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Kolumnen

Hizmet-Bewegung braucht Kritik

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Die Gülen-Bewegung braucht Kritik – ohne Frage. Diese muss aber im Geiste einer demokratischen Diskussionskultur erfolgen und darf nicht von einer säkularistischen Fundamentalablehnung inspiriert sein. (Foto: WDR)

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Hizmet-Bewegung braucht Kritik
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Der WDR als Zulieferbetrieb für die vom Verfassungsschutz beobachtete Anti-Muslim-Hetzseite PI-News? Wenn ja, darf man sich auf die Schulter klopfen. Diese Internetseite, die jenen eine Plattform bietet, die irgendwie glauben, mit dem Islam, den Muslimen oder der Türkei ein Problem haben zu müssen, zeigt sich jedenfalls hocherfreut – haben sie und die unvermeidliche Alevitische Gemeinde Deutschland (AABF) doch noch bis kurz vor der Ausstrahlung kräftig Werbung für den Beitrag betrieben. Auf die Frage, wie die Alevitische Gemeinde und PI zu einer Anti-Gülen-Koalition zusammenkommen, haben die Programmmacher von WDR bestimmt auch eine Antwort.

Den Beitrag haben bereits über 50 Nutzer kommentiert, wobei, wie man es von dieser Plattform gewöhnt ist, mangelndes Faktenwissen durch umso größere Meinungsstärke ersetzt wird. Man kennt alles, man weiß alles!

Worum aber geht es? Nun, der WDR hat am Montagabend um 22.00 Uhr eine Doku über die Gülen-Bewegung gesendet. Titel: „Der lange Arm des Imam – Das Netzwerk des Fethullah Gülen“. Kennern und Beobachtern der Entwicklungen und demokratischen Umwälzungen in der Türkei in den letzten Jahren wird die Parallele zum Politikum gewordenen und stark umstrittenen Buch des Journalisten Ahmet Şık nicht entgangen sein. Sein Buch trug den Titel: „Die Armee des Imam.“ Dass Şık im Zusammenhang mit den Ergenekon-Ermittlungen in den Verdacht geriet, das ultranationalistische Netzwerk mitzutragen, wurde natürlich Fethullah Gülen persönlich angelastet – auch wenn dieser nachvollziehbarerweise die Frage aufwarf, welchen Nutzen er davon hätte, wenn ein Buch, das bestenfalls ein paar Tausend Leser erreicht hätte, dadurch Kultstatus erlangen würde.

Antimuslimische Internationale

Sieht man sich die Dokumentation an und liest die Artikel, die für den Beitrag geworben haben und wer sich überhaupt für das Zustandekommen und die Sendung des Beitrags eingesetzt hat, ist man geneigt, von einer antimuslimischen bzw. antiislamischen Internationale zu sprechen. Alle, die den Islam irgendwie für fremd, alles Religiöse für verdächtig halten, die Türkei nicht in Europa sehen wollen, aber auch fundamental-laizistisch eingestellt sind, trifft man dort unter einem Dach – und in einer Reihe mit orthodoxen Rassisten und Neonazis.

Nun gut. Kommen wir zum Kern der Geschichte. Worum geht es in der Dokumentation? Anders gefragt: Was dokumentiert eigentlich die sogenannte Dokumentation „Der lange Arm des Imam“ der beiden Kölner Journalisten Yüksel Uğurlu und Cornelia Uebel? Die Wahrheit über die Gülen-Bewegung? Oder vielmehr die ablehnende Haltung der beiden Macher des Films? Wenn der Film objektiv wäre, hätten für ihn doch nicht von vornherein, und zwar noch vor der Ausstrahlung die üblichen Verdächtigen Werbung gemacht. Oder?

Der Film gibt nicht die Realität der Gülen-Bewegung wieder. Ein neutraler, objektiver Film würde sich auf die Suche nach der Wahrheit machen, und nicht nach den Bildern, die gebraucht werden, um die feststehende Sicht einer selbstgebastelten Wahrheit in Form einer Reportage inszenieren zu können. Ein objektiver Film würde sich nicht auf Kronzeugen berufen, die sowieso hinter jede Ecke eine muslimische Weltverschwörung im öffentlichen Raum sehen, die wahlweise dann auch noch gerne von der CIA, vom Vatikan, von den Zionisten, von den Hochgradfreimaurern, von den formwandelnden Echsenmenschen oder all diesen zusammen gesteuert wird. Auf die Frage, wieso die Organisationsstruktur der Bewegung eine formelle Dimension mit Vereinen und Verbänden und eine informelle mit Sohbets und ehrenamtlichen Arbeitsgruppen hat, gibt sie keine Antwort. Ebenso wenig auf die Frage, warum eine freiheitliche Rechtsordnung so fremdartige Dinge wie Versammlungs- oder Vertragsfreiheit vorsieht.

Gülen-Bewegung braucht Kritik, aber nicht solche!

Dieser Film reflektiert vielmehr die ablehnende, vorurteilsbeladene Einstellung seiner Macher und Unterstützer. In dem Film heißt es zum Beispiel: „Der Prophet ist aus der Ferne zu einem Mythos geworden.“ Gemeint ist hier Fethullah Gülen. Wann hat sich aber Gülen als Prophet bezeichnet? Oder haben ihn seine Anhänger zum Propheten auserkoren? Das ist aus Sicht der islamischen Theologie ein inakzeptabler Vergleich. Ein(e) muslimische(r) Theologe oder Theologin hätte den Programmverantwortlichen bei der Recherche gut getan.

Oder die Behauptung, Fethullah Gülen würde weltweit an einem Ruf als „islamischer Reformator“ arbeiten. Ein einigermaßen guter Kenner der gesellschaftspolitischen Landschaft der Türkei würde wissen, dass Gülen sich an vielen öffentlichen Diskursen erst beteiligt hat, nachdem er von der laizistischen Presse, die sehr oft als willige Handlanger des Militärs handelten, angegriffen wurde.

Ist die Gülen-Bewegung eine Bewegung aus Heiligen und Unfehlbaren? Darf sie überhaupt nicht kritisiert werden? Natürlich nicht. Sie braucht sogar ausdrücklich Kritik. Diese muss aber selbst auf demokratischem Boden stehen und nicht auf totalitärem Geist fußen. Denn fast alle Debatten über Gülen und Gülen-Bewegung haben ihren Ursprung in der Türkei jener Tage, als diese noch ausgeprägte autoritäre Strukturen aufwies und die Militärs das Sagen hatten. Die Programmmacher des WDR übernehmen diese Grundhaltung, ohne sich überhaupt die Frage zu stellen, welchen Schwierigkeiten Muslime unter einer direkten oder im Hintergrund agierenden Militärherrschaft ausgesetzt waren. Dass die Machthaber der deutschen Diktaturen des 20. Jahrhunderts jeweils keine übermenschlichen Anstrengungen aufwenden mussten, um die deutschen Medien gleichzuschalten, ist dabei keine plausible Ausrede für mangelnde Empathie.