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Bildung & Forschung

„In fünf bis zehn Jahren zumindest muslimische Hochburgen versorgen“

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Gegenüber der GEW zieht NRW-Bildungsministerin Sylvia Löhrmann eine positive Bilanz über das erste Jahr der Einführung islamischen Religionsunterrichts an den Grundschulen. Für einige Jahre wird es aber noch Versorgungsengpässe geben. (Foto: dpa)

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„In fünf bis zehn Jahren zumindest muslimische Hochburgen versorgen“
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Sylvia Löhrmann ist sichtlich stolz. Ihr sei es gelungen, seit Beginn dieses Schuljahres an den Grundschulen in Nordrhein-Westfalen erstmals islamischen Religionsunterricht einzuführen, erklärt die NRW-Schulministerin diese Woche bei der Eröffnung des Bundeskongresses der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Düsseldorfer Messezentrum. „Es ist nicht einsehbar“, ruft die Grünen-Politikerin den 400 Delegierten der Lehrergewerkschaft zu, „warum Kinder und Jugendliche der drittgrößten Religionsgemeinschaft nicht auch das Recht auf einen eigenen Religionsunterricht haben sollten“.

Tatsächlich aber gibt es erhebliche Anlaufschwierigkeiten mit dem islamischen Religionsunterricht, kurz IRU genannt. Derzeit werde an lediglich 33 der landesweit 3.068 Grundschulen das Fach IRU in deutscher Sprache erteilt, erklärt Filiz Soytürk, Pressereferentin im Düsseldorfer Schulministerium. Insgesamt würden etwa 2.000 Schüler muslimischen Glaubens von 40 Lehrern unterrichtet. Ab dem kommenden Schuljahr soll islamischer Religionsunterricht auch in der Sekundarstufe I an Haupt-, Realschulen und Gymnasien erteilt werden. Nach jahrelangen Debatten hatte der Düsseldorfer Landtag vor einem Jahr die schrittweise Einführung dieses Fachs für die Schulen an Rhein und Ruhr beschlossen.

Jetzt aber fehlen geeignete Lehrkräfte. Nach Berechnungen der Islam-Verbände wären landesweit mindestens 1.500 islamische Religionslehrer notwendig, um eine vollständige Beschulung in den Grundschulen und der Sekundarstufe I sicherstellen zu können. „Das ist eine Baustelle“, bekennt der Beiratsvorsitzende für den islamischen Religionsunterricht, Mehmet Soyhun. Der von der Landesregierung eingesetzte Beirat für das Fach IRU, in dem die großen muslimischen Dachverbände vertreten sind, ist für die Lehrpläne und die Lehrerzulassung zuständig.

Prof. Khorchide rechnet mit 2.000 bis 2.500 Lehrern

Bei seinen bisherigen Zulassungen von Religionslehrern hat der Beirat nach eigenen Angaben in NRW „kaum auf Kräfte mit religionspädagogischen Erfahrungen“ zurückgreifen können. Oftmals handele es sich um Lehrer für „Herkunfts- und muttersprachlichen Unterricht“, die derzeit in den Grundschulen islamischen Religionsunterricht erteilten, berichtet Soyhun. Etlichen dieser Lehrer seien bei ihrer Zulassung Fortbildungsmaßnahmen zur Auflage gemacht worden. In einigen Fällen sei aber auch die Zulassung verweigert worden. Die Arbeit des ehrenamtlichen Beirats werde „mit Misstrauen und Kritik“ begleitet, beklagt deren Vorsitzender, andererseits würden „sehr hohe Erwartungen“ an ihn gerichtet.

Der Leiter des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster, Professor Mouhanad Khorchide, geht davon aus, dass bundesweit in der Endausbaustufe zwischen 2.000 und 2.500 Lehrer für die Erteilung des islamischen Religionskundeunterrichts benötigt werden. Alleine auf die Grundschulen in Nordrhein-Westfalen gehen nach den Schätzungen des Schulministeriums gegenwärtig etwa 100.000 Muslime. Insgesamt bekennen sich landesweit 320.000 Schüler zum Islam. Deren Eltern würden künftig zunehmend „das Recht auf Religionsunterricht“ einfordern, prophezeit Soyhun.

In Ruhrgebiets-Städten wie Duisburg und Gelsenkirchen gibt es laut Statistischem Landesamt an den Schulen bereits mehr Muslime als Schüler mit katholischem oder evangelischem Bekenntnis. Gegenwärtig könne „nicht prognostiziert werden“, bis wann islamischer Religionsunterricht „flächendeckend“ erteilt werden könne, sagt Ministeriums-Sprecherin Soytürk. „Wir gehen davon aus, dass in den nächsten fünf bis zehn Jahren die Schulen mit einer relativ großen muslimischen Schülerdichte versorgt sein werden.“ Ein Bedarf sei an allen Schulen gegeben, wo mindestens zwölf Schüler Interesse an dem Fach IRU bekundeten.

In diesem Semester haben sich an der Uni Münster 418 Bewerber für das Lehramtsfach islamische Religionslehre beworben. Davon hätten am Ende 80 Bewerber das Studium aufnehmen können, erklärt Professor Khorchide. Diese Studenten stünden aber erst in fünf Jahren als fertige Lehrkräfte zur Verfügung. Er gehe davon aus, dass in Münster künftig jedes Jahr zwischen 80 und 100 Studenten ihre Lehramtsausbildung zum islamischen Religionslehrer aufnehmen. „Das Interesse ist groß, weil es mit der Einführung des islamischen Religionsunterrichts endlich eine berufliche Perspektive gibt“, sagt Khorchide.

Keine individuellen Stellen ausgeschrieben

Sevdanur Özcan, die als ausgebildete Gymnasiallehrerin vor kurzem eine Lehrerlaubnis für das Fach IRU erhalten hat, fragte Anfang Juni bei der Bezirksregierung Arnsberg an, wann die entsprechenden Religionslehrerstellen ausgeschrieben würden. Schließlich habe Ministerin Löhrmann angekündigt, dass landesweit 700 Lehrer für muslimischen Religionsunterricht eingestellt würden. Kühl antwortete die zuständige Schuldezernentin Johane Nau-Wiens für die Bezirksregierung: „Für die Einführung eines neuen Faches werden individuell keine Lehrerstellen ausgeschrieben.“ Nach dem doppelten Abiturjahrgang und dem Wegfall einer Jahrgangsstufe gebe es an den Gymnasien gegenwärtig „tendenziell eher einen Lehrerüberhang als zu wenig Lehrer“.

Doch das Interesse, als Gymnasiallehrer künftig zusätzlich muslimischen Religionsunterricht zu erteilen, ist offenkundig gering. Das Zulassungsverfahren läuft zäh. Bis Anfang dieses Jahres erhielten von dem Beirat lediglich 40 Lehrkräfte eine Unterrichtserlaubnis zur Erteilung des islamischen Bekenntnisunterrichts. Im Schulministerium wird erwartet, dass weitere 40 bis 50 Lehrer für die Sekundarstufe I bis zum kommenden Schuljahr 2013/2014 die Lehrerlaubnis bekommen werden. Als IRU-Fachlehrer sind derzeit vor allem Islamwissenschaftler mit einem deutschen Hochschulabschluss tätig, die pädagogisch und theologisch für den Schulunterricht qualifiziert worden sind. Zudem gibt es Lehrkräfte mit einer Lehramtsbefähigung, die nach entsprechender Qualifikation jetzt zusätzlich auch islamischem Religionsunterricht erteilen.

Die meisten Lehrkräfte für dieses Fach seien derzeit als „Seiteneinsteiger“ in einem unbefristeten Angestelltenverhältnis tätig, erklärt Ministeriums-Sprecherin Soytürk. Die Tendenz gehe jedoch dahin, „grundständig ausgebildete“ Lehrer für den islamischen Religionsunterricht einzusetzen. Diese Lehrer stünden in der Regel in einem Beamtenverhältnis. Im Jahre 2017 würden die ersten Absolventen der Uni Münster im Schuldienst erwartet, die dort gegenwärtig das Lehramt „Islamische Theologie“ studierten.

Um diesen Zeitraum zu überbrücken, hat der Beirat Schulministerin Löhrmann vorgeschlagen, das Kopftuchverbot im Schuldienst zu lockern, um so gläubige Musliminnen als IRU-Lehrkräfte zu gewinnen. „Hier wäre eine rechtliche Verbesserung sehr sinnvoll“, sagt Beiratschef Soyhun und beklagt, dass Musliminnen, die mit Kopftuch unterrichten wollten, bei der gegenwärtigen Rechtslage „keine Perspektive“ hätten.

KRM wacht über Anbindung künftiger Lehrer an Gemeinden

Soyhun verteidigt dennoch das umstrittene Zulassungsverfahren. Eine Bedingung für die Erteilung der Lehrerlaubnis sei, dass die islamischen Religionslehrer an eine vom Koordinationsrat der Muslime (KRM) repräsentierte Moschee „angebunden“ seien. Damit solle verhindert werden, dass eine Lehrkraft im Unterricht „eine extreme Auslegung des Islam“ vertrete. „Es geht in unseren Gesprächen nicht um eine Glaubensprüfung“, versichert Soyhun. „Das kann es nicht sein. Das wollen wir nicht.“ Allerdings müsse von einer angehenden Lehrkraft für das Fach IRU schon verlangt werden, dass sie „ein grundlegendes Wissen über die eigene Religion“ habe, dieses Wissen reflektiere und „auf die eigene und die Lebenswirklichkeit der Schüler beziehen“ könne. Religionslehrer, die beispielsweise bei Verpflichtung zu Gebet und Fasten abweichende Auffassungen verträten, seien gegenüber den meisten muslimischen Eltern kaum vermittelbar, betont Soyhun. „Das Vertrauensverhältnis zum Religionslehrer ist von besonderer Bedeutung“.