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Politik

„Der imaginäre Feind heißt diesmal ‚Parallelstaat’“

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Bereits im Jahr 2000 sollte dem bedeutenden Islamgelehrten Fethullah Gülen in einem Prozess das Verfolgen staatsfeindlicher Bestrebungen nachgewiesen werden. Ohne jeden Erfolg. Dennoch werden heute die gleichen Vorwürfe erneuert.

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Der türkische Islamgelehrte Fethullah Gülen
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Seit Monaten läuft eine Verleumdungskampagne, die höchstpersönlich von dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdoğan getragen wird. Sie richtet sich gegen den muslimischen Prediger Fethullah Gülen und die Hizmet-Bewegung.

Dass ein Teil der Bevölkerung vom Staat und der herrschenden Klasse systematisch dämonisiert wird, hat Tradition in der Türkei. Mal sind es die Aleviten, mal die Kurden und mal die sunnitischen Muslime. Jedes Mal geht der zentralistische Staat dabei mit antidemokratischen Mitteln vor. Das Besondere an der Bekämpfung der Hizmet-Bewegung durch die AKP-Regierung ist jedoch, dass eine demokratisch legitimierte Regierung auf antidemokratische Methoden zurückgreift: „Am 28. Februar (1997, Anm. d. Red.) hieß der imaginäre Feind ‚islamischer Reaktionismus‘ und momentan heißt der imaginäre Feind eben ‚Parallelstaat‘.“ Diese Worte stammen von Nurullah Albayrak, dem Anwalt von Fethullah Gülen.

Gülen wird von den Regierungskreisen unter anderem vorgeworfen, ein Unterstützer des postmodernen Putsches vom 28. Februar 1997 gewesen zu sein. Trifft das zu?

Fethullah Gülen mit den zivilen Bestandteilen des 28. Februar in Verbindung zu bringen, ist eine schlimme Verleumdung und eine Desinformation. Gülen hat selber unter den Repressalien jener Zeit, in der demokratische Prinzipien und Rechtsstaatlichkeit aufs Äußerste verletzt und unschuldige Menschen in den Medien nahezu gelyncht wurden, enorm gelitten. Gülen war zu jener Zeit eine der Zielpersonen der Putschisten. Ich möchte Sie daran erinnern, dass die Zeitungen Sabah und Star es auf der Titelseite bejubelt hatten, als meinem Mandanten ein Prozess mit der Forderung nach der Todesstrafe gemacht wurde. Das Verfahren gegen meinen Mandanten aus jener Zeit lief über ein Jahrzehnt. Es endete erst am 24. Juni 2008, als der oberste Strafgerichtshof der Türkei, der Kassationshof, ihn als letzte Instanz von allen Vorwürfen freisprach.

1999 begann eine mediale Verleumdungskampagne gegen Gülen. Nach dem 17. Dezember 2013 ist ein ähnliches Bild zu beobachten, als hätte jemand eine Kassette zurückgespult. Sehen Sie Ähnlichkeiten?

Regierungen, die sich nicht dem rechtstaatlichen Handlungsrahmen, also der Verfassung verpflichtet sehen, sind stets auf der Suche nach absoluter Macht, welche es normalerweise nur in Zeiten eines Notstandes geben könnte. Daher erfinden sie imaginäre Feinde und verwenden Methoden der psychologischen Kriegsführung, um die Bevölkerung von der Existenz einer feindlichen Gefahr und der Notwendigkeit derer kompromissloser Bekämpfung zu überzeugen. Unter diesem Deckmantel wird der Rechtsstaat ausgehöhlt.

Leider erleben wir derzeit genau solch eine Situation. Die Bekämpfung eines imaginären Feindes wird als Vorwand dafür verwendet, um illegale Machenschaften zu legitimieren. Während der imaginäre Feind am 28. Februar „islamischer Reaktionismus“ hieß, heißt dieser momentan „Parallelstaat“. In beiden Phasen spielen Akteure, die sich mit der herrschenden Klasse engagiert haben und in geheimdienstliche Strukturen eingebettet sind, die Hauptrollen. Lügen, Verfälschungen und erfundene Geheimdienstberichte werden als Mittel der psychologischen Kriegsführung verwendet. Täglich werden mindestens zehn Falschmeldungen über die regierungsnahen Zeitungen verbreitet und mindestens noch mal so viele über die Fernsehkanäle. Es sind Berichte, die jeglicher journalistischer Ethik fern sind. Ziel des Ganzen ist die Sabotage der Korruptionsermittlungen. Diese sollen im Sand verlaufen.

Was ist die Absicht dahinter?

Durch diese Verleumdungskampagne wird beabsichtigt, das Ansehen Gülens und das der von ihm inspirierten Bewegung zu ruinieren, um somit in der Gesellschaft vollendete Tatsachen zu schaffen und außergerichtlichen Druck auf die Richter auszuüben. Am Ende steht das Ziel, diese Bewegung als eine kriminelle Organisation zu verurteilen. Es ist eine Rufmordkampagne, um den großen gesellschaftlichen Rückhalt der Hizmet-Bewegung zu brechen.

Wie ist das denn möglich?

Es werden Pseudo-Beweise geschaffen. Versuchte Unterwanderung des Staates, illegale Organisation innerhalb des Rechtsapparates – worauf basieren all diese Vorwürfe? Das sind Behauptungen ohne Beweise. Es wird versucht, so scheint es mir, durch eine Lügenkampagne im Bewusstsein der Menschen Bilder zu schaffen, die real nicht existieren. In früheren Stellungnahmen hatte ich versucht, den Ursprung dieser Nachrichten als die „dunklen Korridore Ankaras“ zu beschreiben. Ich habe versucht, eine Struktur darzulegen, die einerseits durch Lügen und Verleumdungen die psychologische Grundlage für einen Prozess vorbereiten und andererseits gefälschte Beweise produzieren soll. Die Äußerungen des TÜBITAK-Vizepräsidenten Dr. Hasan Palaz sind ein Hilfeschrei an den Rechtsstaat und ein Beleg dafür, dass es Versuche gibt, Beweise zu fälschen.

Gülen wird regelmäßig aufgerufen, in die Türkei zurückzukehren. Gibt es rechtliche Hindernisse für seine Rückkehr?

Für eine Rückkehr meines Mandanten in die Türkei gibt es keinerlei rechtliche Hindernisse. Die Reise-und Aufenthaltsfreiheit gilt für meinen Mandanten ebenso wie für jeden anderen Menschen auch. Jemanden aufgrund seines Wohnortes zu verurteilen, ist kein ethisches Verhalten. Außerdem betont Gülen, dass er sich selbst einem für die Türkei notwendigen Selbstexil unterwirft. Wie aufrichtig diejenigen sind, die Gülen nun in die Türkei zurückrufen, haben wir in den vergangen Monaten unmissverständlich gesehen. Sollte basierend auf diesen Lügen eine Anklage erhoben werden, würde dies lediglich auf eine Schmach für unseren Rechtsstaat hinauslaufen. Mehr nicht. Allerdings würde uns eine einseitige Gerichtsbarkeit, die die sich täglich wiederholenden, hasserfüllten Äußerungen übersieht, traurig stimmen. Fethullah Gülen wurde nach einem langen Prozess vom Sonderstrafgerichtshof in Ankara in allen Anklagepunkten freigesprochen. Dieses Urteil wurde von der 9. Kammer des obersten Strafgerichtshofes der Türkei, dem Kassationsgericht (Yargıtay), bestätigt. Rechtlich ist es somit eigentlich nicht mehr möglich, meinen Mandanten erneut aufgrund derselben Vorwürfe anzuklagen.