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Gesellschaft

„Wer einem Juden oder Christen Unrecht tut, dessen Ankläger werde ich sein“

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Oft heißt es, für interreligiösen Dialog gäbe es im Koran keine Grundlage. Dabei finden sich viele Dialogansätze im Koran und im Leben des Propheten selbst. (Foot: reuters)

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Lexikalisch bezeichnet der Begriff Dialog eine mündliche bzw. schriftliche Rede, ein Gespräch, die Verständigung und Anpassung von zwei unterschiedlichen Charakteren oder Gruppen, die die Absicht haben, den Gegenüber kennenzulernen. Die religiöse Bedeutung des Dialogs ist demnach das Verstehen, der Austausch und die Anpassung von zwei unterschiedlichen religiösen Richtungen, wobei Missionierung, Überzeugungsversuche und Kritik außen vor bleiben.

Die Basis des Dialogs ist es, einen gemeinsamen Weg mit dem „Anderen“ einzuschlagen, gleichgültig welchen Glauben, Lebensstil, welche Hautfarbe, Sprache, welchen Beruf, Status etc. diese haben. Dieses „einen gemeinsamen Weg Einschlagen“ bedeutet nicht nur eine gegenseitige Informationsflut, sondern auch gemeinsames Essen, Lachen, Trauern, Feiern, Reisen etc.

Die wichtigste Voraussetzung für den Dialog ist es, den Gesprächspartner so zu akzeptieren wie er ist, guten Willen zu haben und die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund zu stellen. Die Menschen sollten in ihrer jeweils eigentümlichen Art und Weise akzeptiert und dementsprechend behandelt werden.

Demnach gilt die Konzentration nun der Frage, ob der religiöse Dialog auch eine Grundlage in den beiden islamischen Hauptquellen, dem Koran und der Sunna aufweist. Kritiker erheben oft den Vorwurf, dass der Koran den Dialog nicht befürworte. Als Beispiel hierzu führen sie kritische bzw. strenge Urteile über die Christen, Juden und Polytheisten im Koran auf. Wie lässt sich dieser Ansatz der Kritiker mit dem Dialogverständnis vereinbaren?

Dialogansätze im Koran

Als eigenständiger Begriff ist „Dialog“ weder im Koran noch in der Sunna aufzufinden. Es lassen sich jedoch in beidem an vielen Stellen Themen wie Dialog und Toleranz auffinden. Der Dialogansatz im Koran erstreckt sich von den Buchbesitzern bis hin zu allen Menschen. Der Koran weist an mehreren Stellen auf die Akzeptanz, den Respekt und die Gemeinsamkeit hin. Im Vers 49/13 steht geschrieben, dass die Menschen gottgewollt von Mann und Frau erschaffen und zu Völkern und Stämmen gemacht wurden, damit sie einen Dialog aufbauen und einander kennenlernen.

Das Verstehen des Anderen spielt eine besondere Rolle für das Menschsein. Der Mensch versteht sich und seine Umwelt besser, wenn er sich dazu bereit erklärt, die anderen Menschen und deren Religionen kennenzulernen und zu erlernen. Schon in den ersten Suren und Versen des Korans werden die Muslime auf wichtige Dialogansätze hingewiesen.

So heißt es in Sura 2 Vers 4: „Und die an das glauben, was vor dir offenbart wurde (wie die Thora, die Evangelien und die Psalmen sowie die Schriftrollen Abrahams); und die vom Jenseits überzeugt sind“  und auch in der Sura 2 Vers 285: „Der Gesandte glaubt an das, was ihm von seinem Herrn herab gesandt worden ist, ebenso wie die Gläubigen. Sie alle glauben an Gott und Seine Engel und Seine Bücher und Seine Gesandten. Wir machen zwischen keinem Seiner Gesandten einen Unterschied (in unserem Glauben an sie).”

Der Glaube an alle von Gott geschickten Propheten und offenbarten Schriften gehört zu den sechs Grundsätzen des Glaubens im Islam. Die Muslime sind verpflichtet, ohne unter ihnen einen Unterschied zu machen, die Propheten zu ehren und zu respektieren (siehe 6/16 und 16/123). Ein Muslim ist gleichzeitig Anhänger Abrahams, Moses‘, Davids, Jesus‘ und anderer Propheten. Jesus wird im Koran gewürdigt und als Zeichen der Barmherzigkeit dargestellt, wobei die Mutter Maria, die einzig namentlich im Koran erwähnte Frau als auserwählte beste Frau bezeichnet wird und Moses die Ehre hatte, mit Gott zu reden und im Vergleich zu allen anderen Propheten im Koran am öftesten erwähnt wird.

Der Koran kritisiert an keiner Stelle das Christentum oder das Judentum. Die immer wieder als angeblicher Nachweis für das Gegenteil zitierten Verse richten sich nicht verallgemeinernd gegen die Religion oder Gruppen, sondern gegen unrechtes Handeln, fehlgeleitetes Denken und unerwünschtes Verhalten einzelner Individuen unter Christen, Juden, Polytheisten, aber auch Muslimen (siehe 2/120, 3/28, 3/118, 5/51, 5/82 und 9/23).

Denn im Koran werden einerseits Juden und Christen aufgrund von Sünden verurteilt (genau wie Muslime auch) und andererseits werden fromme Christen gelobt (siehe 5/82).
An zahlreichen Stellen befiehlt Gott den Muslimen, keine Streitgespräche zu führen, sondern ganz im Gegenteil in bestmöglicher Weise und in schöner Ermahnung zu diskutieren (siehe 16/125). Der Dialog in dem Falle heißt: Auch wenn es zwischen den Partnern brenzlig wird, heißt es, mit freundlichen Worten auf eine nachsichtige Art zu reden, um die Unterschiede zwischen den Religionen zu analysieren und demgemäß sich auf die Gemeinsamkeiten zu konzentrieren, damit keinerlei Auseinandersetzung entstehen.  An mehreren Stellen gibt der Koran selbst Richtlinien und Rahmenbedingungen vor, wie ein Dialog zu führen ist.

Dialogansätze im Leben des Propheten

Wie in allen Aspekten des Lebens, ist auch der Prophet Muhammad ein Beispiel für die Muslime im Bereich des Dialogs. Er verhielt sich gegenüber Andersgläubigen genauso, wie es ihm der Koran vorgeschrieben hat: Er akzeptierte die Positionen, Glaubensvorstellungen und religiösen Praktiken der zeitgenössischen Nicht-Muslime und war ihnen gegenüber immer respektvoll, solange sie zu keinem Normverstoß neigten. Er bemühte sich, mit allen Menschen einen Dialog zu führen, auch wenn diese ihm beständig nachstellten. Auch wurde er vom Koran aufgefordert, einen respektvollen und gutmütigen Dialog mit den Christen und Juden zu führen und über die Gemeinsamkeiten zu reden: „Sag zu Ihnen (O Gesandter): Wir glauben an das, was uns herabgesandt worden ist, und an das, was euch herabgesandt worden ist, und euer Gott und unser Gott ist Ein- und Derselbe. Wir sind Muslime, die Ihm ganz und gar ergeben sind.“ (29/46)

Der Koran macht den Propheten an zahlreichen Stellen auf die Umgangsformen im Dialog aufmerksam. Der Prophet soll seine Mitmenschen bzw. den Dialogpartner, gleichgültig welcher Religion er angehört, freundlich und gerecht behandeln. Er soll mild gegenüber seinen Mitmenschen sein, denn wäre er schroff und hartherzig gewesen, würden sie sich von ihm abwenden (siehe 3/159).

Beispiele aus dem Leben des Propheten sind, dass er kranken Juden einen Besuch abstattete, deren Einladungen entgegen nahm, mit ihnen Handel trieb, sie zu sich einlud, ihnen seine Moschee für den Gottesdienst zur Verfügung stellte und selbst, als ein jüdischer Trauerzug vorbeiging, respektvoll aufstand. Auf die Frage, warum er dies mache, habe er geantwortete: „Er ist auch ein Mensch!“.  Er erinnerte immer wieder seine Gefährten daran, auf die Beziehung zu den Mitmenschen zu achten und übergab sogar noch vor seinem Tod die Christen und Juden in die Obhut seiner Gefährten: „Wer einem Juden oder Christen Unrecht tut, dessen Ankläger werde ich am Tage des Jüngsten Gerichtes sein“.

Muhammad sah sich Jesus und Moses sowohl im Diesseits als auch im Jenseits von allen Menschen am nächsten. Für ihn waren die Muslime Glaubensbrüder und die Nicht-Muslime enge Nachbarn, Freunde oder Mitmenschen in derselben Gesellschaft. Im medinensischen Vertrag verankerte er die friedliche Koexistenz der unterschiedlichen Religionen und Kulturen. Dieser wurde direkt nach der Auswanderung nach Medina erstellt. In dieser Vereinbarung werden den Minderheiten wie Juden und Christen Frieden, Sicherheit, Gerechtigkeit und Freiheit unter den Muslimen garantiert.

Schlusswort

Wer seine Mitmenschen nicht ernst nimmt, sie nicht verstehen will oder sich von ihnen abwendet, wird von Unwissenheit gegenüber dem Anderen, von Unterstellungen und Vorurteilen gefesselt. Um diesen zu entkommen, ist der Dialog obligatorisch. Der Dialog ist eine Art universelles Medikament, das die historischen, kulturellen und soziologischen Konflikte und Unterschiede heilt und diese somit vergessen lässt. Durch Dialog entsteht die Freundesliebe, und diese Liebe ist universell anwendbar, „denn selbst wenn die Waffe eines Menschen Liebe ist, benötigt er keine andere Waffe. Die Liebe ist stark genug, um auch ein Gewehr oder sogar eine Kanonenkugel zu stoppen. Sie ist die treibende Kraft eines jeden Lebewesens. Sie ist ein strahlendes Licht, eine bedeutende Macht, die jeder Außeneinwirkung standhalten und sie überwinden kann “.

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe (Juli-September 2014) der Zeitschrift Fontäne erschienen.