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Politik

Hürriyet: Mehrere türkische Städte sind IS-Schwerpunkte

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Wie Hürriyet recherchierte, haben sich in mehreren türkischen Städten Strukturen gebildet, die eine Gewinnung von Rekruten für IS erleichtern. Freiwillige finden sich in fast allen Ecken des Landes und in mehreren Volksgruppen.

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IS-Terror: Wie Hürriyet recherchierte, haben sich in mehreren türkischen Städten Strukturen gebildet, die eine Gewinnung von Rekruten für IS erleichtern.
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In einer aufwändigen und über mehrere Monate hinweg geführten Recherche hat die Hürriyet sich auf die Suche nach neuralgischen Orten für die Rekrutierung von Kämpfern für die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS, vorm. ISIS) gemacht und nach dem Umfeld, aus dem heraus sich Nachwuchs für die Extremisten mobilisieren lässt.

Dabei haben sich einige Brennpunkte gezeigt, die quer über die Türkei verteilt sind und jeweils ihre lokalen Einflussfaktoren aufweisen, die eine Wühlarbeit des IS als aussichtsreich erscheinen lassen.

Eine der Hochburgen für die Gewinnung von Kämpfern für die Terrororganisation ist beispielsweise Gaziantep. Dort ist eine besonders hohe Anzahl an syrischen Flüchtlingen vorhanden. Sympathisanten oder Rekrutierer der Terrororganisation eröffnen als Moscheen oder Klubräume getarnte Etablissements, wo Akteure wie „Genç Müslümanlar“ (Junge Muslime) oder die „Furkan Group“ vor allem junge Menschen ansprechen und sie dazu bewegen, heimlich von zu Hause weg in den Krieg zu gehen.

Die Polizei wiegelt immer wieder ab, wenn Beschwerden kommen, die Behörden meinen, jeder würde nach Syrien gehen, man solle sich keine Schwierigkeiten einhandeln.

Die Treffen sind meist als Koranlesungen getarnt und man findet auch einige „Touristen“ mit britischem Pass, gegen die man auch keine rechtliche Handhabe hat. In Gaziantep scheint es zu einem Modetrend geworden zu sein, sich für den IS werben zu lassen.

Akçakale wiederum, ein Bezirk der Provinz Şanlıurfa, ist wegen der Grenznähe zu Syrien für die Terroristen besonders interessant. Zahlreiche Orte jenseits der Grenze werden vom IS kontrolliert.

Ein Fleischer in der Siedlung Çıksorut spricht von bis zu 4000 Personen aus Gaziantep, die sich bislang dem IS angeschlossen hätten. Auch unter jugendlichen Syrienflüchtlingen fällt die Propaganda des IS immer wieder auf fruchtbaren Boden.

Drogensüchtige und Areligiöse als Kämpfer

Ein anderer Schwerpunkt für die Terroristen ist die Industrievorstadt Dilovası in der Provinz Kocaeli nahe Istanbul. Eindeutige Angaben über die Anzahl jener junger Menschen, die nach Syrien gegangen sind, fehlen, man geht aber von bislang mindestens sieben Personen aus.

Unter den Einwohnern macht sich Unmut darüber breit, dass ihre Stadt offenbar willkürlich als Rekrutierungspunkt ausgewählt worden ist. Und dass sie deshalb in Verruf gerate, obwohl an die 3000 Türken aus allen Landesteilen zu den führenden Kadern der Terrormiliz gehören würden.

Ein Anwohner schüttelt den Kopf über die Wahllosigkeit, mit der potenzielle Mitstreiter ausgesucht werden: „Er war ein Drogensüchtiger“, heißt es etwa über einen neuen Rekruten. „Er betet nicht einmal. Gibt es eigentlich überhaupt irgendwelche Kriterien, um IS beizutreten?“

In Dilovası verfügt der IS mit Abdülkadir Polat über einen sehr charismatischen Prediger. Er organisiert erst religiöse Erziehung für den Kämpfernachwuchs und lädt sie eines Tages zur „Hidschra“ ein, eine Wallfahrt, die zu den Säulen des islamischen Glaubens gehört. Willigen sie ein, führt sie diese über Gaziantep oder Hatay nach Syrien.

IS-Anhänger fragen in Läden danach, wer an den Freitagsgebeten teilnimmt und fokussieren sich anschließend auf jene, die dies nicht tun. Diese Personen werden dann in die Moscheen mitgenommen, die von ihnen selbst betrieben werden.

Syrische Flüchtlinge gibt es in Dilovası nur wenige – aber es gibt zahlreiche Kurden aus der Provinz Ağrı und Zuwanderer aus den Schwarzmeerprovinzen. Der IS versucht vor allem, unter diesen Boden gutzumachen.

In Ankara ist wiederum vor allem das eher ärmliche Hacıbayram Hauptziel der Rekrutierer aus der Terrormiliz. Diese soll von dort aus Bustouren ins Kriegsgebiet organisieren. Offiziellen Angaben zufolge sollen erst drei Personen aus dem Viertel abgängig sein, aber es sollen nach Aussagen von Anwohnern bereits an die 30 Bewohner des Stadtteils in Syrien sein.

Armenviertel mit Dealern und Flüchtlingen

Ein Geschäftsinhaber will den IS nicht einmal „radikale Islamisten“ nennen, weil es ein Unding sei, den Islam mit diesen Mördern in Verbindung zu bringen. „Sie kennen nicht einmal Toilettenetikette. Sie nehmen Drogen, machen ihre Frauen und Kinder zu Bettlern und hängen immer noch hier in Hacıbayram ab, um einen auf ‚Djihadisten‘ zu machen. Sie verletzen die spirituelle Natur dieses Ortes.“

Der Stadtteil, der nach einem islamischen Heiligen benannt ist, gilt als arm und verfügt nicht einmal über eine Schule. Auch spiele sich dort ein urbaner Transformationsprozess ab. Erst seien dadurch die Häuser gelehrt worden, später kamen Drogendealer in die Gegend und danach syrische Flüchtlinge. Drogensüchtige, die sich ihre Sucht nicht mehr leisten können, versuchen, den Weg zu IS zu finden, weil sie sich dort einen guten Lohn versprechen, heißt es vonseiten der Anwohner.

Aber selbst in Diyarbakır finden sich Freiwillige, obwohl die PKK und ihr Zweig vor Ort, die YPG, gemeinsam mit den Peshmerga und den Truppen der Kurdischen Regionalregierung (KRG) im Nordirak einen erbitterten Kampf gegen den IS führen.

IS rekrutiert dort vor allem über Facebook und über Buchläden. Solche eröffneten sie zuletzt in den südöstlichen Provinzen wie Bingöl, Van, Muş, Adıyaman, Gaziantep, Diyarbakır, Urfa und Mardin. Personen, die sich freiwillig zum Dienst für den IS melden, werden von erfahrenen Extremisten via Şanlıurfa über die Grenze gebracht.

In Istanbul wiederum sprach Hürriyet mit einem jungen Mann mit IS-Erfahrung aus der ärmlichen Sultanbeyli-Siedlung auf der asiatischen Seite der Stadt. Er war einer der wenigen, die zumindest aus einer moderat-konservativen Familie kamen, aber selbst habe er früher „nicht wie ein Moslem gelebt“.

Kein Sold für IS-Kämpfer

Er schilderte unter anderem, wie Kämpfer ähnlich wie Schmuggler die Grenze überquert hätten und erst die FSA die Route geschlossen hätte. Man gehe entweder alleine oder schließe sich irgendeiner Gruppe an, alle verschiedenen Fronten der syrischen Opposition verfügten über Häuser. Jeder Neuankömmling entscheide sich für eines.

Der IS-Kämpfer war erst Teil von al-Nusra, bis diese zerbrach, nachdem unfähige Leute aus der FSA zu dieser gewechselt seien. Die FSA würde jeden aufnehmen, inklusive Diebe, Vergewaltiger und korrupte Figuren. Der IS bemühe sich zumindest um ein diszipliniertes Verhalten der Kämpfer untereinander. Der Krieg zwischen der al-Nusra-Front und IS habe begonnen, nachdem al-Nusra-Leute sich an den Frauen von drei IS-Kämpfer vergangen hätten.

Der Kämpfer bestreitet, dass von den IS-Kämpfern Brutalitäten ausgingen. Man werde nicht bestraft, wenn man keine Verbrechen begehe, kein Agent sei oder nichts mache, was Gott verboten habe. Wer gegen diese Regeln verstoße, werde hingegen selbst dann bestraft, wenn er selbst Kommandeur sei.

Einige der IS-Krieger seien bereits seit 20 Jahren im bewaffneten Kampf und hätten bereits in Afghanistan, im Kaukasus oder in Bosnien gekämpft. Es gäbe keinen Sold. Nur die Waffen und die Verköstigung würden vom IS übernommen.