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Politik

Barzani: „Unsere Geduld ist am Ende“

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Vollendete Tatsachen: Wie der Präsident der Regionalregierung Kurdistans, Massoud Barzani, in Arbil mitteilte, sei ein Referendum über die Zugehörigkeit der strittigen Kurdengebiete zwischen der KRG und Bagdad nicht mehr notwendig. (Foto: reuters)

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Massoud Barzani, Präsident der Regionalregierung Kurdistans.
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GASTBEITRAG Die Lage im Irak wird seit der Offensive mehrerer bewaffneter sunnitischer Gruppen, darunter auch der terroristischen Bewegung „Islamische Staat im Irak und in Syrien“ (ISIS), vor rund zwei Wochen immer unübersichtlicher. Während die eigentlich gut ausgerüstete irakische Armee bei ersten Gefechten ihre Stellungen im Norden und Westen des Landes fluchtartig verließ, stießen die radikalen ISIS-Kämpfer immer weiter ins Landesinnere vor. Ihr erklärtes Ziel ist die irakische Hauptstadt Bagdad.

Das Chaos im Land könnte jedoch zum Glücksfall für eine andere Bevölkerungsgruppe im Irak werden: Die Kurden.

Seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts pochen die Kurden im Irak auf mehr Selbstbestimmung. Nach Jahren der Unterdrückung und des Partisanenkampfes erlangten die Kurden im Nordirak in den siebziger Jahren Teilautonomie und nach dem Zweiten Golfkrieg de facto Autonomie. Doch einige von den Kurden beanspruchte Gebiete, allen voran die Stadt Kirkuk mit ihren Erdöl-Feldern, verblieben unter der Kontrolle Bagdads. Durch die momentane Schwäche der irakischen Zentralregierung sieht die Kurdische Regionalregierung jedoch anscheinend ihre Chance gekommen, vollendete Tatsachen zu schaffen.

Der Präsident der Kurdischen Regionalregierung, Massoud Barzani, sagte nun im nordirakischen Arbil auf einer Pressekonferenz mit dem britischen Außenminister William Hague mit Blick auf Kirkuk, dass „das irakische Volk seit mehr als zehn Jahren auf die Umsetzung des Artikels 140a der irakischen Verfassung warte, die Geduld nun aber am Ende“ sei.

Kirkuk ist de facto kurdisch

Barzani tätigte diese Äußerungen vor dem Hintergrund, dass nach jüngsten Kämpfen und dem Zerfall der irakischen Sicherheitskräfte im Nordirak in den umstrittenen Gebieten Sinjar und besonders der erdölreichsten Stadt Kirkuk ein Sicherheits-Vakuum entstand, das kurdische Einheiten nun füllen.

Nach dem überstürzten Rückzug der irakischen Armee aus der Stadt rückten Verbände der kurdischen Peshmerga in Kirkuk ein und verhinderten so ein Abgleiten der Region ins Chaos. Die Peshmerga sichern nun die Grenzen zu den von sunnitischen Gruppen und ISIS eroberten Gebieten, wo seit der Einnahme der zweitgrößten irakischen Stadt Mossul de facto das Recht des Stärkeren gilt.

Die Zahl der eingesetzten kurdischen Sicherheitskräfte beträgt nach Einschätzung der regionalen Presse mindestens 5000 Kämpfer.

Die Spätfolgen des Irakkrieges von 2003

Kirkuk, eine Stadt mit einer bedeutenden kurdischen und turkmenischen Bevölkerung, blickt auf eine lange und oft dunkle Vergangenheit zurück: Während die Stadt ihre Blütezeit unter osmanischer Herrschaft erlebte, wurde sie auch aufgrund ihres Öl-Reichtums unter den Baathisten einer Arabisierungspolitik unterzogen und die einheimische Bevölkerung teilweise zwangsumgesiedelt.

Vor dem Sturz des damaligen Präsidenten Saddam Hussein im Jahr 2003 durch die von den USA angeführte „Koalition der Willigen“ befanden sich die Stadt und die restlichen strittigen Gebiete unter arabischer Verwaltung. Seit dem Einmarsch der Amerikaner erheben die Kurden wieder den vollen Anspruch auf Kirkuk.

Bereits 1975 kostete der Herrschaftsanspruch auf Kirkuk die Kurden ihre fünfjährige Autonomie. Damals bezeichnete der Führer der irakischen Kurden und Vater des jetzigen Präsidenten, Molla Mustafa Barzani, Kirkuk als das Herz Kurdistans und unterlag daraufhin militärisch den Truppen Bagdads, das seinerseits Kirkuk für sich beanspruchte. Um die Zukunft der geostrategisch bedeutsamen Stadt zu klären, sah die neue irakische Verfassung im Artikel 140 a vor, ein Referendum in allen strittigen Gebieten abzuhalten. Barzani distanzierte sich daher bislang ausdrücklich von militärischen Mitteln.

Nun aber sehen sich die Kurden in einer Zwickmühle: Barzani beharrt seit 2005 auf der Durchführung einer Volksabstimmung. Die irakische Zentralregierung unter Ministerpräsident Nouri al-Maliki verzögerte das Referendum aber bis zuletzt und übte stattdessen die alleinige Kontrolle in Kirkuk aus. Barzani sieht das jetzige Sicherheitsvakuum daher anscheinend als willkommenen Anlass, seine Streitkräfte nach Kirkuk zu schicken: „Wir warten seit 10 Jahren darauf, dass die irakische Regierung das Problem innerhalb der umstrittenen Gebiete auf der Grundlage des Art. 140 löst. Leider ohne Erfolg“, erklärte Barzani vor der Presse.

Irakische Armee startet Großoffensive – Warnung auch an die Kurden?

Währenddessen hat die irakische Armee von Süden her eine Großoffensive in Tikrit, der Geburtsstadt des  gestürzten und gehenkten früheren irakischen Präsidenten Saddam Hussein, gestartet und bereits erste Geländegewinne verzeichnet. Der Irak hat außerdem nach zähen Verhandlungen um neue F-16-Kampfjets mit Washington nun aus Moskau mehr als ein Dutzend alter Suchoi-Kampfflieger im Wert von rund 500 Millionen US-Dollar erhalten hat, um damit die gestartete Offensive auszuweiten.

Was der irakische Präsident Nouri al-Maliki von dem Erstarken des kurdischen Selbstbewusstseins und der Einverleibung der genannten Gebiete hält, ist nicht bekannt. Doch der kostspielige Einkauf in Russland könnte zugleich als Drohung gegen die Kurden verstanden werden. Meldungen des irakischen Staatsfernsehens Al Iraqiya zufolge plant al-Maliki vorerst, zusammen mit den Kurden gegen die aufständischen sunnitischen Stämme und den ISIS vorzugehen.