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Gesellschaft

Immer schön, wieder zu Hause zu sein – in Berlin

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Woher kommst du eigentlich? – eine Frage, die vielen jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund zur Bürde wird. Ein Erfahrungsbericht über die absurden Blüten, die ein rückwärtsgewandtes Nationsverständnis tagtäglich im Alltag treibt. (Foto: rtr)

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Immer schön, wieder zu Hause zu sein - in Berlin
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„Woher kommst du eigentlich?“ – „Aus Berlin.“ – „Aber wo kommen deine Eltern her?“- Mit dieser Frage werden Migrantenkinder täglich konfrontiert.

Sowohl in der Schule als auch im Studium wird sofort sichtbar, dass man aus einem anderen Land stammt. „Darf ich dir eine Frage stellen?“- „Natürlich!“- „Aber bitte nimm´ das nicht persönlich, ja? Woher stammst du ursprünglich? Ich meine man sieht ja, dass du nicht von hier bist!?“

Und tut das jetzt was zur Sache? – denke ich mir, doch lasse meine Gedanken unausgesprochen. Wie auf Stichwort taucht auch sofort das Minderwertigkeitsgefühl auf. Ich dachte immer, ich wäre genauso wie alle anderen, da ich hier geboren bin, doch diese Frage führt mir jedes Mal vor Augen, dass ich trotzdem anders bin. „Meine Eltern sind aus dem Libanon!“ – „Seid Ihr auch so streng?“

Bei dieser Frage lächle ich jedes Mal in mich hinein und antworte mit gespielter Gelassenheit: „Was heißt streng? Wir arbeiten, wir studieren, wir tanzen nicht aus der Reihe und leben unsere Religion unauffällig für uns aus.“ Mit einem leisen Schmunzeln der gegenüberstehenden Person ist die Diskussion dann jedes Mal beendet.

Geringere Chancen im Studium aufgrund eines Migrationshintergrundes?

Ob in der Schule, im Studium oder auf Arbeit: Den Fragen nach der „eigentlichen“ Herkunft kann man nicht entfliehen.

Doch wo fühlt man sich selbst zugehörig? Was heißt Deutsch sein und kann man das auch mit Eltern aus einem anderen Land sein? Welche der beiden Sprachen beherrscht man besser, mit welcher Gesellschaft identifiziert man sich und für welches Land schlägt das Herz? Diese Fragen sind für den Großteil der Migrantenkinder in Deutschland Alltag und lasten oft schwer auf der eigenen Suche nach Identität und Zugehörigkeit, weil sie oft schlicht nicht zu beantworten sind.

„Ich fühle mich hin- und hergerissen“, erzählt mir meine deutsch-türkische Freundin, „in der Türkei werden wir als Almancı („Deutschländer“) bezeichnet und hier sind wir die Ausländer. Ich bin hier geboren und fühle mich meinen deutschen Freunden zugehörig, gleichzeitig erkenne ich die Unterschiede meiner Kultur, die mich trotz des jahrelangen Aufenthalts in Deutschland prägen.“

Die Frage nach Zugehörigkeit ist für viele in Deutschland lebende Menschen aktuell, denn immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund leben in Deutschland. Mit einem Migrantenanteil von ca. 8,8% liegt Deutschland auf Platz 8 der EU-Länder.

Laut dem Statistischen Landesamt Baden-Württemberg betrug der Migrantenanteil in Deutschland im Jahre 2010 bereits 19,3% und in der Hauptstadt Berlin lag er bei 24,3 %. Im Jahre 2011 betrug die Anzahl der ausländischen Studierenden an deutschen Hochschulen 250.000, also 11,4%. Die Anzahl der türkischen und arabischen Migranten lag bei ca. 12.000 Studenten (6.500 türkische und 5.400 arabische Studenten). Doch wird dieser Migrationshintergrund den ausländischen Studierenden nach ihrem Studium nicht zum Verhängnis?

Gefangen zwischen zwei Kulturen

Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass man tagtäglich mit dem „Problem“ der Herkunft konfrontiert wird. Im Seminar für die Übersetzung von englischen Gedichten ins Deutsche werde ich als einzige zwischen meinen deutschen (oder deutschaussehenden) Studenten gefragt, ob ich die deutsche Sprache denn gut genug beherrschen würde, um als Muttersprachlerin betrachtet werden zu können.

Ich studiere Italienisch im zweiten Semester und kämpfe jeden Tag mit den Gedanken über meine Zukunft, genau wie andere Studenten auch. Ich liebe Sprachen und habe mich aus diesem Grund für dieses Studium entschieden, doch was werde ich am Ende des Studiums damit anfangen können? Wenn schon meine Dozenten erst einmal nachfragen, wie gut ich überhaupt Deutsch kann, welcher Italiener würde dann Deutsch und welcher Deutsche möchte Italienisch von einer Deutschen mit libanesischem Migrationshintergrund lernen wollen?

Kommentare von Dozenten verstärken die Zweifel über meine Zukunftschancen aufgrund meiner Herkunft noch: „Für Dich wird das schlecht zu unterrichten, da Du keine deutsche Staatsangehörigkeit besitzt!“- „Ich besitze sie aber!“- „Aha…“- Ein verwirrter Blick.- „Ja… dann geht das auch.“

Berlin ist mein Zuhause

Wut und Trauer steigen in mir auf. Ich habe mir dieses Leben nicht ausgesucht. Ich fühle mich sowohl deutsch als auch arabisch und nehme mir aus beiden Kulturen das Schönste heraus und das macht mich und meinen Charakter aus. Natürlich verstehen meine Kommilitonen nicht, warum ich im Sommer bei 30 Grad fasten muss, wenn sie ein Eis essen und genauso ist es schwer, in meinem Heimatland meine deutschen Eigenschaften zu verbergen. Aber genau das macht mich aus und obwohl ich oft Zweifel habe, bin ich sehr glücklich darüber, zwischen zwei Kulturen aufgewachsen zu sein und von beiden zu profitieren.

Meiner Meinung nach ist die Heimat der Ort, an dem man geboren und aufgewachsen ist. In meinem Fall ist das Berlin. Wenn ich nach dem Urlaub aus dem Heimatland meiner Eltern nach Berlin zurückkehre, bin ich gleichzeitig traurig und glücklich. Traurig, meine Verwandten zurückzulassen, doch glücklich, wieder zu Hause zu sein und mein Leben so weiterzuführen, wie ich es die ganze Zeit getan habe.

Vor allem in Berlin ist es fast schon normal, sich als deutsch zu bezeichnen, obwohl man nicht unbedingt deutsch aussieht, aber akzentfrei spricht. Genau dieses interkulturelle Leben zwischen so vielen Nationen und Kulturen macht es interessant, hier zu leben und vermittelt einem das Gefühl von Zugehörigkeit, egal woher man ursprünglich kommt. Berlin wäre nicht Berlin ohne Currywurstbude, Dönerstand, Falafel-Imbiss oder Asia-Garten.

Eine Gemeinschaft aus verschiedenen Ursprüngen, die sich an einem Punkt zusammengefunden hat und es mehr oder weniger schafft, gemeinsam zu leben und Möglichkeiten bietet, vor allem für Menschen mit Migrationshintergrund. Ich bin mir noch nicht sicher, was ich nach meinem Studium machen werde, ich bin aber sehr zuversichtlich, dass ich etwas finde werde, denn: Ich bin aus Berlin und woher kommst Du?

Autoreninfo: Sirin Saoif studiert italienische Philologie und Anglistik an der Universität Potsdam. Sie ist in Berlin geboren und hat libanesischen Migrationshintergrund.