Menschenrechte
„Jede Brücke zur Türkei sollte genutzt werden“
Frank Heinrich setzt sich als CDU-Abgeordneter im Deutschen Bundestag für Menschenrechte ein. Im Interview mit DTJ-Online fordert er die Einhaltung universeller Menschenrechte in der Türkei. Zugleich wirbt er aber auch für gegenseitiges Verständnis – und neue Gesprächsformate.
Herr Heinrich, wie viele Verstöße gegen Menschenrechte und gegen sicherheitspolitische Absprachen kann sich die Türkei noch leisten, bis die EU und die Bundesrepublik klarer positionieren – und zum Beispiel die EU-Beitrittsverhandlungen abbrechen?
Nach dem Putsch 2016 und den anschließenden Säuberungen in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und den Sicherheitskreisen war die direkte Folge, dass die EU-Beitrittsverhandlungen zwar nicht abgebrochen, aber zumindest auf Pause gesetzt wurden. Das heißt: Die Europäer haben sozusagen zwar nicht die rote Karte gezogen. Aber man hat sehr deutlich gemacht, dass man so etwas nicht akzeptiert. Trotzdem glaube ich, dass man Beitrittsverhandlungen nicht von einer Anzahl von Menschenrechtsverletzungen abhängig machen sollte. Allerdings steigt die Besorgnis in Deutschland – und mit ihr intensivieren sich die entsprechenden Rückmeldungen an die Türkei.
Dennoch: Es gibt Stimmen, die ein vollständiges Ende der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei fordern. Damit wären Milliarden an Zuschüssen für das Land weg. Ist das eine Möglichkeit, den Präsidenten zur Räson zu bringen?
Ich kann mir gut vorstellen, dass es, um im Bild zu bleiben, in den vielen Karten der EU oder Deutschlands tatsächlich eine solche Karte gibt, mit der man überlegt, wann und ob man sie spielt. Aber ob die Hand schon zuckt, um diese Karte zu spielen? Das wage ich zu bezweifeln. Verteidiger der Menschenrechte und Politiker in Deutschland – unterschiedlichster Couleur, übrigens – sehen aber ein deutlicher werdendes Auftreten der Bundesregierung.
„Vorstellungen universeller Menschenrechte unverrückbar“
Aktuell schlägt die türkische Regierung wiederum sanftere Töne an. Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu will in den Beziehungen mit der EU „ein neues Kapitel aufschlagen“.
Das hört sich natürlich sehr blumig an, aber ich halte das für ein Vereinnahmungsangebot. Nett gemeint. Wohlwollend. Und auch in der Formulierung wirkt das eher wie der rote Teppich. Das wird bei uns natürlich positiv zur Kenntnis genommen. Aber das heißt nicht, dass man darauf sofort reagiert. So einfältig, glaube ich, sind Deutschland und die EU nicht. Aber wir sind gerne bereit, tiefere, nähere und freundschaftlichere Beziehungen als jetzt zu haben. Unsere Vorstellungen von der Einhaltung universeller Menschenrechte bleiben unverrückbar.
Stichwort Menschenrechte: Ende März kommen die Staats- und Regierungschefs der EU zusammen, um über weitere Sanktionen gegen die Türkei zu diskutieren. Sind Sie für oder gegen neue Sanktionen?
Die weiteren Schritte gehen nur im Miteinander, wenn die Absichten aller Partner nichts mit Menschenrechtsverletzungen zu tun haben. Das muss allen klar sein. Den Berichten des Auswärtigen Amtes entnehme ich aber, dass die Menschenrechtssituation in der Türkei besorgniserregend ist. Da ist die Rede von Säuberungen, die ich – mit Ausnahme von Weißrussland – aus Europa nicht kenne. Und das hat auch das Auswärtige Amt erkannt. Zumindest nehme ich eine verschärfte Kommunikation wahr.
„Flüchtlingspakt immer noch die beste Lösung“
In Sachen Menschenrechte und Türkei spielt auch immer das Flüchtlingsabkommen eine Rolle. Kurz nach seinem fünften Jahrestag steckt es in einer Sackgasse. Ankara fordert mehr Geld und mehr Unterstützung für die Millionen von Flüchtlingen, die sich in der Türkei aufhalten. Die EU lässt sich darauf bislang nicht ein. Wie soll es mit dem Abkommen weitergehen?
Also, solange wir keine bessere Idee haben – und ich bin sehr offen für jeden Verbesserungsvorschlag – ist das Abkommen für alle Beteiligten immer noch die beste Lösung. Aber ich wünschte, es wäre besser. Ich meine explizit auch für die Flüchtlinge. Jüngste Berichte des UNHCR, die die türkischen Camps beurteilen, sind aber durchaus positiv. Aber dieser Pferdefuß der Erpressbarkeit ist für mich sehr schmerzhaft.
Sie sprechen es an: Es ist nun ein Jahr her, dass dramatische Bilder an der türkisch-griechischen Grenze um die Welt gingen. Die Türkei öffnete damals die Grenzen Richtung Europa, weil sie die Einmischung Europas in ihre militärische Offensive in der syrischen Provinz Idlib störte.
Ich hoffe, dass der Gipfel mit der Türkei Formulierungen findet, die diese Erpressbarkeit rausnehmen. Damit wir deutlicher die Menschenrechtslage in anderen Bereichen der Türkei anprangern können. Aktuell steht es ja mit dem drohenden HDP-Verbot nicht gut um die Demokratie im Land. Da kann der Außenminister noch so nette Worte von sich geben. Sorry, aber damit ist der rote Teppich schon wieder bekleckert.
„In Flüchtlingsfrage endlich zu Potte kommen“
In der EU gibt es keinen Konsens über die Aufnahme von weiteren Geflüchteten. Kritiker sagen: Statt nach einer Lösung zu suchen, wird das Problem in die Türkei verlagert und mit viel Geld zugedeckt.
Es gibt zwei Lager in der Politik. Die Einen sind froh, diesen bezahlten Schutzwall zu haben. Die Anderen plagen menschenrechtliche Bedenken.
Und zu welcher Gruppe zählen Sie sich?
Ich würde mich irgendwo in der Mitte einordnen. Denn ich sehe sowohl den Regulierungsbedarf, habe aber auch Probleme mit der Situation der Geflüchteten an den EU-Außengrenzen. Das aktuelle Abkommen darf nicht das Ende der Fahnenstange sein. Allerdings gibt es in der EU bislang keine Einigkeit über die Aufnahme und Verteilung der Flüchtlinge. In Deutschland haben wir dafür den Königsteiner Schlüssel, der die Aufnahmezahlen der Bundesländer regelt. So etwas wünsche ich mir auch für Europa und es wird Zeit, dass wir in der Flüchtlingsfrage endlich zu Potte kommen.
Wie sollte künftig international mit der Türkei umgegangen werden? Druck ausüben, Ultimaten stellen oder stillhalten?
Ich wünsche mir, dass auf allen diplomatischen Ebenen der genannte rote Teppich genutzt wird. Jedes Angebot, jede Gesprächsmöglichkeit, jede Brücke sollte genutzt werden. Es geht darum, der Türkei als Beitrittskandidat die europäischen Werte näherzubringen. Und das muss an jeder Stelle mit offenem Visier eingebracht werden, auch wenn es hin und wieder schmerzhaft sein kann.
Vielen Dank für das Gespräch!
Der Bundestagsabgeordnete Frank Heinrich (CDU) sitzt im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Dort ist er stellvertretender Berichterstatter für Menschenhandel und Sklaverei.
Äußerungen unserer Gesprächspartner:innen geben deren eigene Auffassungen wieder.