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Gesellschaft

Die „Scharia-Polizei“? – Ich erkenne meine Religion nicht wieder

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Die „Scharia-Polizei“ mag billig den maximal möglichen PR-Effekt erzielt haben: Allerdings auf Kosten der Religion und des sozialen Friedens. (Foto: dpa)

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MEINUNG Der Islam in Europa hat eine wirklich sehr spannende Geschichte hinter sich und es gibt auch in der Gegenwart fast täglich immer etwas zu debattieren. Wenn diese „Debatten“ dann noch ein passendes Niveau hätten, hätten die Menschen in Deutschland eine gute Grundlage für einen wissenschaftlich-theologischen Diskurs.

Wir reden hier aber weder von Wissenschaft noch von islamischer Theologie. Dem Islam, so wie er derzeit in Deutschland von einigen „Hobby-Islamspezialisten“, die nach Lust und Laune Videos veröffentlichen und nach negativer Aufmerksamkeit förmlich schreien, präsentiert wird, haftet hingegen vor allem eine illoyale Etikette an. Noch gestern schrieb mich mal wieder eine verängstigte Kollegin an: „Umut, ich habe wirklich Angst vor diesen Hasspredigern und man bekommt ein falsches Bild vom Islam.“

Dabei darf eines nicht vergessen werden: Der Islam ist weder ein selbst erfundenes Hobby noch ein Boxkampf. Die neuste Kreation aus dem Hause der Salafisten ist die sogenannte „Scharia-Polizei“. Ein toller „Gag“, eine „heilige Reflexion“ von was auch immer. Ein Ruf nach Anerkennung? Wovon ist hier eigentlich die Rede? Wieso wird der Islam mit diesem blamablen Theater assoziiert? Und wieso muss ich meine Freunde und Kollegen jedes Mal wieder aufs Neue aufklären, dass das, was sie dort sehen, wenig mit dem Islam zu tun hat?

Wer „kamerageil“ ist, kann ja gerne seine Hobbyaufnahmen machen, wir leben in einem demokratischen Land. Aber Aufnahmen, die den Menschen schaden und die Gesellschaft paralysieren, sollten klar verurteilt werden.

Wieso sich ausgerechnet auf Kosten der Religion profilieren?

Meine Kollegin, Frau Dr. Dagmar Kann-Coomann, die selbst WingTsun-Fachtrainerin für Kinder, Jugendliche und Frauen ist, hat ein besonderes Interesse an einem interreligiösen Dialog. Zu den „Lehren“ der Salafisten sagt sie: „Ich erlebe die Muslime, mit denen ich lebe und arbeite, als aufgeschlossen, modern und sehr engagiert für ein erfolgreiches und friedliches Miteinander der Kulturen und Religionen. Das ist nicht einfach angesichts all jener Gewalt, die weltweit im Namen des Islam geschieht. Und es wird durch solche Projekte wie die Scharia-Polizei nicht leichter, sondern noch schwerer, denn natürlich macht es den Menschen Angst, wenn solche Trupps unterwegs sind und ihre altertümlichen Vorstellungen zur Not mit Gewalt durchsetzen wollen.“

Aber wieso, wieso wird eine Religion, ein Geschenk Gottes, von den Menschen so manipuliert und seinem Wesen entfremdet? Warum wird etwas, was der wunderbare Prophet Muhammad damals mit Herzlichkeit und Menschlichkeit verkündet und allen Menschen hinterlassen hat, einfach durch eine billige „Show“ zerstört? Es gibt doch schon genug „Alltags-TV“ im Deutschen Fernsehen. Wenn man sich unbedingt lächerlich machen will, dann bewirbt man sich dort. Dort sind sogar die Einschaltquoten hoch. Lasst aber die Religion da raus!

Leider reagieren aber auch viele Menschen in Deutschland auf sämtliche Impulse der Salafisten. Sie bekommen Angst, bauen eine Distanz auf und sind verwirrt, sobald sie nur das Wort „Islam“ hören. Und warum? Weil es Menschen gibt, die den Islam auf Hölle und Strafe reduzieren und das noch öffentlich auf höchste Art propagieren.

Es müsste doch eins auffällig sein, dass jeder Mensch, egal welcher Religion er auch angehört, den höchsten Grad an Respekt verdient. Jeder kann für sich selbst entscheiden, wie er leben möchte und wie nicht. Gott hat jedem Menschen einen freien Willen geschenkt. Im Islam gibt es zudem keinen Klerus, insofern ist die Frage des Glaubens oder Nichtglaubens eine zutiefst persönliche Angelegenheit zwischen Gott und Mensch.

„Die europäische Aufklärung und Säkularisierung haben die Idee von der Freiheit und Würde des Individuums verwirklicht. Demnach kann jedes Individuum selbst über das eigene Handeln und Denken entscheiden, kann glauben und tun, was sie oder er für richtig hält, ohne sich vor Sittenwächtern rechtfertigen zu müssen. Diese Idee von der Freiheit des Individuums hat sich nicht zufällig entwickelt, sondern ist von Generationen entschlossener Menschen in langen und schweren Kämpfen durchgesetzt worden. Sie ist nicht verhandelbar, sondern Basis und Kern europäischer Kultur“, erklärt mir die engagierte Trainerin.

Ängste vor dem Islam verstärkt

Den Propheten Muhammad als Vorbild preisen und gleichzeitig sein Vermächtnis zerstören? Hat er den Islam damals mit einer aggressiven Haltung und einer arroganten Art und Weise verkündet? Physikalisch ist er nicht mehr unter den Menschen. Doch sollten wir seinen Geist nicht in unserer Barmherzigkeit und unseren Handlungen weiterleben lassen?

Ich erkenne meine eigene Religion manchmal gar nicht mehr wieder, sobald ich die professionell bearbeiteten Videobeiträge der Salafisten sehe. Als Muslime und vor allem als gute Menschen sollte es unsere natürlichste Aufgabe sein, uns für Frieden, Toleranz und Verständigung einzusetzen. Die Frage ist nicht, wie wir als Angehöriger der einen oder anderen Religion unsere Überlegenheit mit wirkungsvollen PR-Maßnahmen ins Schaufenster einer realen und virtuellen Öffentlichkeit stellen. Bestimmend ist der Alltag. Wenn ich durch meine Religion anhand meiner Lebensart identifiziert werde, und das Gott sei Dank von Hunderten SchülerInnen, Eltern, Lehrern, Freunden usw. bestätigt bekomme, dann werde ich doch meinem Glauben wirklich gerecht.

Was bringt denn die „Scharia-Polizei“ den Menschen bei? „Du sollst nicht trinken, du sollst nicht rauchen, du darfst nicht an den Osterhasen glauben“ – du darfst aber den Menschen Angst einjagen und negative Energie verbreiten? Und du darfst allen Menschen um dich herum weismachen, dass der Islam aggressiv, diktatorisch und einfach beängstigend ist? Wen wundert es, dass dann so viele Vorurteile antizipiert werden? Dank solch populistischer Beiträge schadet man hier dem gesamten Islam und somit allen Muslimen. Als Mensch sind wir doch alle gleich, ob Christ, Jude, Muslim, Atheist oder Buddhist. Wieso sucht man ständig nur nach Unterschieden zwischen den Menschen und nicht nach Gemeinsamkeiten?