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Kolumnen

Ich solidarisiere mich mit Lehrerin Ayşe

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MEINUNG Stell Dir vor, es ist Krieg und niemand interessiert sich dafür!

Auch wenn es nicht der genauen Definition entspricht – im Südosten der Türkei tobt Krieg. PKK-Terroristen errichten Barrikaden, heben Gräben aus in den Städten und die Sicherheitskräfte versuchen, die öffentliche Ordnung wiederherzustellen.

Seit über einem Monat ist das so. Dabei kommen auch immer wieder Zivilisten ums Leben. Alte Menschen sterben, Kinder sterben, Mütter sterben. Aber der Rest des Landes tut so, als sei alles normal. Zumindest die Medien suggerieren das. Die Menschen sollen so tun, als sei alles im Bereich des Normalen, die Türkei eine Insel der Seligen.

Neulich wollte eine Person aus Diyarbakır in der Beyaz Show auf Kanal D auf das Leid im Südosten aufmerksam machen. Ayşe Çelik nannte sie sich und gab an, Lehrerin zu sein.

Was die Lehrerin Ayşe sagte

Was sie sagte, würde jeder normale Mensch unterschreiben: „Sind Sie sich bewusst, was im Osten des Landes gerade passiert? Die Medien geben die Dinge anders wieder. Erheben Sie Ihre Stimmen. Fühlen Sie mit uns mit als Mensch. Sehen, hören und reichen Sie uns die Hand. Die Menschen sollen nicht sterben, die Kinder sollen nicht sterben, die Mütter sollen nicht weinen.“

Es sind Worte, die einen Menschen auszeichnen. Das Publikum im Studio applaudierte, der Moderator stimmte ihr zu.

Danach aber gab es eine 180 Grad-Wende. AKP-nahe Medien warfen ihr vor, Propaganda für die PKK gemacht zu haben. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen gegen sie auf, die gegen Kanal D und gegen Beyaz, den Moderator, ausgeweitet wurden. Letztere haben fehlendes Rückgrat bewiesen und sich entschuldigt. Kanal D gab bekannt, dass er auf Seiten des Staates stehe. Der Moderator betonte, dass er Sohn eines Polizisten sei und sich immer zum Vaterland bekennen werde.

Und Ayşe, die Lehrerin? Ihr Anwalt erklärte: Sie sei verheiratet und erwarte ein Kind. Sie lebe in großer Angst, wolle zum Staatsanwalt gehen und aussagen.

Man fragt sich angesichts des erbärmlichen Zustands: Was ist nur aus der Türkei geworden? Sind wir so feige, so gewissenlos geworden? Wenn Sätze wie „Kinder sollen nicht sterben, Mütter sollen nicht weinen“ als Terrorpropaganda gelten, zeugt es dann von guter Bürgerpflicht im Umkehrschluss zu sagen: „Kinder sollen sterben, Mütter sollen weinen?“

Denn sie lieben Beton mehr als Menschlichkeit

Nein, so feige, so gewissenlos ist die türkische Gesellschaft nicht. Aber ein Großteil der Konservativen und Religiösen zeigt sich als vorbildliche Untertanen. Sie wollen keine Bürger eines freien Staates sein. Sie wähnen sich im Besitz der absoluten Wahrheit, halten alle außer sich selbst für unmoralisch, verhalten sich selbst aber so machiavellistisch wie kaum jemand sonst.

Sie denken vermutlich: Gut, im Osten mögen Frauen und Kinder sterben, aber aus ihnen ist ja auch die terroristische PKK hervorgegangen. Außerdem sorgt unsere liebe, gottgefällige AKP-Regierung für politische Stabilität, Frauen dürfen wieder Kopftuch tragen und sie baut außerdem Straßen…

Straßen, über die allerdings derzeit Panzer gegen Teile der eigenen Bevölkerung rollen. Bisher dachte man, Konservative und Religiöse stünden für Moral ein. Doch ihre Liebe zum Beton auf den Straßen hat sich als stärker erwiesen.