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Kultur/Religion

Islam in Deutschland: „DITIB soll den günstigen Wind nutzen“

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Die Ahmadiyya-Gemeinde hat als erste Religionsgemeinschaft, die sich auf den Islam beruft, in Deutschland den Körperschaftsstatus erlangt. Ihr deutscher Emir empfiehlt allen Islamverbänden, diesen Weg zu gehen. (Foto: reuters)

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Islam in Deutschland: „DITIB soll den günstigen Wind nutzen“
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Ob und inwiefern die Ahmadiyya-Gemeinde einen authentischen Islam lehrt, ist innerhalb der muslimischen Community umstritten. Was jedoch unabhängig davon für Aufsehen gesorgt hat, ist, dass es der Gemeinschaft gelungen ist, den Status einer öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft, der in Deutschland mit zahlreichen Vergünstigungen verbunden ist, zuerkannt zu bekommen.

Der deutsche Vorsitzende (Emir) der Gemeinschaft stand dem DTJ für ein Interview zur Verfügung.

Den Angaben auf Ihrer Homepage zufolge zählen mehr als 35 000 Mitgliedern zu ihrer Reformbewegung in Deutschland. Sie unterhalten 36 Moscheen mit Minarett und Kuppel. Welchen Nationalitäten gehören die meisten Ihrer Mitglieder an und wie viele Moscheen sind derzeit noch in Planung?

Zurzeit sind 12 weitere Grundstücke gekauft und dort Moscheen in Bau, das sind konkrete Projekte, die ich nennen kann. 80% der Mitglieder sind pakistanische Ahmadiyya-Muslime und die restlichen 20% sind Deutsche, Türken, Araber und andere Nationalitäten. Dass es überwiegend Pakistaner sind, hängt damit zusammen, dass die Bewegung von dort stammt, und vor allem, dass wir dort verfolgt werden. Wir erleben dort wirklich eine sehr massive Verfolgung. 2011 sind zwei unserer Moscheen angegriffen worden. Dort hat es etwa 70 Tote gegeben und viele Verletzte. Das wird von den radikalen Taliban ausgeführt und die Regierung schützt uns nicht in dem Maße, wie sie es eigentlich machen sollte. Es hat viele Verfolgungswellen gegeben. Während diesen Wellen sind dann viele Ahmadiyya-Pakistanis geflohen und haben sich in vielen Ländern im Westen nieder gelassen.

Viele europäische Staaten haben so ihre Probleme mit Minaretten und Kuppeln, ihre Gemeinde scheint dieses Problem nicht zu kennen. Die Zahl 36 ist angesichts dieser problematischen Einstellung keine schlechte Trefferquote.

Man muss sagen, 36 Moscheen, das sind 36 verschiedene Geschichten. Und die Geschichten waren vor 25 Jahren wesentlich komplizierter und schwieriger als sie heute sind. Wir haben gelernt und ich glaube auch, dass das Umfeld gelernt hat, mit so etwas umzugehen. Mittlerweile ist so ein Prozess, eine Moschee zu bauen, so elementar wichtig, nicht nur für Muslime, sondern auch für die hiesige Gesellschaft, weil plötzlich wirklich alles aktiv wird. Die Christen werden aktiv, die Rechten werden auch aktiv, aber auch die schweigende Mehrheit wird plötzlich aktiv und fängt an, sich mit diesem Phänomen zu beschäftigen und dabei passieren eigentlich ganz spannende Sachen. Es wird immer mehr in positiver Weise damit umgegangen. Bestimmte Moscheeprojekte waren wirklich extrem schwierig. Wir hatten das erste Moscheebauprojekt in Ostdeutschland in Berlin. Da haben die Rechten teilweise 6000 Leute auf die Straße gebracht. Es war wirklich ein vehementer Widerstand da. Aber das Projekt war rechtlich unantastbar. Das Positive war, dass zur gleichen Zeit die Vorbereitungen für die Fußball-Weltmeisterschaft liefen. Da musste man sich dann auch sehr weltoffen geben. Das Projekt ist also von der Politik unterstützt worden. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass die Situation sich spätestens nach einem halben Jahr beruhigt hatte und wir nun gute Kontakte zu den Nachbarn haben.

Ich glaube, der Schlüssel ist, dass man die lokale Politik schon kennt, noch bevor der Moscheebau überhaupt geplant wird. Wir haben in Deutschland 220 Gemeinden. Unsere Gemeinden haben rege Kontakte zu den hiesigen Politikern durch soziale Aktionen, die sie durchführen. Wir haben zum Beispiel eine Reinigungsaktion, die wir mit den Jugendorganisationen jedes Jahr machen und ähnliches. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass man auf die Leute zugehen muss. Die Muslime selbst müssen aktiv werden.

In Riedstadt haben sie ein „Institut für islamische Theologie“ für die Ausbildung von einheimischen Imamen eröffnet. Woher kommen die Teilnehmer dieses Instituts? Wie viele nehmen derzeit an dieser Ausbildung teil?

Die Studenten, die sich dort einschreiben in dieses Institut, sind Mitglieder der Ahmadiyya Muslim Gemeinde. Das sind junge Leute, die in der Regel auch in Deutschland geboren und aufgewachsen sind, die hier ihre Schule absolviert, das Abitur gemacht oder vergleichende Kenntnisse erlangt haben. Die werden mittels eines Prüfungsverfahrens angenommen und durchlaufen ein siebenjähriges Studium. Da werden dann wirklich islamische Theologie, Fiqh, Rechtswissenschaften, vergleichende Religionswissenschaften, Tafsir, Quran usw. gelehrt. Das ist schon ein sehr intensives Studium, was auch mit der Unterrichtung von Sprachen einhergeht. Das heißt: Urdu, Arabisch, Deutsch, aber auch Deutsche Geschichte und Literatur werden unterrichtet. Wir wollen, dass unsere Imame, die dann später raus gehen in die Gemeinden, sich erst mal um die Mitglieder kümmern als Sozialarbeiter, aber eben auch über den Islam informieren können. Dafür müssen sie natürlich auch wissen, was in diesem Land passiert. Das ist eben jetzt auch für die Ministerien sehr interessant gewesen. Wir sind nun im fünften Jahr und freuen uns bald auf die ersten Absolventen. Eines unserer aktuellen Projekte ist natürlich, jetzt nach der Erlangung des Körperschaftsstatus dieses Institut staatlich anerkennen zu lassen. Wir hatten eine Hochschuldelegation von der Uni Gießen dort, der Vizepräsident der Uni Gießen war da, die waren alle wirklich fasziniert, dass Muslime auf diesem Niveau ein akademisches theologisches Institut installieren konnten. Im Moment unterrichten dort 17 Lehrer, die im Moment noch größtenteils aus Pakistan oder Indien stammen, die dort jedoch auch dieses Studium durchlaufen haben.

Wo werden die künftigen Arbeitsplätze der Absolventen sein?

Das sind keine Islamlehrer an deutschen Schulen, das sind dann Imame, Theologen, die in den Gemeinden arbeiten. Das sind wirklich Sozialarbeiter, die sich um Eheprobleme zu kümmern haben, aber auch versuchen, die Unterweisung der Kinder und Jugendlichen voranzubringen. Sie werden dann unseren Moscheen zugeordnet. Das war es vielleicht auch, was zu unserem Körperschaftsstatus geführt hat. Wir sind sehr übersichtlich strukturiert. In allen 222 Gemeinden haben wir einen Präsidenten und eine Präsidentin. Ich glaube, wir sind der einzige Verband, der sagen kann, wir haben keinen radikalen oder politischen Flügel. Friedfertigkeit gehört zur Lebensphilosophie. Man kann bei uns eigentlich auch sagen, dass unsere Kinder keinen Islamunterricht an den Schulen benötigen, weil sie schon von zu Hause und der Gemeinde her über das nötige Repertoire verfügen.

Auf ihrer Homepage heißt es „Im Gegensatz zu den allermeisten Muslimen verehrt die Ahmadiyya-Gemeinde neben dem Propheten Mohammed auch deren Gründer Mahdi Hadhrat Mirza Ghulam Ahmad“. Was darf man sich darunter vorstellen? Wie muss man das als 08/15-Moslem verstehen?

Wir glauben daran, dass der Prophet „Hatmi Nebiin“ ist, also das Siegel der Propheten. Da gibt es kein Wenn und Aber. Wir sagen aber, dass der Prophet davon gesprochen hat, dass im 14. Jahrhundert der islamischen Zeitrechnung, also das wäre so ca. das 20. Jahrhundert, der Imam Mahdi und Messias kommen werde. Es gibt Muslime, die sagen, das seien zwei verschiedene Personen. Es gibt aber ein Hadith, welches sagt, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt. Wir glauben, dass diese Person im Gründer der Person der Ahmadiyya Jemaat erschienen ist. Der Imam Mahdi ist schon sehr präsent im Islam. Also wir glauben, dass der Gründer der Ahmadiyya der Imam Mahdi ist, der eine rein religiöse Aufgabe hat, nämlich den Islam mit all seinen Verkrustungen, die er sich im Laufe der Zeit angeeignet hat, zu befreien. Also die Lehre wieder zu säubern, zu reinigen, keine neue Lehre zu bringen. Auch nicht die Muslime zurück zu den Anfängen zu bringen, sondern die Muslime in dieser heutigen Zeit zu aktivieren ihre Spiritualität wiederzubeleben, die Menschen mit Gott wieder zu versöhnen. Einfach zu begreifen
, dass Gott ein lebendiger Gott ist, der heute noch genauso zu den Menschen spricht wie er zu Zeiten Abrahams gesprochen hat. Es gibt viele Muslime, die sagen, mit der Offenbarung des heiligen Quran habe Gott aufgehört zu sprechen.

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Wir glauben auch, im Unterschied zu anderen Muslimen, dass Jesus nicht lebendig im Himmel ist. Viele halten sich an den christlichen Mainstreamglauben und machen sich keine eigenen Gedanken darüber, obwohl im heiligen Quran darüber 25 Verse zu finden sind, die ganz klar zeigen, dass jeder Mensch eines natürlichen Todes gestorben ist. Und wir glauben daran, dass Jesus am Kreuz gehangen hat, aber nicht starb, sondern dass er herabgenommen und gesundgepflegt wurde. Er starb dann eines natürlichen Todes.

Zurück zur Offenbarung: Es war ja damals so, dass die Offenbarung über den Erzengel Gabriel an unseren Propheten weitergeleitet wurde. Wenn Gott heute noch spricht, werden dann heute immer noch diese Offenbarungen als Buch niedergeschrieben werden?

Nein, nein! Der Quran ist das abschließende Wort Gottes. Da wird sich nichts dran ändern. Und wir als Ahmadiyya-Muslime glauben auch nicht daran, dass es abrogierte Verse gibt, die zu beseitigen wären. Wir stehen zum heiligen Quran, so wie er heute dasteht. Wir sagen aber, es gibt bestimmte Verse, die sind wortwörtlich zu verstehen, und andere, die metaphorisch zu verstehen sind. Wir glauben eben daran, dass der Mensch heute immer noch einen Kontakt zu Gott hat, es kommt aber darauf an, auf welcher mystischen Ebene er steht. Träume sind in unserer Gemeinde etwas ganz Normales. Der Gründer der Ahmadiyya hat auf diese Weise viele Offenbarungen und Ilhams bekommen. Diese lebendige Beziehung zu Gott ist ein zentraler Aspekt dieser Gemeinde. Deswegen sagen wir, wir sind keine politische Gemeinde, wir sind eine rein religiöse Gemeinde. Wir sagen: „Die Tränen der Gläubigen in der Moschee sind mehr wert als die Gelder der großen Mächte“.

Die Ahmadiyya Muslim Jamaat ist die erste islamische Religionsgemeinschaft in Deutschland, die den Körperschaftsstatus erhält. Gemeinsam mit Ditib Hessen werden Sie im kommenden Schuljahr zum ersten Mal einen islamischen Religionsunterricht an 27 Grundschulen starten. Was bedeutet der erlangte Körperschaftsstatus im übertragenen Sinn denn nun für die Muslime in Deutschland?

Für uns war der Körperschaftsstatus wichtig, weil er die Muslime endlich auf eine Stufe stellt mit anderen, länger etablierten religiösen Gemeinschaften. Muslime sind ja bis heute noch organisiert als Sport-oder Kulturvereine. Das ist aber nicht dem Status einer Religionsgemeinschaft angemessen. Der Status beinhaltet Pflichte und Rechte, die wichtig sind. So haben wir nun zum Beispiel die Möglichkeit, eigene Friedhöfe zu unterhalten. Ein Bedürfnis, das die Muslime von Anfang an gehabt haben. Es ist wichtig, dass Muslime auch das Recht haben, eine Rolle im öffentlichen Leben zu spielen. Dass man zum Beispiel auch, wie die Christen, die Möglichkeit hat, in die Medienanstalten zu kommen, also im Fernsehen und Radio Sendezeiten bekommt. Dass man im Ethikrat sitzt und gesellschaftsrelevante Fragen bespricht. Oder die staatliche Anerkennung von Lehrinstitutionen. Wir haben diesen Status nicht erlangt, um an irgendwelche Fördertöpfe zu gelangen. Wir sind von Anfang an so organisiert, dass wir uns selbst finanzieren können. Wir bekommen keine Gelder von Ölscheichs oder Regierungen. Wir sind in dieser Situation wirklich absolut unabhängig.

Der Körperschaftsstatus war schon immer etwas, womit wir uns befasst haben. Wir haben vor 25 Jahren diesbezüglich schon einmal einen Ansatz gehabt. Da haben wir aber gemerkt, dass der politische Wille nicht da ist. Dann haben wir das auch einfach ein bisschen ruhen lassen. Als dann das mit dem Islamunterricht aufkam und dieser 10-Punkte Katalog mit den Anforderungen hervorkam, ist dann auch unsere Statusvorstellung nochmal aktiviert worden. Ich meine, die DITIB sollte wirklich diesen günstigen Wind nutzen und wir würden auch jederzeit unser Know-how zur Verfügung stellen, weil wir daran interessiert sind, dass viele Muslime diesen Status erlangen, weil dann dadurch der Islam in Deutschland einfach besser etabliert und er damit zur Selbstverständlichkeit wird.

Einige Muslime fühlen sich durch die Ahmadiyya nicht wirklich vertreten. Auch der Koordinationsrat der Muslime KRM hat sich nicht wirklich für die Ahmadiyya ausgesprochen. Sie sprach von einer Gemeinde mit muslimischen Elementen. Wie ist Ihre Haltung dazu?

Man merkt an diesem Ausspruch, dass die Ökumene im Islam noch nicht sehr weit ist. Man kennt nicht die theologische, intellektuelle Auseinandersetzung im Islam mit dem Anderssein. Sondern man kennt dieses Ausgrenzen, Abgrenzen. Auch teilweise Diffamieren. Und das ist es auch, was wir bei dieser Äußerung des KRM sehr, sehr bedauern. Solche Äußerungen führen zur Ausgrenzung. Und das ist etwas, von dem ich dachte, dass es eigentlich schon überwunden wäre. Das ist etwas, womit wir einander im Islam nicht näherkommen können. Man müsste doch, bevor man so etwas sagen kann, zunächst untersuchen, was das Gegenüber eigentlich wirklich ist. Mich interessiert zum Beispiel, was die Theologie des DITIB ist. Dann hört man „wir sind Sunniten, Hanefiten“. Wir sind auch Sunniten. Wir erkennen die Hanefiten auch als die wichtigste aller Rechtsschulen an. Wir diffamieren aber nicht die anderen Rechtsschulen. Das ist glaube ich etwas, wo der Dialog verbessert werden muss. Aber Christen, mit denen wir zusammenarbeiten, sagen immer zu uns, dass es vor 60 Jahren bei ihnen genauso war.

Im Vergleich zu anderen Gruppen, wie zum Beispiel vielen türkischen Communities, ist die Ahmadiyya doch relativ klein. Trotzdem ist sie in vor allem in den letzten Jahren sehr präsent und aktiv und mit vielen Projekten sehr erfolgreich. Wie kommt es zu dazu? Was unterscheidet sie von den anderen Gruppierungen? Was würden Sie sagen, ist das Geheimnis ihres Erfolges?

Da müssen sie Allah fragen. Ich glaube, das Geheimnis ist, dass jeder Ahmadiyya sich als aktiver Muslim versteht und dass wir ein spirituelles System haben, mit dem wir uns gegenseitig stützen. Aber das eigentliche Geheimnis, sagen wir immer in unseren Kreisen, ist das Kalifat. Islam steht und fällt immer mit der spirituellen Leitung. Und das ist das, was der Prophet Muhammed versprochen hat. Dazu gibt es ein langes Hadith. Wie heißt es doch so schön in einem Gedicht von Herrn Hübsch? „Ohne Kalifat sind die Muslime wie ein Fisch ohne Kiemen“. Das Kalifat sorgt dafür, dass die Muslime immer wieder erinnert werden. Es gibt mittlerweile in 200 Ländern die Ahmadiyya Jemaat. Egal, wo sie hingehen, sie werden immer die gleiche Struktur und die gleichen Glaubensinhalte vorfinden. Eine Ummah kann nur funktionieren, wenn es eine Leitung gibt. Was fehlt ist eine Einheit. Eine Einheit kann nach unserer Auffassung nur nach dem System unseres Propheten, dem Kalifat, installiert werden.

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Abdullah Uwe Wagishauser, geb. 1950, ist seit 1984 amtierender Vorsitzender (Emir) der Ahmadiyya Muslim Jemaat in der Bundesrepublik Deutschland e.V. Er ist verheiratet, hat drei Söhne und lebt in Groß-Gerau.