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Politik

Helmut Schmidt, die Türken und der Koran

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Helmut Schmidt ist heute gestorben. Die Deutschtürken hatten ein ambivalentes Verhältnis zu ihm, dennoch muss man um einen großen Elder Statesman trauern. Ein Nachruf.

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Helmut Schmidt ist gestorben. Am 23. Dezember wäre er 97 geworden.

Jüngere Generationen werden ihn als den rauchenden alten Mann in Erinnerung behalten. Diejenigen, die etwas belesen sind, als Zeit-Autoren und gefragten Zeitzeugen, der kühl und belesen das Weltgeschehen kommentierte. Der manchmal arrogant wirkte.

Einmal antwortete er auf die Frage, ob er sich, nachdem er so viele Artikel verfasst hat, mittlerweile als Journalist fühle, mit einem kurzen ’Nein’. Denn: „Für einen Journalisten fühle ich mich nicht oberflächlich genug.“ Einmal bezeichnete er den Papst Johannes Paul II. als einen guten Menschen, aber intellektuell ein bisschen beschränkt.

Helmut Schmidt wurde am 23. Dezember 1918 in der damals erst wenige Wochen alten Weimarer Republik geboren, hat das Dritte Reich und die Bundesrepublik erlebt. Er machte Karriere als SPD-Politiker. Die Sturmflut im Jahr 1962 und sein Handeln als Krisenmanager brachten ihm Bekanntheit und Popularität.

Von 1974 bis 1982 war er der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland.

Helmut Schmidt war der erste Bundeskanzler, den ich in Deutschland erlebt habe. Als wir von meinem Vater nach Deutschland geholt wurden, war er an der Macht. Auf ihn folgte Kohl, der auch Helmut hieß. Als Kind dachte ich deshalb, Helmut sei wohl die deutsche Amtsbezeichnung.

Helmut Schmidt war ein Sozialdemokrat, aber obwohl die SPD unter den Deutschtürken immer die stärkste Partei war, kann man nicht behaupten, dass er unter den türkeistämmigen Menschen in Deutschland große Popularität genoss. Dazu war er zu kühl, zu distanziert gegenüber diesen Migranten. Man wusste von ihm, dass er die Anwerbung türkeistämmiger Gastarbeiter nach Deutschland für einen Fehler hielt.

Auch das Gesetz zur Rückkehrförderung für türkische Gastarbeiter, das 1983 erlassen wurde und durch das ich einen Nachbarsjungen aus meinem Leben verloren habe, fiel zwar in die Amtszeit Helmut Kohls, entworfen wurde es jedoch in Schmidts Amtszeit. Nur das Abspringen der FDP aus der sozial-liberalen Koalition 1982 und ihr Zusammengehen mit den Christdemokraten führten dazu, dass Bundeskanzler Kohl es umzusetzen hatte.

Trotzdem, mit seiner Art, mit seiner Eigenwilligkeit war Helmut Schmidt auch sympathisch. Hier einige seiner Ansichten zu verschiedenen Themen der deutsch-türkischen Gesellschaft:

Integration:

Als er 1974 das Bundeskanzleramt von Willy Brandt übernahm, lebten in Deutschland dreieinhalb Millionen Ausländer, die Hälfte davon Türken. Er habe schon damals gesehen, schrieb Schmidt, dass die Deutschen die Türken nicht integrieren konnten. Denn beide Seiten hätten das nicht gewollt, seien dazu auch nicht in der Lage gewesen. Für Integration hätten die Deutschen laut Schmidt den Türken ihre Herzen öffnen müssen. Das hätten sie aber nicht gemacht, wollten sie nicht machen. Die Deutschen hätten nicht verstanden, dass die Ausländer hier bleiben werden. Damit die Ausländerfeindlichkeit nicht weiter steigt, habe er in Erwägung gezogen, allmählich die Grenzen zu schließen.

Döner:

„Wenn sie irgendwo Gast sind müssen sie das essen, was auf den Tisch kommt. Aber von mir aus habe ich in meinem Leben nie einen Döner bestellt. Heute ernähre ich mich neben ein wenig Obst von Kaffee und Zigaretten.“

Der Koran:

Zum Koran wollte er in einem Interview keine Stellung beziehen, weil er darüber laut eigener Angabe nicht genug wisse. Er habe vorgehabt, ihn von vorn bis hinten durchzulesen, es aber nicht geschafft. Um sich ernsthaft mit dem Koran zu beschäftigen, brauche man sehr viel Zeit, die er aber nicht gefunden habe.

Glaube an Gott:

„Ich bin nicht religiös. Ich bin auch nicht Atheist. Doch mein Vertrauen an Gott habe ich mit der Zeit verloren. Warum hat er Auschwitz zugelassen?“

Leben nach dem Tod:

„Auch nach dem Tod leben wir weiter. Kein Molekül, keine Energie geht verloren. Wir leben in einer Pflanze, in einer Biene weiter, die auf einer Blüte schnuppert.“

In diesem Sinne, möge er in Frieden ruhen.