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Bildung & Forschung

Islamischer Religionsunterricht ein Zeichen der Anerkennung

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Das Land NRW hat unter anderem auf dem Wege einer längeren gemeinsamen Schulzeit und durch die Fakultativerklärung der Schullaufbahnempfehlung mehr Durchlässigkeit und Chancengleichheit angestrebt. Ein Problem bleiben knappe Mittel. (Foto: H. Aydın)

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Islamischer Religionsunterricht ein Zeichen der Anerkennung
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Das Schulwesen im bevölkerungsreichsten Bundesland hat im Laufe der letzten Jahre zahlreiche Umgestaltungen erlebt. Eltern mit Migrationshintergrund klagen immer noch vielfach über fehlende Chancengleichheit für ihre Kinder, Kommunen und Land haben Probleme, die Haushalte vor weiteren Schulden zu bewahren, Lehrer fühlen sich überfordert, Stunden fallen aus.

Ministerin Löhrmann nimmt im DTJ-Interview detailliert zu den drängenden Fragen des Bildungswesens in ihrem Bundesland Stellung. Wir haben sie auch zur Debatte um die türkischen Schulbücher befragt. Heute: Teil zwei.

„Wir haben immer noch ein Vertretungsbudget von 25 Millionen“

Schulbücherkosten, ja sogar Geld für Fotokopien also Arbeitsmaterialien werden nur wenig vom Staat bezuschusst. Die Eltern müssen dann meist aus eigener Tasche für diese Kosten aufkommen. Ist das noch sozial?

Wir haben ein Lernmittelgesetz, das den Eigenanteil der Eltern festlegt. Wir wollen auch diese Ausgaben in Grenzen halten. Wenn es aber Ausreißer geben sollte, dann empfehle ich den Eltern, die Schulaufsicht anzusprechen. Wir haben da auch keine Änderungen geplant, da sich das System bislang bewährt hat. Wenn die Eltern materiell bedürftig sind, dann müssen sie den Eigenanteil für die Schulbücher nicht bezahlen, sondern die Kommunen kommen zusätzlich dafür auf.

Apropos Schülerbücher. Derzeit wird eine heftige Debatte über türkische Schulbücher in NRW geführt. Was ist der letzte Stand?

Dazu gibt es im Moment keinen neuen Sachstand. Die GEW, die die Debatte um die Schulbücher überhaupt erst angestoßen hat, arbeitet derzeit an einem Bericht. Dieser soll nach Auskunft der GEW Anfang der Woche vorliegen. Den werden wir uns dann auch ansehen.

Theoretisch sollten Vertretungslehrer vorhanden sein. Die Realität sieht aber ganz anders aus. Die Zahl der Vertretungslehrer ist immer noch ziemlich gering. Haben Sie dafür kurz- und langfristige Lösungen?

Es gibt unterschiedliche Anlässe, warum Unterricht ausfällt. An Fortbildungstagen betrifft das die ganze Schule, weil Fortbildung auch wichtig ist. Dann gibt es mittelfristigen Vertretungsunterricht, wenn jemand längerfristig krank ist, da haben wir im Moment eine Einschränkung. Das sage ich ganz offen. Wir müssen wegen der Notwendigkeit, den Landeshaushalt zu konsolidieren, bei den flexiblen Mitteln für Vertretungsunterricht kürzen. Trotzdem haben wir noch ein Vertretungsbudget in Höhe von rund 25 Millionen Euro. Außerdem gibt es zusätzlich Mittel für Vertretungsunterricht. Kurzfristiger Vertretungsunterricht, wenn jemand an einem Unterrichtstag krank wird, wird in der Regel durch die Kolleginnen und Kollegen aufgefangen. Es hängt davon ab, wie in einer Schule die jeweilige Situation ist. Manchmal haben Schulen durch akute Krankheitsfälle immense Probleme. Dann muss die Schulaufsicht versuchen zu helfen. In den Schulen werden organisatorische Maßnahmen getroffen, damit die Schülerinnen und Schüler in solchen Fällen nicht auf der Straße stehen.

Lehrermangel an Berufskollegs: In den kommenden 5 Jahren werden sehr viele Lehrer in Pension gehen werden und der Lehrerbedarf wird noch größer sein. Wie wollen Sie diese Lücke schließen?

Tatsache ist, dass wir Ersatzeinstellungsbedarf an fast allen Schulformen haben. Auf dem Gymnasium im Moment etwas weniger, weil wir dort gerade den Doppeljahrgang haben und demnächst deutlich weniger Schülerinnen und Schüler haben werden. In Berufskollegs haben wir punktuelle Probleme, in bestimmten Fächern. Es besteht aber die Möglichkeit, dass ausgebildete Gymnasiallehrer auch an Berufskollegs arbeiten. Zusätzlich haben Ministerin Svenja Schulze und ich ein Konzept ausgearbeitet, in dem wir die Probleme an den Berufskollegs angehen und minimieren wollen. Ein Baustein ist, dass wir Lehrkräfte, die in Pension gehen, die aber noch Spaß am Beruf haben, bitten, noch ein oder zwei Unterrichtseinheiten in der Woche zur Verfügung zu stehen. Der zweite Baustein ist, dass wir Lehrerinnen und Lehrer in verwandten Fächern weiterqualifizieren, damit sie dieses Fach auch unterrichten können, und wir werben gezielt für den Lehrerberuf an Berufskollegs. Nur über den sogenannten Quereinstieg von Menschen aus dem außerschulischen Berufsleben heraus werden wir das Problem nicht lösen können. Das Problem besteht übrigens bundesweit. Wir in NRW gehen es systematisch an.

Abi-Debatte: „Ich musste eine klare, rechtsstaatliche Entscheidung treffen“

Es hat sich eine riesige Protestwelle bezüglich der Abiturprüfungen gebildet. Auch sind die Schüler mit Ihrer Entscheidung, die Prüfungen nicht nachschreiben zu lassen, sehr unzufrieden. Was lief in diesem Jahr anders als in den Jahren zuvor? Warum ist es zu solch einer Protestwelle überhaupt gekommen?

Eigentlich ist in diesem Jahr nichts anders gelaufen als sonst. Aber die Aufmerksamkeit ist größer als bisher, weil mit dem doppelten Abiturjahrgang mehr Schülerinnen und Schüler betroffen sind. Über die Matheprüfungen und die Frage „Ist sie zu schwer, ist sie zu leicht?“ hat es immer Diskussionen gegeben, und in diesem Jahr besonders heftige. Aber die Aufgaben waren lösbar, grundsätzlich angemessen und sie waren ohne Fehler. Die Aufgaben sind zuvor umfassend geprüft und getestet worden. Hätte ich die Prüfung nachschreiben lassen, dann wäre dies juristisch anfechtbar gewesen. Wir haben auch von vielen die Rückmeldung bekommen, das alles in Ordnung war. Wenn wir hier hätten nachschreiben lassen, dann würden bald andere auch sagen: „Ich war in Deutsch nicht zufrieden, jetzt möchte ich auch nachschreiben.“

Da musste ich eine rechtsstaatliche, nicht anfechtbare Entscheidung treffen. Ich weiß, dass ich einige Jugendliche damit nicht zufriedenstelle. Wir haben inzwischen Rückmeldung von Lehrkräften, die schon korrigiert haben. Diese sagen, die Ergebnisse seien in dem Bereich, in dem sich auch die Vorprüfungen befunden hätten. Insofern raten wir dazu, die Endergebnisse abzuwarten, denn wir gehen davon aus, dass es keine nennenswerten Ausreißer gibt. Lehrer haben einen Ermessensspielraum. Sie wissen, was sie wie im Unterricht vorbereitet haben, und ich habe sie darin bestärkt, bei der Bewertung der Klausuren diesen Ermessensspielraum auszuschöpfen.

Im Fach Sozialwissenschaften hat es einen Fehler gegeben. Mir persönlich ist wichtig, dass, wann immer ein Fehler passiert, wir dies sofort einräumen. Dadurch soll den Schülerinnen und Schülern kein Nachteil entstehen. Wir haben eine Nachschreibemöglichkeit angeboten, von der aber nur 18 der 109 betroffenen Schülerinnen und Schüler Gebrauch gemacht hat.

Qualität ist nicht allein eine Frage modernster Ausstattung

Kann man dann die finanzielle Schräglage auch auf die Schulen übertragen und sagen, dass eine Modernisierung der Schulen, der technischen Mittel und der Gebäude nicht gewährleistet werden kann? Braucht man diese Entwicklungen in den Schulen nicht?

Da gibt es eine klare Trennung. Die inneren Schulangelegenheiten, und damit insbesondere die Bezahlung der 180.000 Lehrerinnen und Lehrer ist Sache des Landes. Die äußeren Schulangelegenheiten, vor allem der Bau und die Instandhaltung der Gebäude, hingegen sind Zuständigkeitsbereiche der Kommunen. Wir wissen aber, dass die Kommunen sehr große Probleme haben. Deshalb haben wir einen kommunalen Stärkungspakt in Höhe von 3,6 Milliarden Euro verabschiedet, um die Handlungsfähigkeit der Kommunen zu stärken. Zusätzlich erhalten die Gemeinden jährlich 600 Millionen Euro Schul- und Bildungspauschale.

Die Frage, was eine gute Schule auszeichnet, ist eine sehr wesentliche. Es gibt Schulen mit tollen Gebäuden und alles ist wunderschön und eventuell auch nagelneu, aber es herrscht dennoch kein gutes Klima. Ich war schon in Schulen, die in alten Gebäuden untergebracht waren, deren Wände z. B. mit liebevoll angefertigten Bildern der Kinder geschmückt waren. Es hängt letzten Endes von der Haltung der Schulleitung, der Lehrkräfte und auch dem Engagement der Eltern ab. Behandeln wir einander mit Respekt, gibt es Wertschätzung in der Schule? Das sind auch wichtige Kriterien, die die Qualität einer Schule wirklich ausmachen. Eine Schulgemeinschaft, die die Sache so angeht, kann auch in einem alten Gebäude eine sehr gute Schule gestalten.
Warum Islamischer Religionsunterricht?

Wir haben den Religionsunterricht für katholische, evangelische und jüdische Schülerinnen und Schüler, also muss es auch einen Religionsunterricht für muslimische Kinder und Jugendliche geben, und deswegen bin ich sehr froh, dass wir diesen eingeführt haben. Er ist ein Zeichen der Anerkennung, der gesellschaftlichen Gleichberechtigung und der Integration. Wir weiten den Islamischen Religionsunterricht Schritt für Schritt aus. Das ist ein ganz wichtiges Signal für die hier lebenden Familien mit ihren Kindern.

Möchten Sie speziell unseren Lesern noch etwas ans Herz legen?

Ja gerne, und zwar: Wir müssen den Kindern Freude am Lernen, Freude an Bildung vermitteln. Ich werbe auch dafür, dass die Eltern ihren Teil der Verantwortung annehmen. Die Eltern sollen nicht die Hausaufgaben erledigen, aber sie sollen fragen: „Wie geht es dir in der Schule?“. Dazu möchte ich Ihre Landsleute, bzw. unsere Landsleute, denn das sind sie ja auch, einfach ermutigen.


Hier
geht es zum ersten Teil des Interviews