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Politik

Türkei weist Extremisten aus, behandelt aber wohl IS-Kämpfer in Krankenhäusern

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US-Außenminister Kerry wird bei seinem Besuch in Ankara eine stärkere Beteiligung Ankaras im Kampf gegen die Terrormiliz IS (ehem. ISIS) anmahnen. Realistisch ist dabei jedoch nur ein rigideres Vorgehen gegen europäische Djihad-Touristen. (Foto: reuters)

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Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS, ehem. ISIS) hat nach Angaben des Geheimdienstes CIA zwischen 20 000 und 31 500 Angehörige im Irak und in Syrien. Das berichtet die dpa unter Berufung auf einen Bericht des US-Nachrichtensenders CNN am Donnerstag (Ortszeit) unter Berufung auf einen Sprecher der Spionagebehörde. Diese Gesamtzahl sei durch eine verstärkte Rekrutierung seit Juni gestiegen. Gründe für den stärkeren Zulauf seien unter anderem „Erfolge auf dem Schlachtfeld und die Ausrufung eines Kalifates“. Zudem habe die Miliz zusätzliche Informationsquellen erschlossen.

Der ungebrochene Zulauf zu den Extremisten bringt die Türkei in Zugzwang. Wenn US-Außenminister John Kerry im Anschluss an seinen Staatsbesuch in Saudi-Arabien noch am Freitag nach Ankara reisen wird, wird erwartet, dass er namens der USA und anderer westlicher Verbündeter auf ein stärkeres Engagement auch seitens der Türkei im Kampf gegen den terroristischen IS zur Sprache bringen wird.

Ein aktives militärisches Engagement bei der Zerstörung der Gruppe, wie es sich der Westen von Ankara wünscht, wird es jedoch nicht geben. Alleine schon die Geiselnahme von 49 Personen, darunter 46 türkischen Staatsangehörigen, die sich seit der Stürmung der Botschaft von Mossul in der Gewalt der Terroristen befinden, macht einen aktiven Kampfeinsatz der Armee aus Sicht der Regierung zu einem No-Go.

Anders sieht es schon hinsichtlich der Forderung aus, die Nachschublinien der Terroristen zu durchtrennen und zu blockieren, deren Personen- und zum Teil auch Waffentransit vielfach durch die Türkei verlief. Wie die Tageszeitung „Die Welt“ berichtet, soll Ankara nach Angaben des französischen Senders RTL vom Donnerstag einen mutmaßlichen IS-Rekrutierer mit französischem Pass namens Mourad Fares nach Frankreich abgeschoben haben.

Außerdem sollen, so berichtet „Taraf“, ein IS-Führungsmitglied und acht weitere verwundete Kämpfer seien im August in einem Spital im Südosten der Türkei auf Staatskosten versorgt worden. Dies soll aus einer Liste der Patienten aus dem Krankenhaus in Şianlurfa hervorgehen, bei der die Familiennamen nur mit Initial verzeichnet sind und die dem Blatt zugespielt worden sein soll. Unter den Verwundeten, die der Zeitung zufolge über den türkischen Grenzübergang Akçakale gebracht wurden, soll demnach auch Ahmet El H., der dem IS-Führer Abu Bakr al-Bagdadi nahestehen soll und bei einem Bombenangriff in der nordsyrischen Provinz Rakka am 20. August schwer verletzt worden sein und seinen linken Fuß verloren haben soll.

Antakya als Treffpunkt, Trainingslager hinter der Grenze

Da die Türkei Experten zufolge in den ersten Jahren des seit 2011 tobenden Bürgerkrieges in Syrien hinsichtlich der Reise- und Transporttätigkeit von IS-Kadern oder aus Europa kommenden Kämpfern nach Syrien beide Augen zugedrückt haben soll, weil man dachte, auf diese Weise den Sturz der Regierung des syrischen Präsidenten Bashar al-Assad zu beschleunigen, wurde die Türkei zur bevorzugten Route für Extremisten, um nach Syrien zu gelangen. Der IS soll unter anderem Trainingslager für Neuankömmlinge auf syrischer Seite direkt an der türkischen Grenze unterhalten. In Städten wie Antakya sollen Kontaktpersonen die Extremisten in Empfang nehmen, einweisen und über die Grenze befördern.

Letzterer Praxis hat die Türkei mittlerweile den Kampf angesagt. Der Weg über die Grenze wird für die Extremisten steiniger, mittlerweile verlangen Schmuggler hohe Geldsummen, um Neuankömmlinge über die grüne Grenze zu bringen.

Ankara hat nach eigenen Angaben im Laufe der vergangenen zwei Jahre auch bereits 830 Personen, die im Verdacht standen, nach Syrien weiterreisen zu wollen, um aufseiten des IS zu kämpfen, in ihre europäischen Herkunftsländer zurückgeschickt. Auch sollen neue Sondereinheiten an den Grenzen und Flughäfen geschaffen worden sein, deren primäres Ziel die Identifizierung potenzieller IS-Kämpfer sein solle. Auf den beiden Flughäfen Sabiha Gökcen und Atatürk in Istanbul sollen bislang ebenfalls etwa 250 auffällige Passagiere aus europäischen Ländern gestoppt und 54 davon deportiert worden sein. Dazu kamen verstärkte Maßnahmen gegen Schmuggler entlang der syrischen Grenze.

Ein Sechstel der ausländischen IS-Freiwilligen kommt aus Europa

Im Unterschied zu früher bekommt die Türkei allerdings mittlerweile auch sachdienliche Hinweise durch westliche Verbündete, die zur Ergreifung möglicher IS-Freiwilliger führen, bevor diese Schaden anrichten können. So sollen die Namen von insgesamt 4700 Personen an die türkischen Behörden weitergereicht worden sein, die westliche Dienste im Verdacht haben, „Djihad“-Pläne zu haben. Rund 2000 „Djihadisten“ aus Europa sollen bereits nach Syrien gegangen sein, nicht nur Konvertiten oder radikalisierte Muslime aus Ländern wie Belgien, England oder Deutschland. Auch im Kosovo, in Albanien und in Bosnien soll es in Randbereichen zu Rekrutierungen für den „Djihad“ kommen.

Insgesamt 12 000 ausländische „Djihadisten“ sollen sich bislang dem IS angeschlossen haben, ein Sechstel davon komme aus Europa, der Rest aus arabischen Ländern oder Zentralasien. Neben der Ergreifung europäischer „Abenteuerurlauber“ in Sachen IS steht die Türkei auch vor dem Problem des Umgangs mit Syrienrückkehrern, die über die türkische Staatsangehörigkeit verfügen und die sich so einfach weder abschieben noch an der Ausreise hindern lassen. Dass auf Grund der großzügigeren Visapraxis militärisch ausgebildeten Extremisten zurück in den Schengen-Raum gelangen, könnte auch die Verhandlungen zur Aufhebung der Visumspflicht für türkische Bürger in der EU belasten.

Für die Türkei ist es zudem undenkbar, sich an Aktionen gegen den IS ohne UN-Mandat zu beteiligen. Zudem missfällt Ankara die bereitwillige Ausstattung kurdischer Kämpfer mit Waffen, da man befürchtet, dass diese eines Tages wieder seitens der PKK gegen die Türkei gerichtet werden könnten.