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Politik

Hate Speech im türkischen Fernsehen erreicht neue Stufe

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Selbst für Cüneyt Özdemir waren die Worte von Sevda Noyan die reinste Zumutung. Der erfahrene Anchorman setzte dem Interview mit der zuletzt viel kritisierten Noyan ein promptes Ende, als diese sich von ihren heftigen Worten über vermeintliche Regimekritiker nicht distanzieren wollte. Was war im Vorfeld geschehen?

Sevda Noyan, die bis zuletzt nur wenigen ein Begriff gewesen sein dürfte, war Anfang Mai zu Gast bei „Ülke TV“ und der Sendung „Arafta Sorular“, die von Esra Elönü moderiert wird. Der Grundtenor der Sendung lautete, dass in der Türkei auch knapp vier Jahre nach dem gescheiterten Putschversuch vom 15. Juli 2016 weiterhin eine Gefahr von den mutmaßlichen Gülen-Anhängern ausgehe. Ülke TV gilt als regierungstreuer Sender, die Regierung beschuldigt die Gülen-Bewegung und ihre Anhänger, für den versuchten Staatsstreich verantwortlich zu sein.

Sevda Noyan: „Wir wissen was zu tun ist“

Interessant ist die Sendung vor dem Hintergrund der schwelenden Diskussion um angeblich bevorstehende Umtriebe für einen erneuten Putsch. Zwar sind es in erster Linie Verschwörungstheoretiker, die seit einigen Wochen vermehrt von einem möglichen neuen Putsch gegen den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan sprechen, doch hat es diese Diskussion tatsächlich ins Fernsehen und in die Politik geschafft. Dass diese und ähnliche Theorien unter anderem von Mafiabossen wie Sedat Peker und Alaattin Çakıcı angeheizt werden, verwundert nicht. Auch nicht, dass diese fragwürdigen Personen so eng mit Vertretern der Regierungskoalition zwischen der AKP und MHP verzahnt sind. Doch dass eine Sevda Noyan im türkischen Fernsehen auftritt und davon spricht, dass bei einem neuen möglichen Putsch sie und ihre „Sippe“ genau wüssten, was zu tun sei, schockiert dennoch und bleibt darüber hinaus völlig unbestraft.

Cüneyt Özdemir stellt Sevda Noyan wegen Hate Speech zur Rede

Der beliebte Fernsehmoderator Cüneyt Özdemir fragte in einem Video-Interview via Internet Sevda Noyan, was genau sie eigentlich meinte. Denn Noyan, die als Schriftstellerin und Aktivistin vorgestellt wurde, hatte bei Ülke TV Folgendes gesagt: „Meine Familie, die Noyans, sind bereit. Unsere Familie würde um die 50 Personen [in der Nachbarschaft] von der Bildfläche verschwinden lassen. Wir sind bestens vorbereitet. Das will ich mal gesagt haben. Sowohl finanziell als auch spirituell“. Außerdem habe Noyan bereits eine Liste mit Personen aus ihrer direkten Nachbarschaft erstellt, von denen sie wüsste, dass sie zur sogenannten „FETÖ“ gehören. Mit „FETÖ“ werden seit dem gescheiterten Putschversuch 2016 vermeintliche und tatsächliche Anhänger des in der Türkei umstrittenen islamischen Gelehrten Fethullah Gülen bezeichnet. Die türkische Regierung, ihr inoffizieller Koalitionspartner MHP und die Opposition sehen hinter der Bewegung des Predigers den Urheber hinter dem Putschversuch. Belege, um die internationale Gemeinschaft von dieser These zu überzeugen, bleiben Vertreter der türkischen Regierung sowie Opposition jedoch bislang schuldig. Es bleibt zumeist bei vagen Anschuldigungen.

„Besitzen Sie eine Waffe, Frau Noyan?“

Sichtlich entsetzt von den Ausführungen Noyans, fragte Özdemir, ob sie eine Waffe besäße. Dies verneinte Noyan und beteuerte, dass sie das auch nicht so gemeint habe. Es sei die Rede von Selbstverteidigung und da würde sie zur Not zum Messer greifen. Eine Distanzierung oder Reue war keinesfalls zu erkennen. Stattdessen sagte Noyan, dass sie die mutmaßlichen Gülenisten aus ihrer Nachbarschaft an ihren Fahrzeugen erkennen würde. Als die Skurrilitäten Noyans kein Ende zu nehmen schienen, beendete Özdemir das Interview. Bislang sind keine Ermittlungen gegen Sevda Noyan eingeleitet worden. Einzig ihre Familie kündigte an, Anzeige wegen Beleidigung und Rufschädigung zu erstatten. Ihr Aufruf zu Hass und Gewalt scheint also juristisch ohne Folgen zu bleiben. Immerhin distanzierte sich mittlerweile auch Ülke TV von ihren Aussagen.

„Wie wollt ihr eure Frauen und Kinder vor uns schützen?“

Kurz nach Noyan trat eine weitere Figur auf die Bühne, deren Äußerungen in eine ähnliche Richtung gingen. In einer Videobotschaft stellte der inzwischen offen fanatisch auftretende Regierungsanhänger und sich als Journalist bezeichnende Fatih Tezcan seinen geballten Hass zur Schau und kannte dabei keinerlei Grenzen. Darin spricht Tezcan von Mordplänen gegen den türkischen Präsidenten und meint, dass er und seine Gleichgesinnten das niemals zulassen würden. „Wisst ihr überhaupt, wen wir alles mitnehmen werden, wenn wir nochmal auf die Straßen gehen; wisst ihr von den Listen? Wie wollt ihr eure Familien schützen? Wie wollt ihr eure Ehefrauen, eure Kinder vor uns beschützen? Wenn nur ein Finger von Erdoğan bluten sollte, würde in diesem Land das Blut von Millionen fließen“, so Tezcan. Anders als bei Sevda Noyan hat die Staatsanwaltschaft von Istanbul gegen Tezcan nun Ermittlungen wegen Aufrufs zur Gewalt und Volksverhetzung eingeleitet.

Welche echten Konsequenzen er nun befürchten muss, ist noch unklar. Im Gegensatz zu Tezcan sitzen Journalisten wie Ahmet Altan und Personen wie Osman Kavala noch immer im Gefängnis, obwohl sie niemals annähernde Aussagen von sich gegeben haben.

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