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Gesellschaft

Islamwissenschaftler Schneiders über Nuhr: „Das ist faktisch Quatsch“

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Dieter Nuhrs Aussagen zeugen von wenig Fachkenntnis über den Islam. Das jedenfalls meint der Islamwissenschaftler Thorsten Gerald Schneiders. Das mache Nuhr noch nicht zum Islamfeind, führe aber zu schlechtem Kabarett. (Foto: dpa)

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Der Kabarettist Dieter Nuhr bedankt sich am 18.10.2014 in Kassel (Hessen) für den mit 30.000 Euro dotierten Jacob-Grimm-Preis Deutsche Sprache, der ihm verliehen worden ist.
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Der Islam- und Politikwissenschaftler Dr. Thorsten Gerald Schneiders ist Herausgeber des Buches Salafismus in Deutschland. Im Interview mit dem DTJ erklärt er, was Salafismus ist und warum die deutsche Gesellschaft sich bedroht fühlt. Schneiders kritisiert die Art und Weise, wie über das komplexe Thema verallgemeinernd gesprochen und pauschal geurteilt wird. In Äußerungen wie „Der Islam ist solange tolerant, solange er keine Macht hat“ des Kabarettisten Dieter Nuhr sieht der Experte „ein typisch islamfeindliches Argumentationsmuster“ und erklärt: „Es ist vor allem eines: vom Grundsatz her falsch. Es zeugt von wenig Fachkenntnis. Was übrigens auch für andere Interview-Äußerungen von Herrn Nuhr zum Thema Islam gilt.“ Dennoch habe Nuhr ein Recht auf künstlerisch-kritischen Umgang mit dem Islam und den Muslimen.

In diesen Tagen wird viel über Salafismus, Islamismus und den IS diskutiert. Vorab die Frage: Sind denn Salafismus und der Islamische Staat ein und dasselbe?

Deckungsgleich sind IS und Salafismus in keinster Weise. Der Salafismus ist in sich differenzierter. So gibt es auch Salafisten, die aggressive Gewalt ablehnen. Der IS wird lediglich von einer Form des Salafismus bespielt, nämlich der dschihadistischen. Der Salafismus wiederum ist nur ein Teil im fundamentalistischen Spektrum des Islams. Daneben gibt es konservative und liberalere Strömungen, konfessionelle Unterschiede, mystische Richtungen, die sich alle deutlich voneinander unterscheiden. Wir sprechen beim Salafismus über einen kleinen Bruchteil der 1,5 Milliarden Muslime auf der Welt.

Es wird über das Thema so viel berichtet, dass man sich fragt: Wird das der Realität gerecht oder ist das nicht vielmehr eine Art Hysterie?

Nun, die Salafisten sind eine ernstzunehmende Gefahr. Sie bedrohen unsere Jugendlichen, indem sie versuchen, sie in ihre Reihen zu locken, sie von ihrem familiären Umfeld zu entfremden und ihnen dadurch vielleicht am Ende den Weg in einen „Dschihad“ oder besser in den Terrorismus zu ebnen. Damit belasten die Salafisten das private Umfeld der Jugendlichen, von der eigenen Familie über die Nachbarschaft bis hin zu Moscheegemeinden. Zudem geht von einigen Salafisten natürlich eine konkrete Gefahr für das gesamte Gemeinwesen aus. Sie drohen schließlich immer wieder mit Anschlägen. Die realen Ängste, die das erzeugt, muss man ernst nehmen. Deshalb kann man nicht einfach von Hysterie sprechen.

Es handelt sich doch aber um eine Fokussierung auf eine militante Minderheit, über die dann eine Allgemeinaussage über den Islam und die Muslime getroffen wird. 

Wenn man es in Relation zu den 1,5 Milliarden Muslimen setzt, wird die derzeitige Aufmerksamkeit der Realität nicht gerecht. Das gilt auch allein auf Deutschland bezogen, auch hier stehen einige Tausend Salafisten, von denen wiederum nur ein Bruchteil gewaltbereit ist, mehr als vier Millionen Muslimen gegenüber – und mehr als 80 Millionen Einwohnern insgesamt. Zudem muss man sich vor Augen führen, dass nach wie vor ein größeres Gefahrenpotenzial im rechtsradikalen und auch im linksradikalen Spektrum konstatiert wird.

Reagiert die Mehrheitsgesellschaft dem Problem angemessen, oder wird einer kleinen Minderheit nicht die Chance gegeben, der ganzen Gesellschaft ihren Stempel aufzudrücken?

Die Gesellschaft steckt in einem Dilemma. Einerseits muss sie über die Salafisten sprechen, man kann sie ja nicht einfach totschweigen und gewähren lassen, sodass sie immer mehr Menschen und Familien ins Unglück stürzen. Aber jedes Mal, wenn über sie geredet wird, erfahren sie natürlich Publicity, und das macht sie bekannter. Ich erinnere nur an die unsäglich breite Debatte über die Scharia-Polizei in Wuppertal, zu der sich sogar die Bundeskanzlerin geäußert hat. Es ist eine Gratwanderung. Die muslimische Gemeinschaft leidet selbstverständlich besonders unter der Situation, denn auch islamfeindliche Aktivisten nutzen solche Entwicklungen wie den Salafismus aus, um ihre Ideologien voranzutreiben. Am Wochenende erst bei der Demo von „Hooligans gegen Salafisten“ in Köln konnte man das live erleben: Ganz normale Passanten wurden als „Scheiß-Moslems“ beschimpft.

Es gibt Meldungen, wonach in Großbritannien beispielsweise täglich fünf junge Muslime sich den Salafisten bzw. dem Islamischen Staat anschliessen. Ist das realitisch? Hat man vielleicht vielmehr nicht damit zu tun, dass die Medien das Problem befeuern?

Ich erinnere mich an Berichte, dass in Zeiten der Anschläge auf die Bahn sich solche Fälle häuften, genauso bei medienwirksamen Brandanschlägen es mehr Nachahmungstäter und Brandanschläge gab.

Solche exakten Zahlenangaben kann niemand seriös machen. Unser Problem ist, dass wir bei der Bewertung des Salafismus-Potenzials weitgehend auf die Sicherheitsbehörden angewiesen sind. Diese verfolgen aber auch eine eigene Agenda bzw. eigene Interessen. Das ist ja ganz normal, aber so etwas muss natürlich beim Umgang mit den Zahlen berücksichtigt werden. Anderweitig erhobene, verlässliche Zahlenangaben gibt es bislang kaum. Die Salafismus-Forschung steckt eben noch in den Kinderschuhen. Überall, wo ein Dunkelfeld ist, ergibt sich Raum für Spekulationen. Klar, einige Journalisten nutzen diese auch aus, die angesichts der derzeitigen Medienkrise hoffen, mit dem brisanten Thema Salafismus bei ihren Lesern, Hörern und Zuschauern zu landen.

Wie erklären Sie sich die Anziehungskraft der Salafisten bzw. des Islamischen Staats? Spielen da religiöse Gründe eine Rolle oder vielmehr andere Gründe?

Es ist eine Mischung. Man kann religiöse Gründe nicht ausblenden, aber in vielen Fällen sind sie nachgeordnet. In vielen Fällen geht es den angelockten Jugendlichen primär um einen Aufschrei gegen die von ihnen empfundenen sozialen und politischen Ungerechtigkeiten. Zum einen mit Blick auf schlechte Zukunftsperspektiven in Deutschland, Diskriminierungen etc., zum anderen mit Blick auf die internationale Politik bzw. mit Blick auf die islamische Welt und all ihre Konflikte, die zum Teil von außen hereingetragen wurden – Stichwort: Irak-Krieg 2003. Auch familiäre Probleme spielen bei der Radikalisierung eine zentrale Rolle. Die Religion ist dann meist nur die nach außen propagierte Legitimation für das eigene Handeln. Damit ist die Religion aber auch ein fester Bestandteil dieser Dynamik.

Muslime sagen oft, Gewalt oder Terror habe mit dem Islam nichts zu tun. Andererseits beziehen sich Leute, die wie im Irak Leute terrorisieren, Hände und Köpfe abhacken, Frauen steinigen usw. auf den Islam. Angesichts solcher Bilder sagen andere wiederum, das hätte viel mit dem Islam zu tun. Was stimmt denn nun?

Beides stimmt teilweise. Wie kann man den Islam ausklammern, wenn sich Terroristen eindeutig als Muslime positionieren und sich teilweise explizit auf den Koran, den Propheten Muhammad und die ersten vier Kalifen berufen? Wenn sie zum Teil klassisch-islamische Argumentationen nachahmen? Natürlich wird hier die Religion des Islam ungefragt instrumentalisiert, aber dadurch ist die Religion nicht plötzlich außen vor. Wenn einen die Instrumentalisierung stört, dann muss man das auch den IS-Leuten ankreiden. Man kann nicht allein an die Umwelt appellieren, ihre Sicht auf die IS-Terroristen zu hinterfragen. Umgekehrt: Wie kann man den Islam als Hauptursache für Terror und Gewalt anführen, wenn weit fast eineinhalb Milliarden (!) Gläubige auf der Welt nicht zu Gewalt greifen, keinen Dschihad kämpfen, niemanden terrorisieren, wenn mystische und andere Strömungen sich auf dieselben Quellen berufen und Liebe statt Gewalt predigen? Die Welt ist nicht schwarz-weiß. Das mag viele frustrieren, lässt sich aber nicht ändern.

Kann es sein, dass das Problem vielleicht mit der Interpretation des Islams zu tun hat?

Es hat nur mit der Interpretation – nicht des Islams, sondern – der islamischen Quellen zu tun: Also Koran, Sunna, Rechtsmethoden. Was viele Nicht-Muslime aber auch viele Muslime nicht begreifen können oder begreifen wollen, ist, dass keinem einzigen Menschen „der“ eine wahre Islam bekannt ist. Die islamische Religion ist darauf nicht ausgelegt. Es gibt keinen Menschen auf der Welt, der allgemeinverbindlich sagen kann: dies oder das ist der richtige Islam. Es gibt im Islam nur unterschiedliche Auslegungen der Quellen. Selbst die fünf Säulen sind allenfalls im Grundsatz Konsens. Selbst über die richtige Ausübung des fünfmaligen Gebets wird bekanntlich gestritten. Für jeden, der Macht über andere Menschen ausüben will, ist das natürlich fürchterlich. Deshalb tun manche so, als kannten sie doch den einen wahren Islam und könnten anderen sagen, wie sie sich im Detail zu verhalten haben. Gleichzeitig sind natürlich auch viele Menschen einfach überfordert. Sie brauchen, suchen schlicht jemanden, der ihnen sagt, wie sie sich zu verhalten haben.

Wie muss man dem Problem begegnen? Was muss die Politik tun, die muslimischen Verbände, der Einzelne?

Aufklärung. In alle Richtung. Frühzeitig. Wenn ein Jugendlicher in der salafistischen Szene angekommen ist, dann bekommen Außenstehende keinen Zugang mehr zu ihm. Das ist übrigens im Rechtsextremismus nicht anders. Irgendwann entfalten solche extremistischen Bewegungen sektenähnliche Strukturen. Die Mitglieder hören dann nur noch den eigenen Wortführern zu, gegenteilige Meinungen werden nicht mehr wahrgenommen oder als feindlich verdammt. Solche Leute erreichen sie nur noch, wenn diese selbst aussteigen wollen, bzw. wenn sie auf einzelne über eine lange Zeit intensiv einwirken. Also, was der Gesellschaft bleibt, ist: die Präventionsarbeit.

Wie bewerten Sie die (pauschalisierenden) Aussagen von Dieter Nuhr zum Thema Islam?

Herr Nuhr tritt als Kabarettist auf. Sprich, er macht sich nunmal von Berufs wegen über Leute lustig. Dazu muss er karikieren und überzeichnen. Das weiß man ja. Man muss das nicht humorvoll oder gar witzig finden. Andere Religionen werden ebenfalls durch den Kakao gezogen. Ich bin grundsätzlich dafür, dass man die religiösen Gefühle von Menschen achten sollte. Deshalb kann man sich trotzdem über Religionen und insbesondere über Religionsvertreter lustig machen. Das gab es schon immer. Aber auch Humor hat meines Erachtens Grenzen, die man vielleicht rechtlich übertreten darf, aber moralisch nicht übertreten muss. Wo diese Grenzen liegen, lässt sich dummerweise nie so genau sagen. Solche Grenzen müssen von einer Gesellschaft ausgehandelt werden. Vor diesem Hintergrund mag der Fall Nuhr sogar einen Nutzen haben. Den konkreten Rechtsfall muss die Staatsanwaltschaft klären. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass dabei was herumkommt.

Der Anzeigenerstatter behauptet, Nuhr betreibe Hasspredigt, indem er sage: „Der Islam ist solange tolerant, solange er keine Macht hat“. Was sagen Sie als Experte zu dieser Aussage?

Sie ist vor allem eines: vom Grundsatz her falsch. Es zeugt zumindest von wenig Fachkenntnis. Was übrigens auch für andere Interview-Äußerungen von Herrn Nuhr zum Thema Islam gilt. „Der“ Islam kann überhaupt keine Macht erlangen, allenfalls die Vertreter einer bestimmten Auslegung islamischer Quellen. Weil aber viele anscheinend immer die Vorstellungen vom Katholizismus als Blaupause zur Bewertung anderer Religionen heranziehen, wird immer so getan, als könne „der“ Islam ein einziges, handelndes Subjekt sein. Das ist faktisch Quatsch. Allerdings ist das auch ein typisch islamfeindliches Argumentationsmuster. Wenn sich Herr Nuhr dem bedient, ist er natürlich noch nicht automatisch islamfeindlich. Es deutet jedoch an, dass er von solchen Argumentationsmustern irgendwie beeinflusst zu sein scheint, und sich nicht vernünftig mit der Materie beschäftigt hat. Das führt dann zwangsläufig zu Kritik – und mitunter zu schlechtem Kabarett.