Connect with us

Politik

„Intellektueller Terror ist gefährlicher als die PKK“

Spread the love

Die Kriegsrhetorik in den regierungsnahen Medien in der Türkei nimmt zu. Besonders stechen dabei Yeni Şafak und ihr Chefredakteur Ibrahim Karagül hervor. Seiner Vorstellung nach erlebt die Türkei derzeit eine Wiederholung der Geschichte.

Published

on

Spread the love

Die Verlässlichkeit von Fuat Avnis Meldungen, wonach eine zeitnahe Zerschlagung regierungsnaher Medienhäuser geplant sei, ziehen viele in Zweifel. Wirft man jedoch einen Blick in die regierungstreuen Medien, so kommt man nicht umhin zu erkennen, dass derartige Mutmaßungen nicht abwegig sind. Erschreckt stellt man fest, dass einige Kreise in Gesellschaft und Staatsapparat die Abschaffung der Demokratie mental schon seit längerem vorzubereiten scheinen. Ein Blick auf die Weltbilder der regierungsnahen Einpeitscher bringen daher einige beunruhigende Erkenntnisse. Hier eine Auswahl an Beispielen:

Der Chefredakteur und Kolumnenschreiber der auflagenstarken und regierungsnahen Tageszeitung Yeni Şafak, İbrahim Karagül (Foto), beklagt sich in seinen letzten Kolumnen über den sogenannten „intellektuellen Terror“, den er für gefährlicher als die PKK hält. Deshalb müsse man „unerbittlichen Widerstand“ gegen die „Besatzung durch innere Kollaborateure“ leisten, wie schon in den Titeln zweier seiner Kolumnen angekündigt wird.

Karagül: „Die Türkei befindet sich im Unabhängigkeitskrieg“

Nach Karagül, Chefredakteur seit 2012, befindet sich die Türkei in einem Unabhängigkeitskrieg. Er zeichnet folgendes Bild der politischen Situation, das aussagekräftige Rückschlüsse auf seine Weltanschauung zulässt:

In der Türkei herrscht seit hundert Jahren die Vormundschaft ausländischer Kräfte. Mit Recep Tayyip Erdoğan gab es das erste Auflehnen, eine erste Unabhängigkeitsbestrebung. Doch die imperialistischen Kräfte haben dem nicht tatenlos zugesehen, sondern wollten diese Bestrebung abwürgen. Deshalb haben sie ihre inneren Kollaborateure in Bewegung gesetzt, zu denen neben der PKK auch die Hizmet-Bewegung um Fethullah Gülen, die Medien der säkularen Doğan-Gruppe und eigentlich so ziemlich jeder, der nicht auf AKP-Linie ist, gehört.

Ibrahim Karagül sieht das Treiben der Hizmet-Bewegung oder der Doğan-Gruppe als gefährlicher an als die sich terroristischer Mittel bedienende PKK. Er schreibt: „Ohne die Erledigung dieser inneren Besatzer, ohne das Vertreiben ihrer Machtambitionen, ohne die Beendigung ihrer Kollaboration wird dieses Land nicht auf eigegenen Beinen stehen können.“

„Wir werden mit ihnen nicht mehr besonnen sprechen“

In seiner Kolumne „Widerstand gegen den intellektuellen Terror und die innere Besatzung“ beschäftigt sich Karagül wieder mit dem Thema. Sie würden mit denjenigen, die durch intellektuellen Terror der PKK Beihilfe leisten, nicht mehr diskutieren. Er schreibt: „Wir kennen sie jetzt alle. Wer nimmt auf der Seite des Landes, des Volkes Platz, wer feuert zusammen mit dem Terror auf die Nation, das alles trat offen zutage. Die Abrechnung ist groß. Es ist die letzte Phase des seit hundert Jahren andauernden Unabhängigkeitskrieges. Entweder wird daraus der große, freie und nationale Staat siegreich hervorgehen, oder die inneren Marionetten der äußeren Mächte.“

In einem kurz zuvor veröffentlichten Artikel mit der Überschrift „Aydın Doğan, Terror und die nationale Sicherheit“ griff er Doğan, den Gründer und Haupteigner der gleichnamigen Unternehmensgruppe, an. Karagül schließt mit der Feststellung: „Meiner Ansicht nach ist Aydın Doğan eine Frage der nationalen Sicherheit und seine derzeitige Position ein Putschversuch.“ Nach Karagül würde dieser gerade einen Kamikaze-Angriff starten. Denn, wer sich gegen die AKP, gegen den hundertjährigen Unabhängigkeitskampf stelle, der sei ein Verräter und diese würden ausradiert werden.

Davutoğlu: „Abrechnung des Jahrhunderts“

Übrigens: Auch Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu hätte vor kurzem bei seinem Treffen mit AKP-treuen Medienvertretern in Istanbul die Feststellung getroffen, dass sie vor der Abrechnung des Jahrhunderts stünden.

Das Motiv der äußeren Bedrohung und des Unabhängigkeitskampfes lässt sich auch bei anderen Autoren regierungsnaher Medien ausmachen. Ardan Zentürk, Kolumnist der Zeitung Star, betitelte seinen letzten Artikel mit „Wir werden das fortführen, was der Gazi hinterlassen hat“. Anders als Ibrahim Karagül gibt sich Zentürk fast kemalistisch, mit Gazi ist Atatürk gemeint. Aber die Deutung der politischen Landschaft des Landes ist die gleiche.

Zentürk schreibt: „Die Fortführung des Kampfes von damals obliegt nun den heutigen Generationen. Wir sind mit einem unerschrockenen Angriff aus dem Ausland sowie mit einem unvorstellbaren Verrat im Innern konfrontiert.“ Dies sei der zweite Unabhängigkeitskrieg. Zentürk stellt fest: „Die größte Katastrophe für ein Volk ist der Verrat seiner Intellektuellen.“ Aber er macht auch Hoffnung: „Ich glaube, der 1. November wird das Ende derer sein, die mit dem Imperialismus gemeinsame Sache machen, diesen sogar bis nach Kandil ausweiten.“ Also, wenn die Bürger am 1. November die AKP wählen, würde alles doch noch gut ausgehen.

Ibrahim Karagül und Ardan Zentürk schienen bisher nicht die gleiche Ideologie zu haben. Aber sowohl die Interpretation der politischen Situation der Türkei als Unabhängigkeitskampf als auch die Diffamierung unabhängiger Intellektueller scheint sich aus der gleichen Quelle zu speisen.

Der Yeni Şafak-Kolumnist Bercan Tutar macht seinen Lesern klar, warum die Türkei an Erdoğan festhalten und das Präsidialsystem einführen müsse. Sein Artikel trägt die Überschrift: „Der gemeinsame Alptraum von Israel und Teheran: Präsident Erdoğan.“ Die Imperialisten hätten 2011 einen Kampf gegen die Türkei vom Zaun gebrochen mit ihren ‚Zinnsoldaten‘ der Hizmet-Bewegung, der PKK und des Iran. Aber Gott sei Dank habe Erdoğan diesen Angriff erfolgreich abgewehrt.

„Die Bedeutung des politischen Führers“

Tutar schreibt: „Der eigentliche Erfolg Erdoğans besteht darin, diese Trinität, die mit der Taqiyya-Doktrin des Iran verschmolzen ist, diese heilige Heuchlerei ans Tageslicht gebracht zu haben.“ Tutar scheint mit seinen Mitteln ökonomisch umzugehen. Mit Trinität ist offensichtlich die christliche Glaubenslehre gemeint. So ganz nebenbei bedient er antichristliche Gefühle.

Die Bedeutung Erdoğans für die Türkei versucht Tutar mit den folgenden Worten deutlich zu machen: „Die Bedeutung der Politik, des politischen Führers für ein Land und sein Volk noch vor der Kultur, der Geschichte und Tradition wird gerade in solchen schwierigen Zeiten wie heute deutlich. Jegliche Kultur, Geschichte, Kunst und Tradition können nichts weiter als Folklore sein, solange es keinen konstitutiven politischen Verstand gibt.“ Menschen, die dies nicht begreifen, seien nichts weiter als Tiere, die Laute von sich geben. Aber die Türkei habe ja diesen konstitutiv-politischen Verstand in der Person Erdoğans.

Tutar schließt mit der Feststellung: „Wer ein wenig nationale, politische und historische Ehre hat, würde Erdoğan allein aus Trotz gegenüber den Persern zum Präsidenten wählen, weil sie ebendas nicht wollen. Somit würde man zugleich eine Antwort auf das geliebte Land der Parallelen [gemeint ist die Hizmet-Bewegung und Israel, Anm. d. Red.] im Süden geben.“

Rhetorik und Logik, wie man sie aus totalitären Systemen kennt

Sind das Einzelbeispiele? Betrachtet man Ethem Sancak, merkt man, dass dahinter durchaus ein System zu stecken scheint. Im Fernsehen äußerte Sancak Pläne, Medien „asiatischer Art“ gründen zu wollen. „Wir müssen den Einfluss der westlichen Medien über diese Region brechen, die sie seit 500 Jahren wie ein Schraubstock auspressen.“ Nach Sancaks Worten steht das anatolische Volk auf und zusammen mit ihm die gesamte islamische Welt sowie die unterdrückten Völker Asiens. Sancak weiterhin: „Hier muss ein großer Medienblock entstehen. Dieses Land muss sich von dem kulturellen Klima befreien, das seit 80 Jahren andauert, und nach Art der Tanzimat seine Seele an den Westen verkauft zu haben scheint. Dies kann nur durch die Medien erreicht werden.“

Sowohl die Rhetorik als auch die Kategorisierungen politischer Gegner, das Einteilen in klar abgesteckte Fronten, die Verweigerung eines konstruktiven Dialogs und vor allem die Diffamierung politischen Dissenses als staatszersetzende Agententätigkeit im Auftrag ausländischer Mächte, die gegen das Land arbeiten – je nach Gemütslage die USA, der Iran, Israel oder schlicht irgendeine beliebige „(jüdische) Lobby“ und in letzter Zeit auch Deutschland – nehmen damit im öffentlichen Diskurs beängstigende politische Tendenzen vorweg. Es ist eine Rhetorik und vor allem eine Logik, die man nur allzu gut aus autoritären und totalitären Systemen kennt – einen gemeinsamen Feind der Nation konstruieren, die Reihen damit schließen und jeden, der abweicht, als „Agenten“ dieser fremden Mächte diskreditieren. Sollten die Befürchtungen eintreten, dass Erdoğan und seine AKP die Türkei in einen autoritären Staat umwandeln, müssten die Machthaber also keine großen Anstrengungen unternehmen, eine Presse einzurichten, die ihnen nach dem Mund redet. Das nötige Personal ist schon da.

Entsprechend scheint der Zorn auf den Westen von höchster Stelle zu kommen. Staatspräsident Erdogan sagte bei seinem 10. Empfang der Ortsvorsteher in seinem Palast in Ankara, dass westliche Medien in Bezug auf Terror eine Doppelmoral aufweisen würden und dass er sie dafür verdamme. Vor einigen Tagen hatte das türkische Außenministerium in einer schriftlichen Erklärung die britische BBC wegen des Vorwurfs der PKK-freundlichen Berichterstattung scharf kritisiert.

Bezüglich der Kritik aus Europa und den USA hat Erdoğan auch eine einfache Erklärung parat: Der Westen greife seine Person unerbittlich an. Warum? Weil er keine starke Türkei wünsche.