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Gesellschaft

„Hilfe, die Türken gehen nicht mehr!“

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Der paranoide Hass auf den Islam, der uns täglich in sozialen Netzwerken genauso begegnet wie in Politikerreden, ist keine neue Erfindung und auch kein Resultat des 11.September, sondern Ausdruck einer europäischen Kontinuität.

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„Hilfe, die Türken gehen nicht mehr!“
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Die Angst vor „dem Islam“ und das Konstruieren von Vorurteilen, Stigmata, Stereotypen sowie die Feindbildpropaganda haben im europäischen Raum eine lange historische Tradition. In Wirklichkeit ist all das Ausdruck eines jahrhundertelangen Kampfes der europäischen weißen Gesellschaft, alles, was mit dem Islam zu tun hat, auszugrenzen und als „anders“, „fremd“ und „bedrohlich“ darzustellen.

Es ist im Verlauf der Geschichte und durch alle Phasen hindurch eindeutig nachweisbar, dass man hierbei explizit im politischen, sozialen, religiösen und kulturellen Kontext nahezu alles ablehnte, was in irgendeiner Weise auf Ursprünge im Islam zurückzuführen ist. Jedweder historische Bezug zur islamischen Welt wurde komplett ausgeblendet und aus der Weltgeschichte verbannt.

Dieser hegemoniale Zugang zur eigenen Identitätsbildung im europäischen Raum führte zu der Trennung in „Orient“ und „Okzident“, um immer wieder aufs Neue aufzuzeigen, wo die Grenzen Europas und seiner Volksgruppen liegen. Der ethnische „Türke“ wurde zu Zeiten des Osmanischen Reiches zum Inbegriff des Islam und zum Feindbild Europas deklariert, das sich auf alle islamischen oder asiatischen Teile sowie den Nahen Osten erstreckt.

Türkenhass spielte schon zur Reformationszeit eine Rolle

Hierzu hat sich Professor Dr. Felix Konrad intensiv mit dem chronologischen Verlauf dieser Entwicklung innerhalb der europäischen Geschichte befasst und in seiner Publikation „Von der ‚Türkengefahr‘ zu Exotismus und Orientalismus: Der Islam als Antithese Europas (1453–1914)?“ hervorragende Arbeit geleistet, aus der ich hier gerne einen kurzen Absatz zitieren möchte: „Martin Luther (1483–1546) setzte den Papst mit „dem Türken“ gleich, indem er Elemente der katholischen und der islamischen Lehre in Analogie setzte. Auch die Reformierten wurden von lutherischer Seite der Affinitäten mit dem Islam bezichtigt. Auf der anderen Seite polemisierten katholische Autoren gegen die Lutheraner als „neue Türken“ oder machten sie für die Erfolge der Osmanen verantwortlich. Ebenso ließen sich individuelle moralische oder andere Verfehlungen „türkifizieren“.

Der religiös-theologische Alteritätsdiskurs, der die Muslime zur Antithese der europäischen Christenheit – oder genauer gesagt der jeweils eigenen Konfessionsgruppe – machte, generierte neue, Identität stiftende Selbstbilder. Das Feindbild „des Türken“ wurde zum integralen Bestandteil der „europäischen Abgrenzungsidentität“.“

Nach dem Anwerbeabkommen mit der Türkei aus dem Jahr 1961 lebte dieses Gedankengut ohne wesentliche Veränderungen wieder auf. Eindeutig lassen sich die historischen Kontinuitäten des dieser Mentalität zu Grunde liegenden Gedankenkonstruktes auch in der Geschichte der türkischen Einwanderung nach Deutschland wiedererkennen sowie in der seit einem Jahrzehnt in der derzeitigen Form geführten Integrationsdebatte.

In einem Beitrag des „Spiegel“ aus dem Jahre 1973, der zum Zeitpunkt des Anwerbestopps publiziert wurde und den Titel „Die Türken kommen – rette sich, wer kann“ trägt, sind anhand des Inhalts desselben exakt dieses starre Denken und die dahinterstehende Intention klar wiederzuerkennen. Spätestens seit Sarrazins Buch ‚Deutschland schafft sich ab‘ kann auch wieder ungeniert Anti-Türken- und Anti-Islam-Propaganda betrieben werden, die an die europäische Tradition anknüpft, mittelalterliche Züge und uralte Ressentiments über den angeblichen „Barbaren“ und die „minderwertigen Muslime“ zu propagieren.

Festklammern an „Leitkultur“

Ersichtlich ist diese Tendenz im heutigen konfliktreichen Diskurs bei einigen Politikern, die meinen, „Multikulti“ wäre „gescheitert“ oder man müsse Einwanderung – vor allem von Türken und Arabern – „bis zur letzten Patrone” bekämpfen. Diese Anti-Propaganda ist fixiert auf die „Türken“, die man wiederum als Ausdruck der „islamischen Gefahr“ definiert.

Auch das Bundesinnenministerium möchte bei der Reproduktion historischer Feindbilder nicht abseits stehen und beteiligt sich an der Stimmungsmache durch bundesweite Plakataktionen zur Suche von „radikalen Muslimen“ und „Checklisten für radikale Muslime“, die in Behörden, Ämtern, Unternehmen etc. geführt werden sollen.

Und am weitesten lehnen sich offen rassistische Projekte wie PI-News, Pro Deutschland oder Pax Europa aus dem Fenster, die nur eine kleine Auswahl von hauptamtlichen Funktionären in der Feindbildpropaganda darstellen und die sich auch gerne von teils tatsächlichen, teils gefakten „Ex-Muslimen“, welche manchmal aus diktatorischen Regimen geflüchtet waren, dabei helfen lassen, durch Hetze und Hass das gewünschte Islambild in der Bevölkerung herzustellen. Die selbsternannten Islamkritiker sind dabei nur der zeitgenössische Aufguss jener weißen europäischen Elitenideologie, in deren Namen seit Jahrhunderten immer wieder versucht wird, Spaltung zu praktizieren, um sich zu distanzieren und an einer europäischen Identität festklammern zu können.

Diese Konfliktstrategie, dieses verbissene Streben nach Festschreibung einer substanzlosen Rang- und Wertigkeitsordnung haben in einer Demokratie, die auf Basis des Gleichheitsgrundsatzes, der Religionsfreiheit sowie der Menschenrechte fußt, einfach nichts verloren.

Die krampfhaften Versuche in Politik und Gesellschaft, eine europäische Identität („Leitkultur“) aufrechtzuerhalten, die weder im reellen Sinne noch mit Blick auf die demografische Entwicklung eine Existenzberechtigung hat, sollen endlich dem Respekt und der Akzeptanz einer Vielfalt an Kulturen weichen, die – im Kontext der Globalisierungsprozesse – ein demokratisches Fundament für künftige Diskussionen auf Augenhöhe ermöglichen sollte.

Mittlerweile sind Türken und türkischstämmige Mitbürger sehr erfolgreich in fast allen Berufen und Branchen als Unternehmer und Arbeitnehmer tätig und haben es innerhalb der letzten 50 Jahre geschafft – davon 40 Jahre ohne Integrationspolitik – sich horizontal und vertikal zu etablieren und beweisen. Diejenigen, die es schwerer haben, denen gilt es unter die Arme zu greifen, dies ist aber kein ethnisches oder türkenspezifisches Problem, sondern das hiesige sozio-kulturelle Defizit, welches immer noch ausgrenzt und nicht gleich behandelt. Eines ist aber sicher, die Türken bleiben und es ist an der Zeit,zumindest diesen Gedanken zu integrieren.

–Wer akzeptiert hat, dass die Welt rund ist, der sollte auch wissen, dass sie bunt ist.–