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Gesellschaft

Hass verdient keine Toleranz

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Die Macher des islamfeindlichen Schmähfilms spekulierten gezielt auf Gewaltausbrüche. Ein zivilisierter Rechtsstaat sollte dafür sorgen, dass sie damit nicht durchkommen. (Foto: reuters)

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Hass verdient keine Toleranz
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Von Mümtaz’er Türköne*

Dass der Kurzfilm „Innocence of Muslims“ einzig zu dem Zweck produziert wurde, die Muslime zu provozieren, ist offensichtlich.

Jedes einzelne Detail des Films, angefangen von den Sponsoren über das Drehbuch bis hin zu den Schauspielern, verdeutlicht, dass er ausschließlich gedreht wurde, um Muslime zu massiven Protesten anzustiften. Der Filmproduzent ist mitverantwortlich für die unzähligen öffentlichen Mordaufrufe, die im Zuge der Proteste erfolgten. Aus diesem Grund sollte er wegen Anstiftung zu Mord am US-Botschafter in Libyen angeklagt werden. Die USA werden nicht locker lassen, bis die Tat vollständig aufgeklärt ist.

Wir können uns so sicher sein, dass es sich um eine absichtliche Provokation handelt, gerade weil die Soziologie und Sozialpsychologie der muslimischen Welt allseits bekannt ist. Es ist kein Geheimnis, dass es in Teilen der muslimischen Welt schon seit Salman Rushdies Buch „Die Satanischen Verse“ auf Beleidigungen gegen den Islam, den Propheten und seine Heiliges Buch zu heftigen Reaktionen kommt. Die jüngste Karikatur-Krise und die Koranverbrennungen sind Beispiele dafür, wie einige Muslime auf derartige Kränkungen reagieren. Somit braucht es keine hellseherischen Fähigkeiten, um erahnen zu können, wie die muslimische Welt auch in Zukunft auf solche Beleidigungen wohl reagieren wird. Und jeder, der Tumult und Chaos rund um den Globus anstiften will, wird deshalb weiterhin fließbandartig Beleidigungen produzieren und über die Medien verbreiten.

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan schlägt vor, solche gewalttätigen Reaktionen gar nicht erst aufkommen zu lassen. Beleidigungen gegen heilige Werte aller Religionen, nicht nur jene des Islam, sollten als Hassverbrechen behandelt werden. Wenn Muslime sich dessen bewusst sind, dass künftig ein US-Bundesstaatsanwalt bei ähnlichen Beleidigungen eine Untersuchung durchführen wird, wird kein US-Personal oder -Grundstück mehr massiver Gewalt ausgesetzt sein. Respekt und Fingerspitzengefühl seitens der Behörden werden gewiss ausreichen, um die muslimische Welt zu beruhigen.

Die Einfachheit der Lösung ist in der Natur des Problems zu suchen. Die Quelle der Gewalt liegt nämlich nicht in der religiösen Sensibilität dieser Menschen. Vielmehr sind diese Gesellschaften gewohnt, sich auf diese Art und Weise auszudrücken und sich Gehör zu verschaffen. Wie sonst ist zu erklären, dass diese Art von Gewaltausbrüchen in Libyen oder Afghanistan vorzufinden sind, nicht aber in Indonesien, Ägypten oder der Türkei? Die Menschen in diesen Ländern sind auch sehr fromm und genauso sensibel, wenn es um ihre heiligen Werte geht. Doch keiner von ihnen greift zur Gewalt. Keiner von ihnen vergießt Blut im Namen des Islam.

Der Zusammenhang zwischen Islam und Gewalt ist sehr oberflächlich. Das Fehlen einer signifikanten Korrelation zwischen der Gewalt in diesen Gesellschaften und den grundsätzlichen Lehren des Islam ist der Beweis dafür, dass die Religion nicht die Quelle der Gewalt sein kann. Ganz im Gegenteil. Muslimische Gelehrte rund um den Globus haben diese Gewalt verurteilt und die Gläubigen dazu aufgerufen, ihren Unmut friedlich auszudrücken. Gewalt kann keine religiöse Rechtfertigung haben!

Um die Gewalt in diesen Ländern nachvollziehen zu können, genügt ein Blick in die Geschichte und das soziale und politische Leben dieser Länder. Wenn die Menschen einmal auf Gewalt und Blutvergießen zurückgreifen, um ein Problem zu lösen, versuchen sie es beim nächsten und übernächsten Mal auf dieselbe Art und Weise. Libyen ist das jüngste Beispiel hierfür; in Afghanistan ist Gewalt seit über drei Jahrzehnten allgegenwärtig.
Es gibt keine andere Erklärung dafür, warum die Tendenz, zur Gewalt zu greifen, in demokratischeren Ländern nachweislich sinkt. Die Gewalt in den muslimischen Ländern wird nicht durch den Islam erzeugt. Sie ist ein Nebenprodukt bestimmter Erfahrungen dieser Gesellschaften und der äußerst repressiven Umgebungen, in denen diese Menschen leben.

Daher wäre der Vorschlag des Ministerpräsidenten, Beleidigungen gegen den Islam als Hassverbrechen einzuordnen, eine Ohrfeige für all diejenigen, die es einzig auf Provokation anlegen und auch für verirrte Muslime, die nur einen Vorwand für ihre abscheulichen Taten suchen. Die Einführung solch einer Verbrechenskategorie wird wesentlich zu einer Imageaufbesserung des Westens in der islamischen Welt beitragen. Das ohnehin ramponierte Bild des Westens hat durch die islamophoben Tendenzen in den letzten Jahren weitere Kratzer abbekommen.

*Mümtaz’er Türköne, geb. 1956 in Istanbul, vollendete 1990 sein Doktorandenstudium an der Politikwissenschaftlichen Fakultät der Universität Ankara und arbeitet jetzt als Autor und Journalist. Er ist Kolumnist der „Zaman“. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht (u.a. Islamismus als politische Ideologie, Türken- und Kurdentum, Modernisierung und Laizismus) und gilt als guter Kenner und Kritiker der politischen Rolle des türkischen Militärs.