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Politik

„Gottesstaat“ Iran und „Großer Satan“ USA wollen kooperieren

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Für die USA war der Iran lange Zeit nur der „Gottesstaat“, umgekehrt sah Teheran in Washington den „Großen Satan“. Der Vormarsch der terroristischen Isis im Irak lässt die beiden seit 1979 verfeindeten Staaten erste zarte Bande knüpfen. (Foto: rtr)

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Obama und Rohani
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Lange Zeit galten sie als Erzfeinde. Aus Sicht der USA war der Iran ein Gottesstaat aus dem Mittelalter, der eines der dunklen Mächte hinter dem internationalen Terror war. Die „islamische“ Revolution in Iran war hingegen auch eine Revolution gegen den Westen, insbesondere die USA. Die USA waren der „Große Satan“, verantwortlich für alles Unheil auf der Welt. Noch bis zur Machtübernahme von Hassan Rohani war das die Grundlage für den offiziellen Umgang miteinander. Nun will man zusammen arbeiten.

Denn Vertreter der USA und des Irans haben sich erstmals zu direkten Gesprächen über die Krise im Irak getroffen. Abgesandte hätten am Rande der Atomverhandlungen in Wien kurz über den Vormarsch der terroristischen Miliz Isis geredet, sagte ein hochrangiger Vertreter des US-Außenamtes in der Nacht auf Dienstag.

Die USA sorgen sich um einen „Zerfall des irakischen Staates und die Stabilität der Region“. Den Einsatz von Bodentruppen im Kampf gegen die Extremisten hat Präsident Barack Obama ausgeschlossen. Seine Regierung entsendet nun aber zusätzliche Soldaten zum Schutz der Botschaft in der Hauptstadt Bagdad.

Auch der schiitische Iran befürchtet eine Machtübernahme im schiitisch regierten Bagdad durch die radikalen Sunniten der Isis. Präsident Hassan Rohani hatte sich grundsätzlich offen für eine Zusammenarbeit mit den USA im Kampf gegen die Gruppe gezeigt.

Washington sei bereit, sich sowohl mit Teheran als auch mit anderen Mächten in der Region über das Vorgehen gegen die Isis-Kämpfer abzustimmen, sagte der Vertreter des US-Außenamtes weiter. Eine militärische Zusammenarbeit mit der Islamischen Republik werde es aber nicht geben. Zuvor hatte Außenminister John Kerry noch dem Portal Yahoo erklärt, er würde „nichts ausschließen, was konstruktiv wäre.“ Die USA erwägten zudem Drohnenangriffe auf die Extremisten. Mittels gezielter Angriffe waren bereits einige führende Terroristen von Isis-Vorgängergruppen ausgeschaltet worden, beispielsweise 2006 Abu Musab az-Zarqawi.

Intervention von US-Bodentruppen politisch nicht durchzusetzen

Die USA bereiten nach Einschätzung des Nahost-Experten Michael Lüders wahrscheinlich Militärschläge auf Stellungen der Terrorgruppe Isis im Irak vor. Bei der angekündigten Entsendung einer US-Spezialeinheit gehe es nicht nur darum, amerikanische Bürger zu schützen, sagte Lüders am Dienstag dem Sender n-tv. „Die Kunst besteht für die amerikanische Führung darin, nicht den Eindruck zu erwecken, noch einmal mit Bodentruppen massiv im Irak intervenieren zu wollen.“ Das könnte Präsident Barack Obama innenpolitisch nicht verkaufen. „Aber es ist ganz klar: Die USA wollen etwas unternehmen, sie wollen nicht zusehen, wie der Irak zerfällt und radikale Sunniten die Oberherrschaft in weiten Teilen des Iraks übernehmen.“

In dem Konflikt spiele der Iran eine „sehr wesentliche Rolle“, sagte Lüders. Teheran sei paradoxerweise neben Washington der engste Verbündete des irakischen Regierungschefs Nuri al-Maliki. „Das ist das Erstaunliche in dieser Krise, dass auf einmal ehemalige Feinde zusammenrücken. Wohin das Ganze führt, mit Blick auf die USA und den Iran, bleibt abzuwarten. Aber dass es schon eine Kooperation gibt, Gespräche in dieser Frage, das ist schon eine kleine Sensation.“ Auch die Türkei und die Kurden im Norden des Iraks arbeiteten mittlerweile sehr eng zusammen. „Auch das ist erstaunlich mit Blick darauf, dass ja die Kurden in der Türkei selbst seit Jahrzehnten unterdrückt werden.“

Wie Präsident Obama in einem Brief an den Kongress mitteilte, entsendet die US-Regierung zudem eine 275 Mann starke Spezialeinheit des Militärs in den Irak, um die Botschaft in Bagdad und die dort arbeitenden Amerikaner zu schützen. Die Truppe sei wenn nötig auch für den Kampf gerüstet. „Diese Einheit wird im Irak bleiben, bis die Sicherheitslage es nicht länger erfordert“, hieß es in dem Schreiben. Die irakische Regierung habe dem Schritt zugestimmt.

Logistische Unterstützung geplant

Nach Angaben des Verteidigungsministeriums erreichten 170 der Soldaten Bagdad bereits am Wochenende. Rund 100 weitere sollen falls erforderlich Flugplätze verwalten, logistische Maßnahmen unterstützen und zur Sicherheit beitragen. Bisher waren im Irak zwischen 200 und 300 Soldaten stationiert, um US-Einrichtungen zu schützen und irakische Sicherheitsleute zu unterstützen.

Nach einem Verband um den Flugzeugträger „George H.W. Bush“ entsandte Washington am Montag zudem das Kriegsschiff „USS Mesa Verde“ in den Persischen Golf. Es ist für amphibische Einsätze konzipiert und trägt nach Militärangaben derzeit ein senkrecht startendes Flugzeug.

Die Isis hatte vergangene Woche große Teile des Iraks eingenommen. Experten schätzen ihre Stärke auf rund 10 000 Mann. Die weitaus größere irakische Armee begann am Wochenende eine Gegenoffensive, um mit Kurdenverbänden (Peshmerga) und Tausenden Freiwilligen unter anderem die nördliche Millionenmetropole Mossul zurückzuerobern. Die Gefechte dauerten am Montag an – unter anderem in der Region Bakuba, 60 Kilometer vor den Toren Bagdads. Auch am Bagdader Flughafen gab es Gefechte. Nach ersten Erfolgen drängten die irakischen Kurden auf eine Erweiterung ihres Autonomiegebiets.

UNO spricht von „Kriegsverbrechen“

UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay verurteilte die Hinrichtung Hunderter irakischer Soldaten und Zivilisten durch vorrückende Isis-Kräfte. „Obwohl die Zahlen noch nicht verifiziert werden können, stellt diese systematische Serie kaltblütiger Hinrichtungen, überwiegend an verschiedenen Orten im Bereich um Tikrit, fast sicherlich ein Kriegsverbrechen dar“, sagte sie.

Wie „Spiegel Online“ ohne nähere Quellenangaben berichtete, wurden 50 ausländische Mitarbeiter der Firma Siemens aus einem von Isis-Kämpfern kontrollierten Gebiet gerettet, unter ihnen acht Deutsche. Irakische Militärhubschrauber und ein von Siemens gechartertes Flugzeug flogen die Gruppe von Sonntagmittag an aus der Gefahrenzone rund 200 Kilometer nördlich von Bagdad. Die Techniker führten dort an einem Kraftwerk Modernisierungsarbeiten durch. Das Auswärtige Amt in Berlin bestätigte dem Internetportal demnach am späten Montagabend, dass nunmehr alle Deutschen sicher in Bagdad und dem nordirakischen Erbil angekommen seien.

Nördlich der irakischen Hauptstadt Bagdad dauern die Gefechte zwischen so genannten „djihadistischen Milizen“ und kurdischen sowie irakischen Soldaten an. Wie das Nachrichtenportal „Sumaria News“ am Dienstag berichtete, verhinderten Sicherheitskräfte in der Provinz Kirkuk einen Angriff sunnitischer Extremisten der Gruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (Isis) auf einen Schiitenschrein. In der Provinz Dijala seien zudem bei Gefechten mindestens 19 radikale Islamisten getötet worden, hieß es weiter.

Die Terrorgruppe Isis hatte in der vergangenen Woche die Millionenstadt Mossul im Nordirak eingenommen und sich daraufhin in Richtung Bagdad bewegt. Inzwischen haben sich kurdische und irakische Streitkräfte neu formiert und leisten zusammen mit zahlreichen Freiwilligen zunehmend Gegenwehr. Viele Schiiten meldeten sich zum Dienst an der Waffe, um sich den Djihadisten entgegenzustellen. Die jüngste Eskalation dürfte die Spaltung zwischen Sunniten und Schiiten im Irak noch weiter vorantreiben. (dpa/dtj)