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Gesellschaft

Eine ertragreiche Ernte

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Kürzlich fand die Vortragsreihe „An welchen Gott wir glauben“ im House of One Berlin ihren Abschluss. Gelehrte und Experten befassten sich mit dem Thema „Was ist ein auserwähltes Volk?“. (Foto: Frithjof Timm)

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BERICHT Das Jüdische Museum Berlin wurde vergangene Woche Zeuge des letzten Abendforums der Vortragsreihe „An welchen Gott wir glauben“ mit dem Gastreferenten Rabbiner Dr. Yehoyada Amir (Jerusalem) über das Thema „Was ist ein auserwähltes Volk?“ und Grundideen der jüdischen Theologie. Die Veranstalter House of One Berlin und Evangelische Akademie zu Berlin luden zum anschließenden interreligiösen Gespräch Imam Kadir Sancı, Rabbiner Dr. Tovia Ben-Chorin und Dr. Dagmar Pruin ein.

„No religion is an island“, so in etwa könnte die Devise des Gastreferenten lauten. Dieser betonte, dass die Existenz eines Bundes, welche den Rahmen menschlicher Verantwortung definieren solle, nicht exklusiv sein kann. Für das traditionelle, jüdische Bewusstsein verkörpere der Bund die Erwählung, nicht direkt die Religion, von der meist ausgegangen wird. Um demnach der Erwählung gerecht zu werden, müssen die Menschen innerhalb des Bundes partikulär, nicht universell sein. Auf den Gedanken, dass die Erwählung mit der Existenz des Bundes einhergeht, kann Amir verzichten, denn für ihn heißt Partikularität nicht Exklusivität – daher auch „no religion is an island“.

Nach der informationsreichen sowie meinungsbetonten Auseinandersetzung mit dem Thema seitens des Rabbiners wurde dem Zuhörer eine fundierte Basis geschaffen, um der anschließenden Diskussion inhaltlich zu folgen und sich in dem Gespräch zu positionieren.

Nicht mit einer westlich, akademischen Denkweise an eine theologische Problematik herangehen

Den Austausch zwischen den Fachleuten, Theologen und Geistlichen moderierte Dr. Dirk Pilz mit gezielten und gut durchdachten Fragen. Manchmal geriet aber auch er in Zweifel, ob der ein oder andere Aspekt nicht umstritten sei. Er begann beispielsweise mit dem Gedanken, ob man im Islam, Christentum und Judentum die Erwählung und die Theologie des Bundes klar definieren könne und wies eingangs auf die Verzwicktheit der Frage hin. Beantworten bzw. näher erläutern ließ er diese Problematik von den Repräsentanten der drei Religionen. Nicht immer wurden die Anregungen und Fragen des Moderators als geglückt empfunden. So kritisierte Rabbiner Ben-Chorin beispielsweise die an Imam Sancı gerichtete Fragestellung, ob man als Muslim dies behaupten könne: „Das Judentum ist die Wurzel des Islam“. Unabhängig von der Antwort, die Imam Sancı äußerte, dürfe man laut Rabbiner Ben-Chorin an eine theologische Problematik nicht mit einer westlich, akademischen Denkweise herangehen.

Die Aufgabe des House of One bestehe also unter anderem darin, zu definieren, auf welche Art und Weise Fragen dem Gegenüber gestellt werden müssen und mit welcher Feinheit diese formuliert werden sollen. Vielleicht unbewusst, vielleicht aber auch beabsichtigt – eines stand für mich fest: Rabbiner Ben-Chorin hatte die Funktion des House of One und die bis ins kleinste Detail durchdachte Architektur des Bauwerks mit dieser Kritik zur Geltung gebracht. Der Dialog und der Austausch zwischen den drei Religionen kann nur dann effektiv verlaufen, wenn man sowohl in der Theologie verankertes Wissen erlangen, als auch durch physische Präsenz in den Räumlichkeiten sich in den „Geist“ des jeweiligen Glaubens hineinversetzen und seine Fragen darauf basierend wählen kann. Es war sehr berührend zu sehen, wie solidarisch Rabbiner Ben-Chorin in dem obigen Beispiel vorgegangen ist und die Leitidee des House of One und dessen beabsichtigte Lebenskultur vorgelebt hat.

Auch wenn dieses Ereignis nur exemplarisch zu verstehen ist, ein Hoffnungsschimmer auf friedlichen interreligiösen Dialog ist er dennoch. Wie Imam Sancı abschließend anmerkte, kann eine Tatsache nicht ignoriert werden: „Unsere Schriften haben den gleichen „Autor““. Die Veranstaltung hat seinen intendierten Zweck erfüllt. Der Austausch über eine jüdische Grundidee wurde gewährleistet, auch wenn er nicht auf ein eindeutiges Resultat hinausführte, und die Religionen wurden als Lern- und Begegnungsorte genutzt. Jedoch viel wichtiger für mich ist, dass neben meinem interreligiösen Verständnis und Bewusstsein auch das von vielen anderen Zuschauern gestärkt wurde, wie ich aus nachfolgenden Gesprächen oder Reaktionen im Publikum entnehmen konnte. Das muss die eigentliche Ernte des Abends sein.