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Kolumnen

Angekommen in der Hauptstadt: Der Deutsche Dialogpreis

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Das Ambiente war bescheidener als letztes Jahr, das Hotel näher zum Berliner Hauptbahnhof gelegen als zum Bundeskanzleramt, wie der Beiname nahelegte, umso besser war die Stimmung. Man kann sagen, der Deutsche Dialogpreis ist mit der zweiten Vergabe in der Hauptstadt angekommen.

Mehrere Ursachen trugen dazu bei: der Veranstalter, der Bund Deutscher Dialoginstitutionen (BDDI) hatte ein glückliches Händchen bei der Auswahl der Preisträger bewiesen, die Einspielfilme, in denen die Geehrten porträtiert wurden, „saßen“, die Lobreden waren gut, und schließlich schwang sich der Moderator des Abend nach anfänglicher Nervosität zur Höchstform auf. Derartige Auftritte hätte man gern im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Schließlich, auch ein Hinweis darauf, dass der Preis „angekommen“ ist: die Deutsch-Türken, die Fethullah Gülen nahestehen, sind nicht länger mit einem überschaubaren Freundeskreis unter sich, die Mehrheitsgesellschaft ist neugierig geworden, die breite Zusammensetzung der Abendgesellschaft zeigte dies an.

Die Preisträger

Der Deutsche Dialogpreis 2014 wurde in vier Kategorien vergeben. Für seinen Beitrag zum Interreligiösen Dialog erhielt ihn der katholische Theologe Thomas Lemmen, die Bremer Professorin Yasemin Karakaşoğlu bekam den Preis in der Kategorie ‚Wissenschaft und Bildung‘ zugesprochen, der Rabbiner Tovia Ben-Chorin erhielt ihn für sein Lebenswerk, und schließlich nahm die Frau des Schriftstellers Navid Kermani die Auszeichnung stellvertretend für den vielbeachteten Schriftsteller und Feuilletonisten entgegen. Im Frage- und Antwortspiel mit dem Moderator zeigte Katajun Amirpur, die eine Professur für Islamische Studien in Hamburg innehat, dass sie aus eigenem Recht auf dem Podium war.

Vom Dialog und vom Brückenbau war an diesem Abend oft die Rede – in Anspielung auf Berlin, das mehr Brücken als Venedig hat. Noch weiter ging Ben-Chorin, der ausgehend von den Wunden, die Berlin bis zum heutigen Tage prägen, von einem Wunder sprach und damit das große Projekt des Bethauses in Berlin meinte. In ihm sollen Christen, Muslime und Juden Seite an Seite ihren Glauben praktizieren und in einem Gemeinschaftsbereich in der Mitte des Hauses zum Austausch zusammenfinden. Es war dem Theologen dann auch vorbehalten, für den emotionalen Höhepunkt des Abends zu sorgen, als er einen Singsang anstimmte und den voll besetzten Saal zum Mitmachen aufforderte. Nun ertönten an- und abschwellende Variationen zu dem israelischen Wort „Ruach“, das „Geist“ bedeutet.

Von Karakaşoğlu wird man noch viel hören

Sehr gut beim Publikum kam auch die Bremer Erziehungswissenschaftlerin Karakaşoğlu an, eine Frau mit Herz und Verstand, eine Sympathieträgerin. Kein Wunder, dass sie der Kanzlerkandidat Steinbrück seinerzeit in sein Kompetenzteam aufnahm. Man wird von ihr noch viel hören. Wie nur wenige andere kämpft die gebürtige Wilhelmshavenerin für die Bildungs- und Aufstiegschancen von Einwanderern. Sie hält das deutsche Bildungswesen für nicht durchlässig genug.

Auf die Bedeutung des Dialogs auf der lokalen Ebene, auf die Arbeit vor Ort, hatte zuvor Thomas Lemmen hingewiesen, der im Erzbistum Köln für die Begegnung mit anderen Religionen zuständig ist. Er hat sich als junger Doktorand als einer der ersten Gedanken darüber gemacht, wie die deutsche Gesellschaft der Zukunft, aus Christen und Muslimen bestehend, auf der Ebene des Dialogs funktionieren kann. Eine berufliche Phase, die er als Aufbauhelfer in Nigeria verbrachte, war prägend für sein weiteres Leben, für die Achtung des Anderen.

Nicht zurückschauend, sondern vorwärtsgewandt

Ben-Chorin, das zeigte sich erneut an diesem Abend, ist jederzeit für Überraschungen gut, für unerwartete, überraschende Repliken, die den Zuhörer zum Nachdenken zwingen, mit seinen 78 Jahren vorwärtsgewandt, nicht zurückschauend, ein Freund dieses Landes, ein Glücksfall für Berlin. Auch die eigenen Reihen, in denen es seit einiger Zeit kräftig rumort, wurden bei seinen ironischen Anmerkungen, die das Publikum spontan verstand, nicht ausgespart.

Schließlich Navid Kermani, der leider verhindert war, an diesem gelungen Abend dabei zu sein. Spätestens seit seinem großen Auftritt im Deutschen Bundestag anlässlich des 65-jährigen Bestehens der Bundesrepublik ist er einer breiten Öffentlichkeit bekannt, den Lesern der Feuilletonseiten der großen deutschen Zeitungen schon sehr viel länger. Klarer als andere bekannt er sich zu Deutschland, sieht seine guten Seiten und sagt dies auch. Kermani formuliert aber auch ein Anderssein desjenigen, der dieses Land zu seiner Heimat gemacht hat.