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Kultur/Religion

Ist „Çanakkale 1915” un-passabel?

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Der Sieg über die Alliierten 1915 an den Dardanellen ist zum geflügelten Wort geworden: „Çanakkale geçilmez” – das bedeutet: Çanakkale ist unpassierbar. Den Kinofilm darüber finden viele jedoch nicht passabel. Ismail Kul fragt: Zu Recht?

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Ist „Çanakkale 1915” un-passabel?
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Was wird nicht alles über türkische Filme und Serien geklagt! Mal empfindet man sie als zu freizügig, beispielsweise in den arabischen Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas, mal als zu patriotisch und nationalistisch. Letzteres trifft vor allem auf Deutschland zu. In Deutschland gibt es regelmäßig Kritik an türkischen Filmen. Angeblich würden sie zu patriotisch sein und so die Integration der hiesigen türkischstämmigen Bevölkerung hintertreiben. Das war so, als es um den Film „Kurtlar Vadisi Irak” („Tal der Wölfe” ging – der allerdings auch einige antisemitische Untertöne aufgewiesen haben soll), und das war auch so bei „Fetih 1453”, der die Eroberung Istanbuls behandelte. Und das ist nun auch so bei dem aktuell in den Kinos laufenden Film „Çanakkale 1915” über die erfolgreiche Verteidigung der Dardanellen-Meerenge im Jahre 1915 während des Ersten Weltkriegs.

Dabei wäre ein kurzer Blick auf die Gesamtentwicklung des türkischen Filmsektors hilfreich. Der türkische Filmsektor durchläuft zurzeit eine sehr erfolgreiche Phase. Auch wenn die Geburtsstunde des Türkischen Films auf das Jahr 1914 datiert wird, begann die regelmäßige Produktion von Filmen erst Mitte der 1940er-Jahre. Während der 70er-Jahre wurden Filme wie am Fließband produziert, die finanzielle Ausstattung war jedoch damals schlecht und dies schlug sich auch in der Qualität der Produktionen nieder.

Nicht aber heute: Seit Mitte des letzten Jahrzehnts erlebt das türkische Kino eine neue Blütezeit. Wurden noch im Jahr 2005 lediglich 27 eigene Filme produziert, so stieg diese Zahl im Jahre 2011 auf 70 Produktionen an. 60 Prozent der türkischen Kinobesucher sehen türkische Filme. Was Fernsehserien betrifft, sieht es ähnlich aus. Im vergangenen Jahr wurden über einhundert türkische Serien ins Ausland exportiert.

Nun zum Film „Çanakkale 1915”. Seit seiner Kinopremiere am 18.Oktober 2012 haben den Film in Deutschland nach Angaben der Filmverleihfirma Kinostar bis zum 11. November bereits 46.643 Zuschauer gesehen. Da der Film noch im Programm ist, dürfte diese Zahl noch erheblich steigen. Die Kritiken in der deutschen Presse waren jedoch fast einstimmig negativ. Von einem extrem patriotischen Stück war die Rede, einem politisch ärgerlichen Film. Einer fragte sogar, wie man denn im Jahr 2012 in einem Film den Märtyrertod propagieren und die Kino-Einlasserin dem Besucher dabei viel Spaß wünschen könne.

Verleitet „Tatort” zu Mord und Totschlag?

Dabei wäre Gelassenheit ungleich angebrachter. Zum einen belohnen türkische Zuschauer nicht nur spektakuläre patriotische Blockbuster mit hohen Besucherzahlen. Zu den erfolgreichsten Filmproduktionen des türkischen Kinos der jüngeren Zeit gehören beispielsweise auch die „Recep Ivedik“-Filme, die die alltäglichen Abenteuer des gleichnamigen Rüpels behandeln. Das Argument, die patriotischen Filme würden die Integration der türkischstämmigen Bevölkerung untergraben, ist ebenfalls mit Vorsicht zu genießen. Unterhaltung und tatsächlicher Lebenswandel sind zwei verschiedene Paar Schuhe. So wäre es ja auch völlig danebengegriffen, in jedem „Tatort”-Zuschauer einen potenziellen Mörder zu vermuten.

Und auch die Zweifel daran, ob dieser Film politisch korrekte und erwünschte Bilder und Botschaften transportiert – sofern dies überhaupt Aufgabe von künstlerischem Schaffen sein soll -, kann man getrost hinterfragen: Zum einen ist in jedem Land das Maß für politische Korrektheit anders. Während in Dänemark (von den USA ganz zu schweigen) das Hissen der Landesflagge als etwas völlig Normales angesehen wird, dürfte dies in Deutschland etwas anders beurteilt werden. Zum anderen stechen auch nicht alle Filme, die in Deutschland produziert werden, dadurch hervor, dass sie die Völkerverständigung propagieren würden.

Wie wäre wohl sonst das zweifelhafte SAT1-Rührstück über das Schicksal von Marco W. zu verstehen, einen deutschen Jugendlichen in der Türkei, der 2007 aufgrund einer Anzeige der Mutter eines 13-jährigen englischen Mädchens festgenommen wurde? Aus einer solch banalen Geschichte schaffte man es, aus einem der sexueller Belästigung einer Minderjährigen beschuldigten Jungen einen Filmhelden zu machen, die Türkei hingegen zu einem Unrechtsstaat zu stempeln.