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Gesellschaft

„Holy Spider“ – Thriller über Frauenmörder und Mutʿa-Ehe im Iran

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Der Film „Holy Spider“ erzählt von einem Frauenmörder im Iran. Mit den Protesten, die seit Monaten im Land aufflammen, hat die Geschichte an Aktualität gewonnen. Was den Thriller interessant macht und welche Einblicke er gewährt.

Manchmal wird eine Geschichte von der Realität eingeholt und damit aktueller als vielleicht geplant. Beim Thriller „Holy Spider“ ist das mit den Protesten im Iran geschehen. Der Film beruft sich auf einen wahren Fall. Regisseur Ali Abbasi erzählt vom sogenannten Spinnenmörder, der Anfang der 2000er Jahre mehrere Sexarbeiterinnen in der iranischen Stadt Maschhad ermordete und überzeugt war, sich dabei auf einer göttlichen Mission zu befinden.

Eine Journalistin will im Film die Mordserie aufklären. Als sie in die Stadt kommt, nimmt sie sich ein Zimmer. Ihre Haare hat sie eher locker mit einem Kopftuch bedeckt. Als der Mann an der Rezeption erfährt, dass sie alleine unterwegs ist, will er ihr das Zimmer nicht vermieten, bis sie ihm ihren Presseausweis zeigt.

„Wenn Sie bitte Ihre Haare bedecken würden?“, sagt der Mann zu ihr. „Das ist meine Sache“, antwortet die Frau. „Aber die Sittenpolizei…“, entgegnet der Mann.

Film schon vor den Protesten gedreht

Wenn der Film am Donnerstag (12. Januar) ins Kino kommt, ist es rund vier Monate her, dass Jina Mahsa Amini im Iran in Polizeigewahrsam gestorben ist. Die iranische Kurdin war von der sogenannten Sittenpolizei wegen Verstoßes gegen geltende islamische Kleidungsvorschriften festgenommen worden. Seither gibt es immer wieder Proteste gegen den repressiven Kurs der Regierung und das islamische Herrschaftssystem.

Als Abbasi seinen neuen Film gedreht hat, war diese Protestwelle noch nicht absehbar. Und die Geschichte, die er erzählt, liegt etliche Jahre zurück. „Holy Spider“ ist eine brisante Auseinandersetzung mit dem Frauenbild im Iran, mit weiblichen Körpern und ihrer Unterdrückung, mit religiösem Überbau und der Frage, wie viel Unterstützung ein Frauenmörder bekommen kann, wenn er in einem System lebt, das Frauen grundsätzlich abwertet.

Der Film ist brutal und geht nahe. Er zeigt Sexszenen und Prostitution, ein Thema, das im Iran noch immer ein Tabu ist. Während sich ein Großteil der jungen Generation heute offen mit Fragen der Sexualität auseinandersetzt, werden Verstöße gegen die islamischen Gesetze immer noch hart bestraft. Sex außerhalb der Ehe ist genauso verboten wie Prostitution. Es gibt keine offiziellen Statistiken, Sexarbeit findet im Verborgenen statt.

Zeitlich begrenzt: Die Mutʿa-Ehe

Während ein monogames Leben für muslimische Frauen heilige Pflicht ist, dürfen schiitische Männer mit Frauen im Iran in sogenannten Zeitehen (Anm. der Redaktion: Mutʿa-Ehe) mehrere Verbindungen eingehen. Über die Dauer, die von einigen Minuten bis zu 99 Jahren betragen kann, wird vorher geredet. Beziehungen können so ohne Sorge vor drakonischen Strafen ausgelebt werden. Auch Sexarbeit soll so über Kontakte vermittelt werden.

Dass es gar nicht so leicht war, ein Ensemble für den Film zu finden, berichtet Regisseur Abbasi im Begleitheft zum Film. Mehdi Bajestani, der den Mörder Saeed spielt, gehe ein großes Karriererisiko ein. „Das westliche Publikum hat keinen Referenzrahmen, wie riskant seine Darstellung ist“, wird Abbasi zitiert, „aber eine Entsprechung wäre ein Hollywoodstar, der einen Pädophilen spielen muss, den man im Film beim Ausleben seiner sexuellen Fantasien sieht“.

Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi, die den Part der Journalistin übernommen hat, wurde in Cannes als beste Darstellerin ausgezeichnet. 2006 hatte sie ihr Land verlassen, nachdem ein Privatvideo in der Öffentlichkeit aufgetaucht war, das sie beim Sex mit ihrem damaligen Freund zeigte. Ebenfalls in „Holy Spider“ zu sehen: Sara Fazilat („Tausend Zeilen“, „Nico“). Der Film ist eine Koproduktion aus Dänemark, Deutschland, Frankreich und Schweden. Für Dänemark soll der Film auch ins Rennen um den Oscar gehen.

„Britney Spears kann man im Bikini tanzen sehen, aber iranischen Frauen wird das Recht abgesprochen, eine Sexualität zu besitzen“

Gedreht wurde nicht im Iran, sondern in Jordanien. Warum der Film eine Bedrohung für Iran sei, wird Abbasi im Begleitheft gefragt. „Es ist nicht so, als hätten wir einen allzu expliziten Film gemacht. Aber es ist einer von wenigen Filmen, die in Iran spielen, die einen gewissen Realismus rüberbringen“, antwortete er. Das iranische Kino leide seit 50 Jahren unter drakonischen Zensurmaßnahmen. Alle Filme, die man sehe, zeigten eine parallele Realität des Landes.

„Fast alle halten sich an ein bestimmtes geschriebenes und ungeschriebenes Regelwerk, selbst Filme, die eine kritische Position zur iranischen Regierung beziehen. Die Tabus, die niemals gebrochen werden in iranischen Filmen, sind Nacktheit, Sex, Drogengebrauch und Prostitution. Und doch gehören sie eindeutig zur Realität der iranischen Gesellschaft. Und sie sind relevant für meine Geschichte, bestimmen die Atmosphäre der Erzählung.“

Er wolle nicht, dass die Menschen seinen Film als einen Botschaftsfilm begriffen, auch wenn Misogynie und Entmenschlichung Themen seien. „Meine Absicht war es, der iranischen Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten.“ Dieser Film sei ebenso ein politisches Statement wie ein erschöpfender Blick auf die Gesellschaft. „Fast jede Familie hat Zugang zu nicht reguliertem Fernsehen, in dem man Britney Spears beim Tanzen in einem Bikini zusehen kann, aber iranischen Frauen wird das Recht abgesprochen, eine Sexualität zu besitzen.“ Außerdem sei es ungerecht, dass die Familien von Saeeds Opfern nur selten erwähnt würden.

dpa/dtj

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