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Politik

Türkei/Irak: Monatelang vermisster Külter plötzlich wieder aufgetaucht

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Kaum jemand äußerte zuletzt noch große Hoffnungen, dass Hurşit Külter noch lebt. Seit dem 27. Mai gab es kein Lebenszeichen mehr von dem kurdischen Politiker aus der Südosttürkei, die Umstände seines Verschwindens ließen Freunde, Verwandte und Kollegen vom Schlimmsten ausgehen. Nun ist er völlig überraschend wieder aufgetaucht und stellt sich vor die Kameras – im Nordirak.

Külter ist Politiker der kurdischen Partei DBP, der „Demokratischen Partei Regionen“, dem lokalpolitischen Ableger der HDP. Nachdem in seiner Heimatstadt Şırnak im Rahmen der Kämpfe zwischen der terroristischen PKK und staatlichen Sicherheitskräften eine Ausgangssperre verhängt wurde, verlor sich seine Spur. In einer letzten Nachricht an seine Eltern sprach Külter davon, dass er in einer “bedrückenden” Situation sei und “sie jetzt kommen”. Augenzeugen behaupteten später, sie hätten gesehen, wie Külter von Spezialeinheiten der türkischen Polizei abgeführt worden sei. Kurz darauf veröffentlichte ein Twitter-Account, der türkischen Sicherheitskräften zugeschrieben wird, mehrere Tweets, die darauf hindeuten, dass er mindestens verhaftet worden sei, wenn nicht gar getötet.

Das Verschwinden des kurdischen Politikers weckte bei vielen Menschen dunkle Erinnerungen an die Neunzigerjahre, an die “Ära der weißen Toros”, als paramilitärische Einheiten des türkischen Staates nachweislich hunderte Menschen “verschwinden” ließen. In den allermeisten Fällen wurden sie gefoltert, getötet und tauchten später in anonymen Gräbern wieder auf. Wenn sie überhaupt jemals gefunden wurden.

Entsprechend groß war die Sorge vieler Menschen, dass Külter dasselbe Schicksal ereilt haben könnte. Unter dem Slogan „Wo ist Hurşit Külter?“ wurde in sozialen Medien und auf der Straße gefordert, dass der türkische Staat den Verbleib des kurdischen Politikers aufklären solle. Doch die Behörden dementierten jegliche Verbindung zu dem Fall. Weder habe man ihn verhaftet, noch wisse man, wo er sich aufhält.

Nun, 133 Tage nach seinem Verschwinden, stand Külter vergangene Woche in der nordirakischen Stadt Kirkuk vor Journalisten und gab eine Pressekonferenz, in der er seine Geschichte – oder vielmehr seine Version davon – erzählt. Zuallererst entschuldige er sich, dass seine Erklärung erst so spät erfolgt. „Sie müssen wissen, dass dies das erste Mal ist, dass ich die Möglichkeit habe, so eine Erklärung abzugeben“, so der kurdische Politiker. „Meine Sicherheitslage hat es mir nicht ermöglicht, das vorher zu tun.“

Ob die Geschichte, die er daraufhin erzählt, ganz oder teilweise der Wahrheit entspricht – oder ob sie komplett oder teilweise erlogen ist – lässt sich nicht ohne weiteres nachweisen. Sie ist auf jeden Fall dramatisch.

Es stimme, dass er am 27. Mai von Sicherheitskräften festgenommen wurde. Daraufhin sei er 13 Tage in einem Keller festgehalten worden, wo man ihn „schwerer physischer und psychischer Folter“ unterzogen habe. Dabei habe man mit Zwang versucht, ihn als Informant für die Sicherheitskräfte zu rekrutieren. „Sie wollten, dass ich mich vor die Öffentlichkeit stelle und eine Erklärung abgebe, die sich gegen die Forderungen nach lokaler Autonomie richtet“, so der DBP-Politiker. Wie viele andere Politiker kurdischer Parteien hatte Külter in der Vergangenheit mehrfach öffentlich gefordert, kurdischen Gemeinden und Provinzen in der Türkei politische und verwaltungstechnische Autonomie zu gewähren und war damit zum Feindbild von Nationalisten und Konservativen geworden.

Dabei habe man ihm die ganze Zeit gedroht, ihn hinzurichten, sollte er sich darauf nicht einlassen. Man habe damit jedoch noch warten wollen, da sein Fall durch die Kampagnen in sozialen Medien und die Demonstrationen für ihn eine gewisse Öffentlichkeit erhielt. „Ich habe gehört, wie sie sich untereinander unterhalten haben und sagten ‚Jetzt sind schon ein paar Tage vergangen. Lass uns noch ein bisschen warten, dann legen sich die Reaktionen. Dann können wir ihn töten'“, behauptet Külter.

Doch dazu kam es nicht. Später habe man ihm vom Keller in das Erdgeschoss des Hauses gebracht, um ihn dort weiter festzuhalten. Dort habe er sich dann nach Fluchtwegen umgeschaut. Als sich eine Gelegenheit ergab, habe er sie genutzt und sei geflohen. „Von hinten haben sie nach mir geschossen, um mich zu töten oder wenigstens zu verletzen, aber ich konnte wegrennen und mich retten. Im Stadtzentrum konnte ich mich dann verstecken.“ Er habe versucht, Kontakt zu seiner Familie oder der Presse aufzunehmen, aber keine Möglichkeit dazu gefunden. Daraufhin habe er sich „40 bis 45 Tage lang“ in zerstörten Häusern in Şırnak versteckt und nur mit Hilfe anderer überlebt.

Deren Namen wolle er aus Angst um ihre Sicherheit nicht nennen.