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Bildung & Forschung

„Islamunterricht bereits an 300 bayerischen Schulen“

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Prof. Herry Harun Behr ist seit 2005 Professor für islamische Religionslehre an der Universität Erlangen. Als solcher hat er am Modellversuch „Islamunterricht“ im Freistaat mitgewirkt. Im Interview mit uns zieht er eine Zwischenbilanz. (Foto: privat)

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„Islamunterricht bereits an 300 bayerischen Schulen“
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Herr Prof. Behr, können Sie sich bitte kurz vorstellen?

Mein Name ist Herry Harun Behr. Harun ist der Name, den mir die Muslime in Indonesien gegeben haben, als ich dort 1980 zum Islam konvertiert bin. Vorher war ich katholisch. Ich hatte mich zwischen 1979 und 1981 – von meinem 17. bis zum 19. Lebensjahr dort aufgehalten. Dann bin ich nach Deutschland zurückgekehrt und habe mein Abitur nachgeholt. Danach habe ich mich sehr intensiv in der deutsch-islamischen Community engagiert, um das Anliegen des Islam bekannt zu machen. Ich habe Lehramt studiert und bin Hauptschullehrer geworden. Ich habe schon Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre festgestellt, dass muslimische Schüler dringend Islamunterricht an Schulen brauchen. Daher bin ich von München aktiv geworden, um mit dazu beizutragen, diesen zu ermöglichen. Schließlich habe ich in Bayreuth zu Fragen des Islam promoviert. Im Jahre 2005 habe ich diese Professur zur Ausbildung muslimischer Religionslehrer gelandet.

Sie sind nun Professor am Islamzentrum an der Erlanger Universität. Können Sie bitte Ihr Zentrum vorstellen?

Ich bin Professor für Islamische Religionslehre an der Universität Erlangen und habe noch zwei andere Kollegen. Einer davon kommt aus Ägypten und lehrt Grundlagen der Religion. Der andere ist ein aus dem Iran stammender, schiitischer Theologe des Islam. In Kürze wird vermutlich auch ein Kollege aus der Türkei kommen, nämlich Prof. Osman Tastan aus Ankara. Wir bilden gemeinsam die Abteilung für Islamisch-Religiöse Studien, die zur philosophischen Fakultät gehört. In diesem Department bieten wir zum einen die Ausbildung Islamischer Religionslehrer an, zum anderen den Studiengang „Islamisch-Religiöse Studien“ (Bachelor). Ab dem nächsten Jahr wollen wir auch den Master-Studiengang einführen. Er wird verschiedene Schwerpunkte haben: Grundlagenforschung des Islam, Islam und soziale Arbeit (in diesem Bereich bilden wir islamische Seelsorger weiter) sowie Islam und Medien sowie Pädagogik.

Wie viele Studenten haben sie?

Im Bereich der Lehrerausbildung haben wir momentan 30 Studenten. Im Studiengang Islam (BA) haben wir derzeit 7 Studenten. Insgesamt haben wir 20 Mitarbeiter in der Abteilung.

Was für eine Zukunftsperspektive werden Ihre Absolventen haben?

Die deutsche Gesellschaft braucht eigentlich keine zusätzlichen Theologen, sondern was wir brauchen, sind Experten der islamischen Theologie. Das ist noch kein Beruf, sondern eher so etwas wie ein besonderer Kenntnisstand. Man kann ja Vollzeittheologen im Grunde genommen entweder für die Universität oder aber für islamische Gemeinden ausbilden. Aber islamische Gemeinden sind eher praxisorientiert. Dort schreibt niemand theologische Aufsätze. Deswegen sehe ich nur folgende Berufsaussichten: Durch die Ausbildung werden wir potenzielle Religionslehrer haben, diese sollen dann aber auch Lehramt studieren. Was islamische Theologie angeht, brauchen wir z.B. Muslime, die sagen, ich möchte gerne innerhalb einer Organisation wie Caritas, Diakonie etc., die sich in meiner Stadt befindet, Muslime beraten, die sich in Schwierigkeiten befinden. Überall sind Muslime, um die sich keiner kümmert. Dazu brauchen wir Leute, die den Islam nicht nur kulturell, sondern auch theologisch und fachlich richtig kennengelernt haben. Sie sollen wissen, wie die psychologischen Aspekte einer Seelsorge funktionieren. Dafür wollen wir unsere Leute bilden und da sind die Berufschancen gut.

Welche Botschaften würden Sie denn Studienbewerbern bezüglich Ihres Studienganges übermitteln?

Ich glaube, Allah hat sich etwas dabei gedacht, Muslime in dieses Land, nach Deutschland, zu schicken. Das ist mit einer Aufgabe verbunden. Diese Aufgabe besteht, wie ich finde, darin, dieser Gesellschaft zu zeigen, dass der Islam nicht nur für Probleme in dieser Gesellschaft verantwortlich ist, sondern dass er dafür Problemlösungen bereithält. Islam wird immer mit einem Problem identifiziert. Eigentlich ist es aber so, dass nicht der Islam Ursache für Probleme ist, sondern ganz andere Strukturen. Und dass man stärker darüber nachdenken muss, was der Islam an Lösungen bereithält. Z.B. für die Wirtschaftskrise, mit Blick auf die Altersarmut oder wie man mit der Arbeitslosigkeit umgeht, wie man mit Depression umgeht, wie man Werte definiert und vieles mehr. Jungen Muslimen würde ich sagen, ihr müsst ein akademisches Studium machen, damit ihr die richtigen Leute mit dieser Botschaft erreicht.

Zum Modellprojekt Islamunterricht in Bayern möchte ich ein paar Fragen stellen. Was für eine Funktion haben Sie bei diesem Projekt?

Ich bin vom Kern her jemand, der Islamlehrer an der Universität ausbildet. Alle Lehrer werden in Bayern an der Universität gebildet. Durch meine enge Kooperation mit Erlanger und Nürnberger Muslimen bin ich da mit reingeraten. Die Lehrpläne, die in Bayern gelten, habe ich in ihrer Entstehungsphase betreut und mitgeformt, aber nicht allein. Da waren auch andere Muslime beteiligt wie etwa die Vertreter der Erlanger Religionsgemeinschaften, da war auch jemand, der zwar zur DITIB gehört, aber nicht in seiner Eigenschaft als Funktionär mit dabei war. Ich bin im Grunde genommen Fachmann für Fragen über den Islam, die mit Islamunterricht und Pädagogik zu tun haben. Dadurch bin ich auch der Ansprechpartner auf der politischen Ebene. Wir hatten bis 2008 Islamunterricht nur in 11 Schulen in Bayern. So habe ich mich 2009 mit dem Bayerischen Kultusminister, Dr. Ludwig Spaenle, der sich für dieses Projekt eingesetzt hat, getroffen und er hat mir vorgeschlagen, dieses Projekt auf alle Schulen in Bayern auszuweiten. Dabei habe ich ihn auch unterstützt und so hat der bayerische Ministerrat im März 2009 einstimmig beschlossen, dass der Islamunterricht mittelfristig auf alle Schulen ausgeweitet werden soll. So haben wir mittlerweile Islamunterricht in fast 300 Schulen. Für dieses Projekt konnten wir viele Lehrer gewinnen, die für türkischsprachlichen Ergänzungsunterricht hier waren.

Wie sieht die Kooperation mit DITIB und anderen Religionsgemeinschaften aus?

Es gibt aus politischen Gründen keine offizielle Kooperationen mit islamischen Verbänden, weil die bayerischen Behörden, in diesem Falle das bayerische Kultusministerium, das aus prinzipiellen Gründen damals abgelehnt haben, weil einige dieser Verbände in Konkurrenz zueinander standen und weil nicht klar war, wie man mit DITIB oder mit Milli Görüş umgehen soll. Es gibt auch andere religiöse Bewegungen. Das heißt, wir haben in die Lehrplankommission Einzelpersonen berufen und dabei nicht auf die Agenda gesetzt, ob sie nun mit der Gemeinde X oder Y zu tun hatten. Aber wir hatten z.B. einen mit dabei in der Kommission, der auch bei DITIB für Religionsfragen zuständig ist.

Wie kann man dieses politische Problem lösen?

Diese Frage müsste man eigentlich den Politikern stellen, weil ich nicht weiß, was für ein Problem sie eigentlich haben. Ich habe irgendwie den Eindruck, dass sehr viele vorgeschobene Argumente im Umlauf sind. Soweit ich mitbekommen habe, hat man mit dem alevitischen Religionsunterricht und mit alevitischen Verbänden kein Problem, obwohl alevitische Verbände untereinander auch nicht einig sind. Aber da war der politische Wille klarer. Beim Islamunterricht war dies hingegen nicht der Fall. Daher würde ich vorschlagen, dass man dieses Modellprojekt in Bayern um 5 Jahre verlängert und in dieser Zeit sollen muslimische Vereine und Verbände endlich zusammenkommen, ähnlich wie in Nordrhein-Westfallen. Also sie sollen vielleicht ein Plattform gründen und dadurch Fragen, die alle Muslime angehen, gemeinsam koordinieren. Sie sollen konkret über die Frage einer bayerischen Religionsgemeinschaft der Muslime nachdenken.

Wie sieht der Islamunterricht in Bayern aus?

Wären die Muslime eine anerkannte Religionsgemeinschaft, dann hätten sie einen Anspruch auf Religionsunterricht auf der Basis des Artikels 7 Abs. 3 des deutschen Grundgesetzes. Dieser regelt die Frage des Religionsunterrichts als eine gemeinsame Angelegenheit zwischen dem Staat und den Religionsgemeinschaften. Religionsgemeinschaften haben das Recht, nicht vorgeschrieben zu bekommen, welche theologische Lehre sie vertreten und sie haben das Recht, zu bestimmen, wer diesen Unterricht ausführen darf. Der jetzige Islamunterricht in Bayern ist kein Unterricht nach Artikel 7 Abs. 3 des Grundgesetzes. Die Religionsgemeinschaften können weder den Inhalt des Unterrichts noch die Lehrer bestimmen. Muslime sehen dies als ein großes Problem und da haben sie auch Recht. Das ist im Grunde genommen ein Verfassungsbruch. Rechtlich gesehen ist dieser Unterricht laut dem Projektverantwortlichen im Ministerium zwischen Religion und Ethik angesiedelt, aber inhaltlich gesehen ist er ein Religionsunterricht. Ich denke, beim Thema Islamunterricht hat das Kultusministerium ein internes Problem: Während die Grundsatzabteilung einen ordentlichen Islamunterricht will, stoppt die Rechtabteilung dieses Vorhaben mit der Begründung, dass der Islam keine Kirche, Muslime keine anerkannte Religionsgemeinschaft seien und damit kein verfassungsmäßiger Religionsunterricht im Sinne des Art. 7 Abs. 3 möglich wäre. Wenn Muslime eine Religionsgemeinschaft bilden würden, könnten auch juristische Unwägbarkeiten ausgeräumt werden.

Welche Lehrer dürfen Ihrer Meinung nach Islamunterricht geben (im Hinblick auf die Konfession der Lehrer und ihre Lebensweise)?

Wer an einer bayerischen öffentlichen Schule unterrichtet, und zwar egal in welchem Fach, der unterliegt den gesetzlichen Bestimmungen, nach denen die Qualität der erteilten Lehre beurteilt werden kann. Im Wesentlichen geht es um die fachliche, die pädagogische und die persönliche Eignung. Diese Regelungen wahren aber auch den Persönlichkeitsschutz der Lehrkräfte. Für den Bereich des Religionsunterrichts bekommt die Sache noch einmal eine andere Wendung, weil neben der dienstlichen und fachlichen Beratung oder der Zufriedenheit der Schüler und Eltern (das ist das mächtigste Argument) auch noch die Erwartungshaltung eines religiös-institutionellen Trägers hinzukommt. Für den islamischen Religionsunterricht ist klar, dass jemand die religiösen Grundlagen des Fachs bejahen muss, um es unterrichten zu können. Es geht hier nicht um theologische Spezialfragen, sondern um den generellen Konsens unter Muslimen: Dass es nur einen Gott gibt, dass Er der Erschaffer und Erhalter seiner Schöpfung ist, dass es ein Leben nach dem Tode gibt, dass sich die Menschen vor Gott verantworten müssen, dass Muhammad der Gesandte Gottes ist, dass der Koran die Mitteilung Gottes an die Menschen ist und dass der Islam auf einfachen Prinzipien beruht, bei denen es wichtig ist, sie nicht nur für richtig zu halten, sondern sie im Leben auch einzuhalten. All das wird durch die Schahada, das muslimische Glaubenszeugnis, zum Ausdruck gebracht. Eine Lehrbefugnis (idschaza) sollte deshalb nur auf folgenden Prinzipien beruhen: a) Dem Nachweis der fachlichen Ausbildung, b) dem beratenden persönlichen Gespräch mit einem muslimischen Verantwortlichen für das Fach und c) dem Nachweis dieses Gesprächs durch die Unterschrift der Lehrkraft (das unterschriebene Dokument enthält die Schahada, die Erklärung der freiwilligen Entscheidung für das Fach und nennt Ort, Zeitpunkt und Teilnehmer des beratenden Gesprächs – ohne weitere inhaltliche Protokollierung).

Bei einer Veranstaltung, an der auch Sie teilnahmen, habe ich Sie so verstanden, dass Sie statt Religionsunterricht eher einen für Ethik und Philosophie präferieren würden. Was sagen Sie dazu?

Ich bin auf der einen Seite ein Pädagoge und auf der anderen ein Muslim. Das lässt sich natürlich sehr gut verbinden. Aus pädagogischer Sicht habe ich eine grundsätzliche Kritik am Religionsunterricht, so wie dieser gerade läuft. Man tut so, als könnten von der Grundschule an die Kinder alle gemeinsam die ersten vier Klassen besuchen. Dann werden sie für den Religionsunterricht (nach ihrer Konfession) in Schubladen gesteckt. Damit habe ich ein Problem, weil ich mich frage, welches Weltbild wir den Kleinkindern zugrunde legen, die irgendwie denken könnten, religiös gesehen sind wir anders als die anderen, aber dann sind wir vielleicht auch menschlich gesehen anders. Das Modell kann nur funktionieren, wenn die Inhalte des Religionsunterrichts immer deutlich auch den Blick auf die anderen richten, die nicht dabei sind. Das wäre eigentlich die Aufgabe der Philosophie.

Deswegen sage ich zwar glasklar ja zum Religionsunterricht, weil es nun mal so ist, dass man in religiöse Hinsicht anders ist. Aber dieser Unterricht braucht zwei Ergänzungen, nämlich zum einen, dass ein weiteres Fach hinzukommt wie Philosophie, an dem alle Kinder teilnehmen und gemeinsam über bestimmte Fragen, wie Gerechtigkeit, Gewalt, Krankheit und Tod, diskutieren können. Zum anderen wäre wichtig, dass im Religionsunterricht selbst Kinder weniger gezwungen sein sollten, Sachen auswendig zu lernen und stattdessen zusätzlich Gelegenheit bekommen, sich stärker über ihren philosophischen Fragen, die sie spätestens im Alter von 13-14 Jahren entwickeln, zu unterhalten.