Connect with us

Kultur/Religion

Das muslimische Kopftuch – ein deutsches Thema

Spread the love

Die große bundesweite Kopftuch-Debatte, ein kleines Projekt in Würzburg und Fotografien von Seren Başoğul haben eins gemeinsam: das muslimische Kopftuch ist ein deutsches Thema. (Foto: reuters)

Published

on

Auch viele muslimische Frauen der ersten Generation trugen ein Kopftuch. Auch sie wurden als die “Andere” wahrgenommen. Es war aber nie ein großes Thema in der Öffentlichkeit.
Spread the love

Woran erkennt man, dass muslimische Einwanderer in Deutschland angekommen sind? Dass das Land für sie zur Heimat geworden ist und für sie eine Rückkehr in das Land, aus dem ihre Eltern stammen, nicht mehr in Frage kommt? Vielleicht kann die Tatsache, dass kulturspezifische Themen, die die Einwanderer betreffen, in der Mitte der Gesellschaft diskutiert werden, als Zeichen der Sesshaftigkeit gewertet werden.

Auch viele muslimische Frauen der ersten Generation trugen ein Kopftuch. Auch sie wurden als die “Andere” wahrgenommen. Es war aber nie ein großes Thema in der deutschen Öffentlichkeit.

Erst als eine muslimische Lehrerin ein Kopftuch tragen wollte und dafür nach dem gültigen Gesetzt ihr Recht einforderte, zeigten Politik und Medien großes Interesse.

Die Rede ist von der deutsch-afghanischen Lehrerin Fereshta Ludin. Es war Ende der neunziger Jahre. Gerade war in Berlin eine neue Regierung an die Macht gekommen. Die rot-grüne Koalition unter Gerhard Schröder hatte sich auch in puncto Integration einiges vorgenommen. Sie wollte das Staatsbürgerrecht ändern, um die Einbürgerung zu erleichtern. Ludin war deutsche Staatsbürgerin und stammt nicht aus einer klassischen Arbeiterfamilie. Sie ging einen Rechtsstreit mit dem Land Baden-Würtemberg ein. Das Thema ging durch die ganze Republik und alle Medien berichteten darüber. Ihre Klagen wurden mit Hinweis auf die Neutralitätspflicht des Lehrers zurückgewiesen. Durch ihre religiöse Bekenntnis, die durch ihr Kopftuch deutlich wird, würde sie die Religionsfreiheit der Schüler und Erziehungsfreiheit der Eltern beeinträchtigen. Ludin hat sich also juristisch nicht durchsetzen können. Deutschland war nicht bereit, einer deutsche Muslimin, den Weg in das Lehramt zu öffnen.

Die Ludin-Debatte hatte tiefgreifende politische und rechtliche Folgen. Da die Bildung in Deutschland föderal organisiert ist, hat jedes Bundesland eigene Gesetze eingeführt. Seitdem befinden sich Musliminnen, die sich für den Beruf des Lehrers oder einen anderen Beruf im öffentlichen Dienst entscheiden wollen, in einem Dilemma: Sollen sie das Kopftuch ablegen und ihrem Wunschberuf nachgehen oder ihrer religiösen Überzeugung?

Religionsfreiheit heißt religiöse Überzeugung nicht begründen zu müssen

Es ist ein Zwiespalt, den nur Menschen verstehen, die mit solch einer Situation konfrontiert werden, für alle anderen ist es ja nur “ein Stück Tuch”. Meist können Außenstehende nicht nachvollziehen, warum sich Musliminnen für das Kopftuch entscheiden und sich somit vielen Konflikten in ihrem sozialen Umfeld und ihrem Arbeitsleben aussetzen.

Macht das aber nicht gerade das in der Verfassung verankerte Grundrecht wonach Religionsfreiheit für alle gilt aus? Dass man ein religiöses Prinzip oder Handlungsanweisung nicht gegenüber anderen rechtfertigen muss, sondern aus persönlicher Überzeugung tut oder lässt?

Nichts destottrotz müssen sich Musliminnen Diskussionen stellen und um Verständnis werben. Es gibt verschiedene Möglichkeiten dieses zu tun. Und nach einer Jahrewährenden Grundsatzdebatte ist in Teilen der deutschen Öffentlichkeit die Bereitschaft sich dem Thema anders zu nähern größer geworden. Das Kopftuch ist vielleicht kein großes politisches Thema mehr, auch sind viele Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, nicht aus der Welt geschaffen. Doch gab und gibt es auch Ansätze, die nach dem Prinzip “Empathie” verfahren.

Ein socher “Empathie”- Ansatz war das Projekt in Würzburg aus dem Jahre 2011. Dabei haben sich Beteiligte auf das Abenteuer “Ein Tag als Muslima” eingelassen. Jedoch mit einem interessanten Ansatz. Es ging nicht um einen Vortrag über die Rolle der Frau im Islam oder ob das Kopftuch nun religiös verbindlich sei oder nicht, sondern um die praktische Erfahrung, wie es ist mit einem Kopftuch seinem Umfeld zu begegnen. “Kopftuch auf Probe” sozusagen.

Schlagwort für bessere Verständigung nicht nur in der Frage des Kopftuches: Empathie

Die Kopftuch-Debatte ist nur ein Beispiel, das deutlich macht, worum es eigentlich geht. Man könnte viele Beispiele auf der anderen Seite finden- also in der christlich-agnostichen Mehrheitsgesellschaft- wo das selbe von Nöten ist: Empathie. In den letzten fünfzig Jahren sind in deutschen Städten und Dörfern tausende von Moscheen entstanden. Einige mit, andere ohne Minarett. Dass diese sichtbare Änderung des Stadtbildes Ängste und kritische Fragen mit sich bringt, ist doch ganz normal.

Das Würzburger Projekt wurde von Sema Kuzucu geleitet: “Seit Jahren redet man von der Theorie, warum man Kopftücher trägt. Was steht im Koran darüber? Was bedeutet es? Wir haben uns gedacht: Gehen wir die ganze Sache doch einfach mal praktisch an. Wir hatten eine große Nachfrage. Man wollte wissen, wie man Kopftücher bindet, welche Techniken es gibt, ob eine Bindeart eine politische Richtung vorgibt und noch vieles mehr. Das Interesse war da und mit diesem Projekt wollten wir es bedienen”.

Das Projekt begann mit einem gemütlichen Frühstück und die Projektteilnehmerinnen hatten hierbei die Möglichkeit einander kennen zu lernen. Anschließend erklärte Kuzucu den Ablauf und das Ziel des Projekts. Sie unterstrich, dass man dabei niemanden bekehren wolle. Es ging lediglich um die Verständigung und die Empathie-Fähigkeit.

Eine der Teilnehmerinnen des Projekts war Brigitte Hausner. Sie ist Reporterin bei dem Bayrischen Rundfunk und wollte selbst erfahren, wie es ist ein Kopftuch zu tragen. “Zum einen hat es mich interessiert. Ich habe gemerkt, dass ich ganz wenig darüber weiß, was es heißt Muslima zu sein. Ich habe ein bisschen gelesen, warum die Muslima das Kopftuch trägt und ich habe mir gedacht, ich muss einfach mal schauen, wie es sich so anfühlt”, erklärt sie.

Eine weitere Teilnehmerin, die thailändische Studentin Pengsri Ying, fand das Projekt auch interessant und beteiligte sich: “Ich habe zu den Leuten gehört, die sich fragten, warum eine Muslima ein Kopftuch tragen muss. Ob ihr nicht warm sei unter dem Tuch.”

Um die Offenheit von Würzburg zu testen, machten sich die Teilnehmerinnen mit der Projektleiterin und anderen “erfahrenen” gläubigen Kopftuchträgerinnen auf den Weg. Die Projektteilnehmerinnen stellten sich somit auf eine außergewöhnliche Erfahrung auf den Würzburger Straßen ein.

Brigitte Hausner berichtet später, dass es für sie eine interessante Erfahrung gewesen ist ein Kopftuch aufzusetzen. “Es ist trotzdem ein ganzes Stück anders, aber ich bin mir nicht sicher woran es lag. Entweder lag es daran, dass ich die Leute intensiver beobachte oder es ist tatsächlich anders”.

Kopftuch Thema für Fotografie und Kunst

Mittlerweile wird das Thema Kopftuch in den Feuilletonseiten der Zeitungen behandelt und es finden Ausstellungen in Museen statt. Eine davon ist die Ausstellung der jungen Fotografin Seren Başoğul und trägt den Titel „Cover/ Discover – Eine visuelle Annäherung“. Die Ausstellung stieß bundesweit auf Interesse.

Dass unsere Gesellschaft Frauen mit Kopftuch anders wahrnimmt, zeigte auch die Fotografin Seren Başoğul mit ihrer Ausstellung „Cover/ Discover – Eine visuelle Annäherung“ hat sie sich unter anderem mit der visuellen Wirkung verschiedener Trageformen des Kopftuches und dem damit verbundenen Frauenbild auseinandergesetzt. Sie geht davon aus, dass Bilder nicht frei sind, da BetrachterInnen diese mit Interpretationen belegen. Während die Damen das Kopftuch auf den ersten Bildern eher als Accessoires trugen, zeigten die letzten Bilder die Frauen komplett bedeckt. Laut Başoğul ändert sich die Wahrnehmung der Betrachter ab dem Punkt, an dem der Hals des Modells ebenfalls verdeckt wurde. Diese Fotos wirkten auf das Publikum nicht mehr wie Modefotografien, sondern wurden ab dem Punkt plötzlich als religiös empfunden.

Über das Projekt von Başoğul berichtete die deutsche Presse bundesweit und selbst Bundespräsident Joachim Gauck erschien im vergangenen Jahr, um sich die Ausstellung anzusehen.

Station9_Objekt2_Basogul_32ce958fed

Die große bundesweite Debatte, das kleine Projekt in Würzburg und die Fotografien von Seren Başoğul haben eins gemeinsam: das muslimische Kopftuch-Thema ist ein deutsches Thema. Der Bedarf an Diskussionen ist weiterhin vorhanden. Diskriminierung im Alltag und im Berufsleben sind keine Seltenheit. Die Bereitschaft in Teilen der Mehrheitsgesellschaft, das Verhalten von Musliminnen zu verstehen, ohne zu verurteilen, nimmt zu. Und trotz aller Schwierigkeiten nimmt auch die Zahl von akademischen Musliminnen mit Kopftuch, die eine Karriere als Ärztin oder Unternehmerin machen, zu.

Vielleicht kommt ja auch der Tag, wo das Tragen des Kopftuches zur Normalität einer pluralistichen Gesellschaft wird. Dann greifen die zuständigen Bildungspolitiker das Thema vielleicht noch einmal auf und verändern die Gesetze so, dass die Musliminnen der Nach-Ludin-Generation die Möglichkeit bekommen sowohl Lehrerinnen zu werden, als auch ein Kopftuch zu tragen.