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Kolumnen

Herfried Münkler und „Die neuen Deutschen“: Der Anti-Sarrazin?

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Die Buchbesprechung von Herfried Münklers neuem Buch in den Nürnberger Nachrichten vom 19. September erweckt den Eindruck, dass dem Professor der Humboldt-Universität ein menschenfreundliches Statement in Zeiten der Flüchtlingskrise gelungen sei. Zusammen mit seiner Frau, Marina Münkler, verfasst der Autor für den Rowohlt-Verlag den Buchtitel „Die neuen Deutschen“. Die Nürnberger Nachrichten loben die „Anti-Sarrazins“. Die beiden Autoren folgen inhaltlich dem Tenor der Arbeitgeberinitiative Neue Soziale Marktwirtschaft, sowie einigen Ministerien, die auf die Anhebung der Bevölkerungszahl mittels Einwanderung zum Erhalt unseres Wohlstands abzielen. In der Tat tut sich eine Rentenlücke auf, wie auch das Aussterben bestimmter Regionen ohne Zuwanderung droht. Das Konzept erhält nur einige gravierende Denkfehler.

Der Grunddenkfehler ist der des Wohlstandserhalts. Dieses Ziel kann nur jemand verfolgen, der ausblendet, wie der vergleichsweise – wenn auch nicht für alle – erreichte hohe Lebensstandard in Deutschland und Europa bzw. insgesamt auf der Nordhalbkugel der Welt zustande gekommen ist. Durch Ausbeutung der Südhalbkugel, durch Ausbeutung der Armen, durch Ausbeutung vor allem der Frauen, wie dies Maria Mies in ihrem Buch „Patriarchat und Kapital“ eindrücklich nachweist. Zudem fließt immer noch mehr Geld von der sogenannten Dritten in die sogenannte Erste Welt, und in Folge dieses Geldflusses die Flüchtlinge, die das Ergebnis von Verarmung (Ressourcenraub), Vertreibung (Landraub) und den Folgen (Krieg) dieser Machtgefälle sind. Korrupte Eliten vor Ort tragen ihren Teil zur Misere bei, aber deren Überwindung wird nur zu häufig von den ehemaligen Kolonialmächten verhindert – der Mord an Lumumba, die Anerkennung Al-Sisis sind nur wenige von unzähligen Beispielen, die Machtgefälle, teile und herrsche, und schließlich die Strukturen purer Ausbeute erhalten.

Nein, dieser sogenannte Wohlstand ist nicht zu halten und darf es auch nicht sein, denn damit wird die Ausbeutung von Mensch und Natur fortgeschrieben – und das können sich weder Natur noch Mensch leisten. Ein menschenfreundlicher Ansatz müsste also auch immer ein naturfreundlicher sein, der jegliche Gewinnmaximierung aus dem Konzept streicht. Alles andere greift zu kurz und entpuppt sich am Ende als weniger menschenfreundlich, als es zunächst gemeint sein könnte.

Der zweite Fehler steckt im Detail, denn wir haben immer die Menschen nach Bedarf ins Land geholt. Damals waren es die kräftigen Arbeiter, die in den Gruben und Stahlwerken zupacken konnten. Der Bedarf hat sich geändert und die Bedürfnisse werden sich wieder ändern. Sprich: Das zielgerichtete Aussuchen von nützlichen Facharbeitern ist immer nur eine zeitlich begrenzte Strategie. Sollen diese Menschen aber auch wirklich ins Sozialsystem integriert werden? Wenn man aktuelle Rhetoriken hört, darf man Zweifel anmelden, dass dieser Pakt langfristig gilt.

Verräterisch ist aber auch das Konzept des Kosten-Nutzen-Kalküls, das ebenfalls durch den Ansatz der beiden Münklers scheint. Denn hier dienen Migranten einem höheren Ziel, was ihr Hiersein legitimieren soll. Das ist vielleicht wirklich gut gemeint, aber es widerspricht den Menschenrechten, in denen es eine Menschenwürde gibt, die nicht erst verdient werden muss. Von einem gleichwertigen Ansatz menschlicher Bedürfnisse und Berechtigungen sind wir damit noch meilenweit entfernt. Und das wiederum bildet eben keinen Unterschied zu Sarrazins Nützlichkeitsthesen, bei denen er den Bevölkerungsgruppen quasi die Existenzberechtigung abspricht, die ökonomisch nicht von Nutzen seien – und nur „Kopftuchmädchen produzieren“.  Spätestens mit der Wahl des Verbs verrät er sein Menschenbild, das einem Tierbild gleicht – wenn wir die Idee von Fleisch- und Lebensmittel-„produktion“ überhaupt zulassen wollen. Während Sarrazin jedoch die Entmenschlichung allein durch seine Wortwahl auf die Spitze treibt, muss man sehr gut aufpassen, ob das so versöhnlich und integrativ erscheinende Bild der einwandernden Menschen – über das man sich in Zeiten von Pegida, CSU und AfD schon freuen mag – wirklich ein gleichwertiges ist. Wer Menschen nach ihrem erklärten Nutzen für die Wirtschaft bewertet, ist noch weit von dieser Gleichwertigkeit entfernt.