Connect with us

Gesellschaft

„Interesse des Iran und Deutschlands an Aleviten nicht ungewöhnlich“

Spread the love

Die Türkei muss für die Anliegen der Aleviten eine konstruktive und großzügige Lösung finden, um lange offene Wunden zu heilen, Einmischung von außen zu vermeiden und das Gefühl der Ausgrenzung zu beseitigen. (Foto: cihan)

Published

on

„Interesse des Iran und Deutschlands an Aleviten nicht ungewöhnlich“
Spread the love

Der Religionssoziologe Dr. Necdet Subaşı beklagte in einem Interview mit Today`s Zaman, dass die jüngsten Debatten und die letzten Berichte bezüglich der Aleviten nicht genug Aufmerksamkeit seitens der Politik erhielten, da Wahltaktik und die Gezi-Unruhen das Thema in den Hintergrund treten ließen. Er betonte, dass sich der Staat zum ersten Mal des Themas Alevitentum annahm und er glücklich sei zu sehen, dass der Reformprozess in diesem Bereich von der gesamten Regierung wiederaufgenommen worden sei.

An welcher Stelle wurde der Prozess verzögert, obwohl es einige Fortschritte bei der Aleviten-Debatte gegeben hatte?

Aufgrund der damaligen Wahlkampagnen waren sowohl der Referendumsprozess als auch die politischen Erwägungen, die auf der Basis bis dahin stattgefundener Gespräche mit der politischen Verwaltung diskutiert worden waren, nicht angemessen überprüft und berücksichtigt wurden. Das Thema wurde nicht gründlich diskutiert, aufgrund der Lage im Land insgesamt. Allerdings gibt es etwas Gutes dabei: Während dieser Periode des Stillstandes hatten die Aleviten die Gelegenheit, ihre eigenen Probleme durchzusprechen. Das Ziel der Gespräche war es, sich auf die Probleme, auf den Ursprung dieser Probleme und die Methoden zu fokussieren, die entwickelt werden können, um diese Probleme anzusprechen, anstatt nur in der Öffentlichkeit über sie zu sprechen. Jedoch wurde der Prozess durch die zu dem Zeitpunkt herrschende politische Großwetterlage geschwächt. Viele Aleviten beschwerten sich, dass der Prozess eingeschlafen war. Allerdings ist dies nicht wahr, denn der Prozess hat gerade erst begonnen. Der Staat machte sich zum ersten Mal das Alevitentum zum Thema. Und natürlich gibt es einen Preis dafür.

Also sagen Sie, dass die letzten zwei Jahre ein Abschnitt waren, die dem Staat Zeit gaben, das Problem zu analysieren?

Dem Staat war bewusst, dass ein Teil seines Körpers schmerzte. Die Gespräche identifizierten den Ursprung dieses Schmerzes. Der nächste Schritt wäre das Thema, das nicht nur ein lokales ist, durch Vertrauen, mittels eines ganzheitlichen und umfassenden Ansatzes zu lösen. Die kürzliche Entscheidung, den Reformprozess wieder aufzunehmen, ist durchaus angemessen. Bisher wurde immer, wenn das Thema neu aufgegriffen wurde, dieses bald darauf übergangen. Abgesehen von den langanhaltenden Problemen hoffe ich, dass dieses kurzzeitige Problem der Verzögerung, das Unmut bei den Aleviten verursacht, angesprochen und effektiv gelöst wird.

Ist es möglich, dass die Aleviten nicht der Initiative vertrauen, da sie diese als Ruf zum wahren Islam oder zur Auferlegung des sunnitischen Islam sehen?

Es ist natürlich nachvollziehbar, dass am Anfang solche Bedenken auftreten. Eines Tages sagt der Staat aus heiterem Himmel, dass er bereit ist, dir zuzuhören. Dieses Mitgefühl des Staates, der bisher nie eine solche Gepflogenheit gezeigt hatte, musste fast Bedenken unter den Menschen hervorrufen, die ihre Probleme bis dato alleine handhaben mussten. Allerdings wurden die Bedenken in kurzer Zeit behoben. Alle alevitischen Gruppen beteiligten sich an den Gesprächen. Es war Priorität, das Gefühl der Ausgrenzung anzusprechen. Wenn eine Alevite nun keine Erwartungen an die Gesellschaft hat und sich ausgeschlossen fühlt, sind wir dafür verantwortlich. Wenn man die vergangenen Missstände, die Sprache und den Kontext betrachtet, gegenseitige Empathie übt, die Begriffe „wir” und „sie” eliminiert, könnte dies diesen Menschen das Vertrauen erleichtern und den Prozess ebenfalls. Leider erfordert Politik mehr praktische und einflussreichere Schritte.

„Ich finde das Interesse des Iran und Deutschlands an den Aleviten nicht ungewöhnlich!”

Hat die Benennung der dritten Brücke nach Sultan Selim I. die Vereinbarungen mit der Politik beeinträchtigt? Denken Sie, die Benennung nach ihm war angemessen und notwendig?

Was ein durchschnittlicher sunnitischer Moslem in Yavuz Sultan Selim sieht, ist nicht das Gleiche wie das, was ein Alevite sieht. Yavuz, den die Aleviten mit Tyrannei, Brutalität und Blutrunst assoziieren, ist bei den sunnitischen Muslimen eine Person der Verehrung und des Respekts. In den Augen sunnitischer Muslime ist Yavuz Sutan Selim eine historische Figur, welcher die muslimische Gemeinschaft vereinte. Wir sprechen über eine Person, die von den verschiedenen Parteien unterschiedlich angesehen wird. Wie gelang es dieser Nation, sich um die gleiche Person so zu polarisieren? Dies ist nicht einfach zu lösen. Es gibt Dinge, die wir auf der hohen Ebene der Kriterien allgemeiner Menschlichkeit diskutieren müssen.

Was ist der Grund für besondere Aufmerksamkeit, die von anderen Ländern, wie Iran oder Deutschland kommt, wenn es um die Aleviten geht?

Ich finde dies nicht ungewöhnlich. Ich finde politisches oder soziologisches Engagement durch ein Land, um seine Interessen zu schützen, nicht ungewöhnlich. Allerdings ist es etwas unerfreulich in Bezug auf die Diplomatie. Die internationalen Beziehungen setzen ein größeres Augenmerk auf individuelle Planung, um ihre Ziele zu erreichen. Sie produzieren Spannungen, indem sie sich in die internen Affären eines Landes einmischen. Sie halten Konflikte am Kochen und achten auf die sensiblen Bereiche und die Geschichte anderer Länder. Dies ist normal. Normalerweise würde ich dies aber nicht empfehlen, dass dies nicht sinnvoll und akzeptabel ist. Aber es gibt gewisse eigene Gesetze in internationalen Beziehungen. Wenn man nicht in der Lage ist, die Verbindung mit den Bürgern zu halten und so ethnische, emotionale und rechtsstaatliche Sicherheit zu bewahren, kann man kein Gerüst für Koexistenz schaffen.

Es wird darüber gestritten, ob das alevitische Thema komplizierter wäre als das kurdische Thema. Warum denken Sie, ist dies der Fall?

Dies ist der Fall, weil die kurdische Angelegenheit unecht ist. Es ist ein gespieltes Problem im modernen Sinn, das vom Konzept des Nationalstaates verursacht wird. Der Staat griff bei diesem Thema mit Kontrollmechanismen ein. Die alevitische Frage geht allerdings bis weit in die Geschichte zurück. Heute weist ein Alevit auf Karbala hin, wenn er über Probleme und Schmerzen spricht. Und manchmal verweist er auf Yezid oder Kuyucu Murat Paşa. Es gibt eine sehr traurige Geschichte da draußen. Diese Geschichte wurde nicht erst falsch erfunden. Wir sollten die Gefühle und Emotionen dieser Gruppe verstehen, die im Laufe der Geschichte an den Rand gedrängt wurde. Wir könnten dieses Problem in einer anderen Region oder an einem Ort, wo unsere Codes nicht vorhanden sind, schnell klären. Wir müssen und werden dieses Thema aber zu Hause diskutieren und das Problem gemeinsam lösen.