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Film/Kultur/Religion

House of One – Architektur, die Mauern einreißt?

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Das House of One will Muslime, Juden und Christen unter einem Dach vereinen: Gelingt es einer Architektur nicht nur ein Zeichen zu setzen, sondern auch ein Forum für eine friedvolle Gesellschaft zu schaffen?

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Sechs- bis zwanzigstöckige Häuser, weiße Fassaden mit großen Fenstern und Flachdach. Dazwischen alte Bausubstanzen, Häuser aus der Vorkriegszeit, Sandstein und rotes Satteldach. Von einzelnen saftig grünen Bäumen dekoriert, als Abwechslung zum tristen Grau. Motorenlärm von der dreispurigen, viel befahrenen Straße dröhnt in den Ohren. Mitten in den Häuserreihen ein großer Platz, Baustellenschilder und -lichter, große Zelte, Absperrungen aus Spanplatten. Hinter den Spanplatten eine interessante Baustelle für ein noch interessanteres Bauprojekt auf dem Petriplatz an der Gertraudenstraße in Berlin-Mitte.

Gleicher Ort, 800 Jahre früher: 1237 bezeugt eine Urkunde die erste Kirche auf dem Petriplatz und damit die Stadt Cölln. Sie bildet den Ursprungsort der mittelalterlichen Doppelstadt Berlin-Cölln. Ausgrabungen und schriftliche Quellen belegen an diesem Ort vom frühen Mittelalter bis ins Jahr 1964, als die jüngste durch den Zweiten Weltkrieg zur Ruine zerbomte Kirche von der DDR-Regierung gesprengt wurde, fünf verschiedene Petrikirchen. Ab 2006 fanden Archäologen unter den Pflastern Fundamente einer Lateinschule, Reste des Rathauses, Fundamente von drei Petrikirchen, einen Friedhof mit 3.500 Gräbern und 220.000 weitere historische Gegenstände.

An diesem Platz, wo einst Berlin seinen Ursprung fand, wo einst fünf Kirchen standen, soll nun etwas weltweit Einmaliges entstehen: eine Begegnungsarchitektur für den friedlichen Trialog zwischen Juden, Christen und Muslimen. Sie bauen gemeinsam ein Haus, unter dessen Dach sich eine Synagoge, eine Kirche, eine Moschee sowie ein Raum der Begegnung befinden sollen. Das Dach soll die drei Religionen vereinen, für Begegnungen und Austausch sorgen sowie gleichzeitig für Räume, die der jeweils eigenen Religion zum Gebet dienen. Hinzu kommt die Offenheit nach außen, zum alltäglichen Leben, anderen Religionen und Nichtgläubigen. Das House of One soll zu einem Symbol des friedlichen Dialogs werden. Vertreter der drei abrahamitischen Religionen haben es sich zur Aufgabe gemacht, ihr Handeln gemeinsam vor der Gesellschaft zu verantworten.

Synagoge, Kirche und Moschee in einer Begegnungsarchitektur

Der Wettbewerb für einen derartigen Gebäudekomplex wurde im April 2012 weltweit ausgelobt. Den ersten Preis gewann das 2001 gegründete Architekturbüro Kuehn Malvezzi, das auf öffentliche Räume und Ausstellungen spezialisiert ist. Erbaut werden soll das House of One auf dem Grundriss der letzten Petrikirche. Als Stätte für die Ausgrabungen birgt im Untergeschoss eine acht Meter hohe Halle ein archäologisches Feld. Auf diesem historischen Fundament erbaut sich mit spiralförmigen Innentreppen ein 32 Meter hoher Turm gen Himmel. Er wird horizontal durch einen Empfangsbereich, Hygiene- und Büroräume durchbrochen. Über dieser Zwischenebene befindet sich der Raum der Begegnung, ein Veranstaltungssaal für Lesungen, Konzerte und Ausstellungen. Seine Decke schließt mit einer Kuppel, durch deren zentrales Kuppelauge natürliches Licht in den Saal fällt. Das Kuppelauge verbindet allerdings auch als letzte Ebene des Turms den Raum der Begegnung mit einer Stadtloggia mit Blick über Berlin. Ein weiterer Ort der Versammlung und der Meditation.

Vom Raum der Begegnung gehen im 90°-Winkel Wege ab. Einer öffnet sich als langes Fenster hin zur viel befahrenen Gertraudenstraße, die anderen sind die Wege zu den Gebetsräumen. Um den zentralen Raum fächern sich die Religionen und das säkulare Leben wie um den Menschen. In ihm spiegeln sich seine Begegnungen, Unterschiede und Überschneidungen wider. Eigentlich findet in diesem Raum das statt, was täglich auf den Straßen Berlins passiert. Wir begegnen anderen Religionen, andere Lebenseinstellungen. Nur hier findet es nun bewusst statt und bietet Raum für Fragen und Annäherungen. Urbanes und sakrales Leben überschneiden sich und öffnen sich zueinander.

Der Bau soll 43,5 Millionen Euro kosten. Und dieses Geld fehlt. Gerade mal ein Zehntel des Geldes für die erste Bauphase ist bisher eingegangen. Eine Grundsteinlegung war noch nicht möglich. Obwohl Schauspieler wie Adnan Maral (bekannt aus „Türkisch für Anfänger“) und das KulturKaufhaus Dussmann in Videobotschaften zu Spenden aufrufen, stößt es bisher zwar weltweit auf großes Interesse, nicht aber auf große Spendenbereitschaft. Aber warum? Ist das Projekt einfach nicht bekannt genug oder betrachten die Menschen es mit einem kritischen Auge? Ist unsere Gesellschaft oder sind die Gläubigen noch nicht bereit für so ein Projekt? Nicht alle Glaubensgemeinschaften waren bereit sich darauf einzulassen.

Es kostete einige Zeit, bis sich die heutigen Partner – das Abraham Geiger Kolleg, die Evangelische Kirchengemeinde St. Petri-St. Marien, der Evangelische Kirchenkreis Berlin-Stadtmitte, das Forum für Interkulturellen Dialog e.V., die Jüdische Gemeinde zu Berlin und das Land Berlin – gefunden hatten. Und sollte das House of One schließlich gebaut werden können, gelingt es dann dieser Architektur nicht nur ein Zeichen zu setzen, sondern auch ein Forum für eine friedvolle Gesellschaft zu schaffen? Kriege und Terror finden nach wie vor im Namen der Religionen statt. Die Angst vor dem Islam ist seit dem 11. September 2001 gestiegen. Der abnehmende Einfluss der Kirche spiegelt sich in den Zahlen der Kirchenaustritte. Jährlich treten 50.000 Menschen aus, 2014 waren nur noch 57,4 % der Deutschen Bevölkerung in der Kirche, in Berlin sogar nur 27,2 %. Kann eine sakrale Architektur Menschen, die sich in den Religionen nicht beheimatet fühlen, überhaupt erreichen?

Die große Herausforderung, die verschiedenen Bedürfnisse miteinander zu vereinbaren

In der evangelischen Kirchengemeinde St. Petri-St. Marien wurde lange über den Nutzen des Platzes diskutiert. Der Ort soll angesichts seiner Geschichte seine religiöse Widmung behalten, sich aber auch einer pluralistischen Gesellschaft zuwenden. Mit Blick auf Berlin und seine Geschichte lag es dabei regelrecht auf der Hand, Christen, Juden und Muslime zusammenarbeiten zu lassen. Sie sehen sich als Minderheiten und dennoch als Impulsgeber innerhalb der Gesellschaft Berlins. Die Offenheit des Baus mitten in der Stadt soll auch nicht religiösen Menschen einen Zugang ermöglichen. Die Fassadengestaltung aus gelbem Backstein, die auf jegliche religiösen Symbole verzichtet, spricht dieselbe Sprache. Das Gebäude passt sich in seinem Erscheinungsbild und seiner Offenheit der Umgebung an. Aber nicht nur die Vereinbarung mit dem Umfeld stellt eine große Herausforderung dar. Die Entwürfe wurden mehrere Male angepasst und überarbeitet. Die Bedürfnisse der drei Religionen zu befriedigen, verlangte den Architekten viel Verständnis, Wissen und Feingefühl ab. Da Juden, Christen und Muslime unter einem Dach Gottesdienst feiern wollen, soll der neue Bau auch die Aura eines Sakralbaus ausstrahlen. Gleichzeitig darf er aber nach außen nicht wie eine Kirche, Synagoge oder wie eine Moschee wirken – er muss für alle drei Religionen gleichwertig sein. Aus dem sakralen Bereich gibt kein architektonisches Vorbild für den Bau. Daher besteht die Gefahr, dass er als ein modernes Museumsgebäude wahrgenommen werden könnte.

Im Innern jedoch werden die jeweiligen Bethäuser ihren individuellen Bedürfnissen angepasst: die Moschee muss in Richtung Mekka, die Synagoge in Richtung Jerusalem ausgerichtet sein. Das Gebäude soll direkt auf den Grundriss der letzten Petrikirche gebaut werden. Die massiven Fundamente sind noch tragfähig, die richtigen Maßstäbe der alten Kirche sollen wieder erlebbar gemacht werden. Der neue Bau erhält nicht nur die religiöse Widmung des Ortes, er spannt auch einen Bogen zwischen den archäologischen Funden und der darauf aufbauenden Zukunft, die die Gesellschaft ändern soll. Außerdem müssen die einzelnen Räume Platz für die jeweiligen Rituale bieten. In der Synagoge benötigen die Gläubigen Raum im Dach des Gotteshauses für das Laubhüttenfest, die Muslime wollen einen quadratischen Raum, damit möglichst vielen das gemeinsame Beten ermöglicht wird. Ein verbindender Begegnungsraum soll in der Tradition eines Lehrhauses stehen. Es gibt eine gemeinsame Bibliothek, aber auch ein Café macht Begegnungen unumgänglich.

Wünschenswert wäre eine Öffnung der Gebetsräume zum Begegnungsraum, um ein großes Gotteshaus für gemeinsame Veranstaltungen zu haben. Doch Schiebetüren oder andere technische Einbauten könnten die Ästhetik und den sakralen Charakter der Gebetshäuser stören. Insofern bleiben die Mauern zwischen den Religionen dann doch ein Stück weit bestehen. Allerdings ist es auch nicht der Gedanke des Hauses, die drei Religionen zu vermischen und den eigenen Glauben zu verwässern oder gar aufzugeben, im Vordergrund steht die Verständigung der Religionen. Dass das gemeinsame und gleichzeitige Nutzen der Räumlichkeiten in Frieden möglich ist. Die Architektur ermöglicht eine parallele Nutzung ohne Einschränkung. Dafür wurde bereits ein gemeinsamer liturgischer Festkalender erstellt. Durch die im Vergleich zum gregorianischen Kalender kürzeren jüdischen und muslimischen Kalender verschieben sich die Feiertage und werden in bestimmten Jahren aufeinander fallen. Außerdem wird das Gebäude täglich von 9 – 19 Uhr für „sakralraumpädagogische“ Führungen und für das stille Gebet geöffnet sein. In Vorbereitung sind auch weiterführende Themen wie Alltagsfragen in den Bereichen Familie, Partnerschaft, Erziehung, medizinethische Probleme und Begräbniskultur, die diskutiert werden sollen.

Ein besonders schönes verbindendes Element ist das Licht. In allen drei Religionen sieht man im Licht eine Kraft Gottes. Bei der Schöpfung der Erde, Gott als Licht, das aus der Finsternis führt, Allah als Licht, funkelnd wie ein Stern. Die Architektur soll daher mit dem Tageslicht im Raum zusammenwirken und für eine sakrale Atmosphäre sorgen.

Die Entwürfe wurden viele Male verändert, um den Bedürfnissen der Religionen, der Stadt und dem Wunsch nach Offenheit nachzukommen. Allein bis zu den Entwürfen kamen sich die drei Religionen näher, sprachen darüber, wie die religiösen Praktiken und Glaubensinhalte in die Entwürfe integrierbar sind. Damit haben sie bereits ein Forum des Austauschs unter den drei Religionen geschaffen. Doch der Bau soll auch von der sonstigen Bevölkerung, von der Umgebung angenommen werden. Dieser Spagat spiegelt sich in der Architektur: das massive Gemäuer, das Spiel mit natürlichem Licht, der hohe zentrale Turm strahlen eine sakrale Aura aus. Gleichzeitig zieren weder Fassade noch Gebetshäuser irgendwelche religiösen Symbole. Damit entscheidet sich die Architektur dafür, keine klaren Aussagen über ihre Funktion nach außen hin zu verraten und öffnet sich Menschen, die von diesen Symbolen abgeschreckt werden könnten. Dennoch werden Menschen, die von vornherein einen Dialog zwischen oder mit den Religionen ablehnen, hier vielleicht kaum anzutreffen sein. Aber diese Architektur dient denjenigen, die offen für andere Ansichten sind, voneinander lernen und ein Zeichen für den Frieden setzen wollen.