehr bezahlen; während Verbandslobbyisten lärmen, die faulen Deutschen hätten an Wettbewerbskraft eingebüßt, und während Wirtschaftsforscher dem Volk eine böse Zukunft weissagen – währenddessen ist die gescholtene Nation längst dabei, es den anderen wieder einmal zu zeigen.

Mitten in einer weltweit grassierenden Wirtschaftskrise sind die Deutschen ihren Konkurrenten im Export abermals davongelaufen. (…) Alle berichten sie von kräftigen Zuwachsraten im Export: Autofirmen wie Daimler-Benz und BMW, Maschinenbaukonzerne wie die Gutehoffnungshütte oder Klöckner, die Elektrokonzerne Bosch und Siemens, die Chemiemultis Hoechst, Bayer und BASF, die Deutsche Airbus GmbH und sogar die deutsche Agrarwirtschaft.

In den ersten drei Vierteljahren 1981 rollten allein Nahrungs- und Genussmittel für über 18 Milliarden Mark aus dem Industrieland Deutschland über die Grenzen, vier Milliarden Mark oder 27 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Deutschen sind damit zum viertgrößten Agrarexporteur unter allen Nationen geworden.“

Ohne Inlandsnachfrage gehen auf Dauer die Lichter aus

Doch als nach 1990 durch den Untergang des Kommunismus keinerlei Schranken mehr für die kapitalistische Gier gab, zögerten die Vorstände keine Sekunde mit der Verlagerung ganzer Wirtschaftszweige und damit von Millionen Arbeitsplätzen ins Ausland. Mit dem Arbeitsplatz-Argument erpressten sie die Gewerkschaften und die Politik. Die einen sollten die Löhne drücken und Streiks verhindern, die anderen die Steuern senken und stattdessen reichlich Subventionen aus dem Steueraufkommen der Arbeitnehmer zahlen, denen sie wiederum drohten: Ihr Arbeitnehmer müsst verzichten, wenn ihr eure Jobs retten wollt.

Die deutsche Wirtschaft startete einen unvergleichlichen Raubbau bei den Einkommen der Arbeitnehmer. In der Folge sank die Inlandsnachfrage auf historische Tiefstände. Weil die Deutschen weniger verdienten, konnten sie sich auch nicht mehr so viel kaufen. In den sechziger und siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts war die durch hohe Lohnsteigerungen stabile Inlandsnachfrage eine wichtige Stütze der deutschen Wirtschaft.

Dieses Ungleichgewicht hat wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen. Erstens begibt sich eine Wirtschaft in die gefährliche Abhängigkeit von der Auslandsnachfrage. Zweitens zerstört sie damit die innere Balance der Gesellschaft, weil sie den Wohlstand der Masse zugunsten einer kleinen Gruppe der Vermögenden mindert. Das Ergebnis sind Minijobs, Niedriglöhne und Altersarmut. Und was heißt das politisch? Auf Dauer zerstört eine ständig wachsende Ungleichheit auch die stärkste Demokratie.