Gesellschaft
Hizmet-Bewegung: „Strukturen und Mentalitäten, die für die Arbeit in Deutschland hinderlich sind“
Seit dem Putschversuch in der Türkei wird auch in Deutschland viel über die Hizmet-Bewegung und den türkischen Prediger Fethullah Gülen berichtet. In ihrem Geburtsland werden ihre tatsächlichen oder vermeintlichen Mitglieder aus dem Staatsdienst entlassen, verfolgt und inhaftiert, weil die AKP-Regierung sie hinter dem gescheiterten Putsch vermutet.
Bildungseinrichtungen und Medien der Bewegung wurden geschlossen oder verstaatlicht. Tausende Anhänger und Unterstützer haben die Türkei verlassen und finden auch in Deutschland Zuflucht, wo die Bewegung seit über 25 Jahren aktiv ist. Knapp drei Monate nach dem gescheiterten Putsch haben sich nun um die 90 Vertreter von 16 Dialog-Vereinen aus der Hizmet-Bewegung in Aschaffenburg getroffen und Bilanz gezogen. „Der gescheiterte Putsch und die Hexenjagd der AKP-Regierung wirken sich natürlich auch auf unsere Arbeit in Deutschland aus“, sagt Kadir Boyacı, Sprecher des Bundes Deutscher Dialog Institutionen (BDDI). Dennoch wolle man die Dialogarbeit fortsetzen und den Kontakt zu allen gesellschaftlichen Gruppen weiter ausbauen so Boyacı.
Während des viertägigen Treffens wurden fast alle Themen besprochen, die in den letzten Monaten Gegenstand der Berichterstattung waren, inklusive der Kritik an der Bewegung, die Frage der Apostasie, die Rolle der Frau in der Bewegung und der Vorwurf der Intransparenz. Vor allem der letzte Punkt war nach fast allen Vorträgen und Workshops Gegenstand von Diskussionen. Vielen Beobachtern und Projektpartnern sei die Trennung zwischen öffentlichen und nicht-öffentlichen Bereichen der Bewegung schwer vermittelbar, sagte ein Teilnehmer.
Hanife Tosun, Vorsitzende des Kölner Dialogvereins iKult e.V., ist täglich diesem und anderen Vorwürfen ausgesetzt. Und das nicht nur von Medienvertretern. Daher sehe sie die BDDI-Tagung als eine gute Gelegenheit, um mit den anderen Teilnehmern über die vergangene Phase höchster Turbulenzen zu sprechen und die richtigen Rückschlüsse daraus zu ziehen: „Einer dieser Rückschlüsse für mich ist, dass wir uns als Bewegung noch stärker lokalisieren müssen. Die Türkei mag als Entstehungsland wichtig sein. Sie hat aber nicht zuletzt durch die aktuelle politische Lage an Bedeutung für uns verloren. Es entsteht gerade so etwas wie ein ‚Hizmet Deutschland‘. Und das ist gut so.“
Kritischer Umgang mit sich selbst notwendig
Tuncay Dinçkal vom Forum für Interkulturellen Dialog e.V. (FID e.V.) beschäftigt ebenfalls die Frage der Intransparenz und die Rolle Gülens für die Bewegung. Der Vorwurf mangelnder Transparenz sei zwar teilweise zutreffend, sagte er, „und das, obwohl Hizmet etwa in Sachen Radikalisierung von Jugendlichen die beste Präventionsarbeit leiste und ein echter Gewinn für Deutschland sein könnte.“ Der Theologe sieht sich von Fethullah Gülen inspiriert und geht dennoch mit den Lehren und Inhalten des Predigers kritisch ins Gericht: „Die Demutstheologie, die mich an Gülen besonders inspiriert, ist für meinen persönlichen Alltag nur im Ansatz richtig, aber das darf auch nicht hemmen, unseren Dienst an die Gesellschaft offensiver anzubieten. Denn wir von Hizmet haben nichts zu verbergen.“
Eine Expertin auf dem Feld der Radikalisierung von muslimischen Jugendlichen ist Sevdanur Özcan. Die erfahrene Jugend- und Familienberaterin sieht nicht nur die Hizmet-Bewegung in der Pflicht, Jugendlichen in Deutschland eine Perspektive zu bieten, damit sie nicht als Dschihadisten nach Syrien oder Irak in den Krieg ziehen: „Radikale Salafisten nutzen das Internet und die sozialen Netzwerke, um muslimische Jugendliche zu gewinnen. An diesem Punkt haben sowohl die muslimischen Verbände, als auch Hizmet bislang versagt“, gibt sie zu bedenken.
Der Direktor des Deutschen Orient-Instituts, Gunter Mulack, empfahl den Teilnehmern, auch nach Wegen des Dialogs mit den Kritikern aus dem AKP-Lager zu suchen. Der erfahrene Diplomat referierte über die 200 Jahre alte gemeinsame deutsch-türkische Geschichte: „Dabei ist Erdoğan nur ein ganz kleines Kapitel.“
Die starke Politisierung der türkischen und deutsch-türkischen Gemeinschaften stellt tatsächlich ein großes Problem dar. Massenverhaftungen und Entlassungen, Inhaftierungen und Exil, Verbote von Medien und Denunziation von Angehörigen haben zur Folge, dass die Bewegung in ihrem Entstehungsland in den Untergrund gehen muss. Die Bewegung ist ab den 1960er-Jahren in einem Umfeld entstanden, das von Militärputschen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen geprägt war. Dabei sind Strukturen und Mentalitäten entstanden, die für die Arbeit in einem demokratischen Land wie Deutschland hinderlich sind. In Deutschland müsse man die Arbeit der Bewegung viel offener darstellen und brauche weder die sogenannten Lichthäuser, noch die religiöse Motivation für die Bildungsarbeit zu verstecken.
Der Blick auf das große Medieninteresse
Auch die Interviews von Zeit und ZDF mit Fethullah Gülen war Thema der Veranstaltung. Das sind nur zwei Beispiele von mehreren Tausend Beiträgen, die seit dem 15. Juli in den deutschen Medien veröffentlicht wurden. Auch wenn Gülen und Hizmet kein Dauerthema an deutschen Stammtischen sind, hat doch die Zahl der Neugierigen enorm zugenommen. Wer ist dieser Mann, der in den USA lebt und sich aus der Ferne gegen die Regierung Erdoğan stellt? Was ist das für eine muslimische Bildungsbewegung, die in über 150 Ländern Schulen baut? „Die Mehrheit der Beiträge war objektiv und reflektiert“, sagt Kadir Boyacı im Rückblick und ergänzt: „Obwohl unsere regionalen Vereine seit Jahren um mediale Aufmerksamkeit ringen, kam es nie zu einer derartigen Resonanz“. Über einen Mangel an medialer Aufmerksamkeit können Hizmet-Anhänger seit dem gescheiterten Putsch wahrlich nicht klagen. Im Gegenteil: „Jetzt ist es ein regelrechter Andrang“, bestätigt auch Hanife Tosun die Einschätzung von Boyacı. „Ich habe mit diesem Interesse nur positive Erfahrung gesammelt. Viele Leute sind zu uns gekommen und haben Interesse an unserer Arbeit bekundet.“ Während viele Menschen den Kontakt zu Journalisten mit einer gewissen Vorsicht genießen, zeigt sich die iKult-Leiterin zuversichtlich: „Ich habe keine Sorge, dass Journalisten mir das Wort im Mund verdrehen.“
Volkan Demirel, ehrenamtlicher Leiter des Vereins Ruhrdialog, hingegen hat nicht nur gute Erfahrungen mit den Medien gesammelt. Er berichtet von einem Beitrag des ARD-Mittagsmagazins, in dem auch er vorkommt, und klagt: „Ich sagte auf eine Frage des Journalisten, ob die Hizmet-Bewegung politischer geworden wäre, dass sie nicht politischer geworden sei, sich aber als Gemeinschaft aufgrund der aktuellen Berichterstattung natürlich auch politischen Fragen stellen müsse.“ Am Ende sei das Gegenteil herausgekommen.
Über den BDDI: Der Bund Deutscher Dialog Institutionen (BDDI) ist eine Plattform, über die sich alle bundesweiten Dialogeinrichtungen der Hizmet-Bewegung vernetzt haben. Sie bietet regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen für Mitgliedsvereine an und stellt interkulturelle Projekte, die in der Hizmet-Bewegung entstehen der breiten Öffentlichkeit dar. Der BDDI verleiht seit 2012 den Deutschen Dialogpreis in verschiedenen Kategorien an Persönlichkeiten und Initiativen, die sich um das friedliche Zusammenleben verdient gemacht haben.