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Politik

Irans Frieden mit dem „großen Satan“ und die Rolle der Türkei

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Iran hat unter Ruhani die starke antiwestliche und antiisraelische Rhetorik aus der Gründerzeit der Revolution stark zurückgefahren.
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Sind Ideologen und Dogmatiker die besseren Realpolitiker? Oder anders gefragt; brauchen Realpolitiker Ideologien und politische Dogmen, um ihre Macht nach innen zu legitimieren und ihre Interessen gegenüber der internationalen Gemeinschaft durchzusetzen?

Die iranische Revolution von 1979 sah sich als eine „islamische“ und zugleich als eine „antiimperialistische“ Revolution. Sie hat die Revolutionsidee nicht nur in den schiitischen Raum, sondern auch in die sunnitischen Länder, wie z.B. in die Türkei exportiert. Neben der sunnitischen Muslimbruderschaft aus Ägypten ist die schiitisch-islamische Revolution und die darauf folgende aggressive Expansionspolitik Teherans der zweite wichtige Faktor, der starken Einfluss auf den politischen Islam auch in der Türkei ausgeübt hat. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan spricht nicht grundlos vom Iran als seiner „zweiten Heimat“.

Der Vordenker der iranischen Revolution, Ali Schariati, ist für den politischen Islam genauso von Bedeutung wie Seyyit Qutub. Akteure des politischen Islams, wie der Journalist und Autor von mehreren Büchern, Abdurrahman Dilipak, relativieren nicht nur den Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten. Sie gehen einen Schritt weiter und konstruieren die „Umma“ – Gemeinschaft der gesamten Muslime – als ein Gegenentwurf zur Nation. Ob es realpolitische Voraussetzungen dafür gibt oder wie sie geschaffen werden können, ist von sekundärer Bedeutung. Die iranische Revolution hat die Hoffnung zur Überwindung des aus der Entstehungszeit des Islam stammenden Gegensatzes zwischen Sunnitentum und Schiitentum genährt. Es gab eine wenn auch kleine aber reale Chance dazu in der Person des Revolutionsführers Ayatollah Khomeini.

Der charismatische Politiker war zugleich eine große religiöse Autorität für die Schiiten. Eine theologische Neudeutung der Streithemen zwischen Sunniten und Schiiten von ihm hätte die Grundlage für einen konstruktiven Dialog seien können. So sehr Khomeini politisch die gesamte islamische Welt angesprochen hat, so wenig hat er jedoch seine große religiöse Autorität dafür genutzt den theologischen Gegensatz zu überwinden. Im Rückblick eine vertane Chance, die es vielleicht nur einmal in einigen Jahrhunderten geben kann.

Der Iran spielt in allen Konflikten der Region eine wichtige Rolle

Iran hat mit der „islamischen“ und „anti-imperialistischen“ Revolution seinen nationalen Einfluss in den vergangenen 25 Jahren kontinuierlich ausgebaut. Er ist mittlerweile  einer der wenigen handlungsfähigen Staaten in der Region und spielt von Syrien bis Jemen in allen regionalen Konflikten eine wichtige Rolle. Wenn man Politik als Erweiterung der eigenen Macht und Nutzung jeder Möglichkeit zur Gestaltung auf nationaler und internationaler Ebene versteht, dann ist es dem Iran gelungen, erfolgreich Politik zu betreiben.

Von dieser Position aus hat der Iran nun seine Nuklearpolitik, die aus den pro-westlichen Schah-Zeiten stammt, zur Verhandlungsgegenstand mit den E3+3 Ländern gemacht. Mit E 3 sind die EU-Mitglieder England, Deutschland und Frankreich gemeint. Hinzu kommen die USA, China und Russland. Obwohl sich Russland und die USA wegen dem Ukraine-Konflikt in einer neuen Form des „Kalten Krieg“ befinden, haben sie in der Iran-Frage konstruktiv zusammen gearbeitet. Ansonsten wäre eine Einigung kaum möglich gewesen, wobei nicht ganz klar ist, worin man sich eigentlich geeinigt hat. Im Schweizer Lausanne, wo auch das Abkommen mit der Türkei nach dem Freiheitskampf vor fast 100 Jahren unterzeichnet wurde, ist vereinbart worden, ein mögliches nicht näher definiertes Nuklearabkommen in den kommenden 25 Jahren umzusetzen. Doch auf den Straßen von Teheran wird gefeiert.

Es beginnt also ein langwieriger Prozess: Die internationale Kontrolle über das iranische Nuklearprogramm soll gestärkt und zugleich sollen die Sanktionen, unter denen das iranische Volk mehr leidet als die Führungseliten und ihre Familien, gelockert oder sogar aufgehoben werden.

Iran hat unter Ruhani die starke antiwestliche und antiisraelische Rhetorik aus der Gründerzeit der Revolution stark zurückgefahren. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Mahmoud Ahmadinedschad wirkt er wie ein intellektueller Staatsmann im Gewand eines Ajatollahs, dem es nicht unbedingt darauf ankommt, bei jeder Gelegenheit den „großen Satan“ zu verfluchen und Israel sein Ende zu prophezeien. Dies wäre auch sehr schädlich für die schwierigen Verhandlungen gewesen.

Und die Türkei?

Der türkische Präsident war nach der Einigung in der Schweiz zu Besuch in seiner„zweiten Heimat“. Die klugen Machthaber lobten ihn für seine Vermittlerrolle vor einigen Jahren. Jedoch spielt die Türkei tatsächlich keine Rolle mehr in dem Streit zwischen Westen und dem Iran. Sie war weder in Lausanne vertreten noch hat sie in der zweiten Reihe einen Platz einnehmen dürfen. Das Land am Bosporus ist damit beschäftigt, die Machtgier eines Politikers zu stillen, der ein Präsidialsystem á la Turca einführen will. Dass dabei die Türkei innenpolitisch in eine Systemkrise mit offenem Ausgang gerät und außenpolitisch zunehmend isoliert wird – die AKP-Regierung verschleiert diese Isolation mit dem Begriff „wertvolle Einsamkeit“ – spielt dabei keine Rolle.

Der neue Liebling des Westens in der Region heißt nicht Türkei, sondern Iran.