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Kolumnen

Islamismus: Memoiren eines V-Mannes

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Der Verfasser der jihadistischen Autobiografie ist gerade einmal 26 Jahre alt. Wären da nicht Geld und Unterstützung vom Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz (VS), so würde er gut als prototypischer Islamist durchgehen – ein junger Mann, vom rechten Wege ab- und auf dem radikalen Wege angekommen. Irfan Peci erzählt eine andere Geschichte, die eines Geläuterten. Am Ende bleibt jedoch die Frage, wovon er genau geläutert wurde. Dass er nun gegen Islamisten und deren Rekrutierungen bei Jugendlichen zu Felde ziehen möchte, würde immer noch zur Ausrichtung seiner bisherigen Tätigkeit für den Geheimdienst passen.

Nach der NPD und dem sog. NSU ist es nun also amtlich, dass es auch unter Islamisten V-Leute gibt. Das sollte uns nicht überraschen. Schließlich hatte Wolfgang Schäuble das bereits vor einigen Jahren angekündigt, als er noch Innenminister war. Doch seit kurzem gibt es auch Berichterstattung über dieses Phänomen. In einem Interview mit den Aachener Nachrichten vom 21. Februar 2015 räumt der aktuelle VS-Präsident Georg Maaßen ein, V-Leute in der Islamistenszene zu führen. Allerdings würden die besonderen Schwierigkeiten in der gewaltbereiten Szene für mehr Überwachung und Vorratsdatenspeicherung sprechen. Die Springer-Tageszeitung Die Welt berichtete darüber hinaus am 22. Februar 2015 das delikate Detail, dass der verdächtige Ex-VS-Mitarbeiter Andreas Temme, der beim Mord an Halit Yozgat in Kassel in dessen Internet-Café anwesend war, neben dem rechtsradikalen V-Mann Gärtner noch einige V-Leute im Bereich Islamismus geführt habe.

Der Tino Brandt der Islamistenszene

Irfan Peci war in der Globalen Islamischen Medienfront (GIMF) aktiv, hat via Internet Angst und Schrecken verbreitet, gegen gutes Geld Auskünfte gegeben und gleichzeitig den al-Qaida-Terrorismus unterstützt. Seine „Spenden“ an die Terrororganisation wären nicht im Plan des Geheimdienstes gewesen, der den V-Mann großzügig finanziell ausstattete. Peci ist demnach so etwas wie der Tino Brandt der Islamistenszene. Beim Münchener GIMF-Prozess war er vor allem als Zeuge geladen, und das war nicht die einzige Panne in dem Verfahren.

Der Journalist Holger Schmidt hat auf seinem SWR Terrorismus-Blog alle Stationen des hochnotpeinlichen GIMF-Prozesses festgehalten, von dem am Ende nicht mehr viel übrig blieb, weil schließlich keiner mehr so genau wusste, wer hier was zu verantworten hatte: Angeblich wurde die Globale Medienfront infiltriert oder gar geführt von einer US-Institution namens SITE, die den al-Qaida-Terror regelrecht inszeniert habe – und das alles auch noch mit Wissen des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND. Derlei Zusammenhänge klangen damals bizarrer als heute, nachdem in Sachen Geheimdienstkooperationen seit den Enthüllungen von Edward Snowden doch immerhin einiges ans mediale Tageslicht gekommen ist.

Schmidt schreibt am 16. September 2011 auf seinem Blog, nachdem im Hauptprozess nur noch ein Angeklagter übrig geblieben ist:

„In seinem Verfahren zeigt sich, dass die deutsche GIMF offenbar (ohne es zu wissen) auf einem höchst sumpfigen Gelände agierte. Die Angeklagten, aber auch Polizei und Bundesanwaltschaft, beschäftigten sich mit mindestens einer virtuellen Person, die versuchte, sie zu steuern: Die amerikanische Sicherheitsfirma SITE, die angeblich mit dem Wissen des deutschen BND handelte!“ Und weiter: „Heute kam das Thema erneut zur Sprache. Ein BKA-Vermerk aus dem Jahr 2008 wurde verlesen. Liest man ihn mit dem Wissen um die SITE-Aktivitäten und um den bisherigen Verhandlungsverlauf, so muss man ein sehr stabiles Gemüt haben, um nicht auf die Idee zu kommen, die deutsche GIMF sei von mehreren Seiten durch V-Leute oder Provokateure geführt worden.“

Weiteres Graben würde wohl einen noch tieferen Sumpf offen legen

Damals verweigerte Peci die Aussage und gegen ihn wurde nicht weiter ermittelt, weil er erst nach den inkriminierten Straftaten seine Arbeit als V-Mann aufgenommen habe, berichtet Telepolis am 12. September 2011. Im Gegensatz zur aktuellen „Wir-sind-jetzt-überrascht“-Berichterstattung stellt Telepolis die Frage nach anderen Fällen, wo die Verwicklung von Diensten in Terror-Straftaten eine Rolle spielte: etwa bei den Anschlägen in Madrid.

Übrigens geschah auch der Anschlag von Solingen nicht ohne das Involviertsein eines V-Mannes: Bernd Schmitt, wie u.a. Spiegel-TV am 13. Juli 2014 berichtet. Vermutlich würde weiteres Graben einen noch tieferen Sumpf offen legen.

Die einhellige Berichterstattung vom 27. Mai 2015, die Pecis Buch vorstellt, stellt solche brisanten Fragen nicht. Dort ist zwar von Stern über Spiegel bis zur ZDF-Berichterstattung von möglicher Strafvereitelung durch den sog. Verfassungsschutz, sowie von indirekter Terrorfinanzierung die Rede, aber die Straftatbestände klingen nach Vertuschen oder Quellenschutz und nicht nach dem Auffliegen eines möglichen Agent Provocateur. Das mag u.a. an Terrorexperte Theveßen liegen, der ohne Schmerz und Aber nicht zuletzt bei seiner Fehleinschätzung des Breivik‘schen Terrorakts in Norwegen daneben lag. Während der Stern noch vorsichtig im Konjunktiv formuliert, obwohl man einst auch Vorreiter im Aufdecken des V-Mannes der Sauerlandzelle Mevlüt Kar war, produziert Theveßen Interviewmaterial mit dem jungen Autor, der gleich noch ein paar Straftaten zugibt.

Die interessante Frage nach dem Warum der Enthüllungen und dem Zeitpunkt dafür spart Elmar Theveßen leider aus. Es bleibt ein fader Beigeschmack, auch und gerade nach den aktuellen Skandalen um die mangelnde Kontrolle der Dienste und deren supranationalen Kooperationen. Man will jedoch wirklich hoffen, dass es sich um Regelverstöße handelt und nicht etwa um gängige Praxis.