Politik
Istanbul: Ahmet Şık festgenommen
Wieder führt die türkische Polizei einen prominenten Journalisten ab, wieder unter Terrorverdacht. Zugleich beginnt der Prozess gegen die Autorin und Journalistin Aslı Erdoğan. Ein Oppositionsabgeordneter sagt, die Türkei sei zur „Hölle für Journalisten“ geworden.
Es ist nicht das erste Mal, dass er wegen seiner Arbeit hinter Gitter kommt: Der prominente türkische Autor und regierungskritische Journalist Ahmet Şık ist in Istanbul unter Terrorverdacht festgenommen worden. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Ajansı (AA) meldete, Şık werde Propaganda für die Terrororganisation PKK und Beleidigung von Staatsorganen vorgeworfen. Grundlage seien Artikel in der regierungskritischen Zeitung „Cumhuriyet“ und Twitter-Nachrichten Şıks. Am Donnerstag begann in Istanbul außerdem der Prozess gegen die bekannte Autorin und Journalistin Aslı Erdoğan sowie acht weitere Angeklagte wegen Terrorvorwürfen. Erdoğan sitzt seit über 130 Tagen in Untersuchungshaft.
Barış Yarkadaş, Abgeordneter der Oppositionspartei CHP, sagte, Şık sei für die ersten fünf Tage im Polizeigewahrsam der Kontakt zu einem Anwalt untersagt worden. Yarkadaş hatte zuvor nach eigenen Angaben mit Şık gesprochen. Nach den derzeit geltenden Notstandsdekreten kann Festgenommenen fünf Tage lang der Kontakt zum Anwalt untersagt werden. Sie können bis zu 30 Tage lang festgehalten werden, bevor sie einem Haftrichter vorgeführt werden müssen.
Sik gehört zu den prominentesten Kritikern der Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen, den Staatschef Recep Tayyip Erdoğan für den Putschversuch Mitte Juli verantwortlich macht. Şıks Buch „Die Armee des Imam“ wurde 2011 noch vor der Veröffentlichung verboten, er selber saß ein Jahr in Untersuchungshaft. Diese Verhaftung Şıks wird Staatsanwälten zugeschrieben, die der Gülen-Bewegung nahegestanden haben sollen. Şık kritisiert auch die jahrelange Förderung Gülens durch die Regierungspartei AKP und vor allem durch Erdoğan bis zum öffentlichen Bruch 2013. So beschuldigt Şık Staatspräsident Erdoğan, persönlich für den Putsch vom 15. Juli verantwortlich zu sein, da er es gewesen sei, der die Ausbreitung von Anhängern Fethullah Gülens im Staatsapparat gefördert habe.
Nach wie vor ist Ahmet Şık einer der deutlichsten Kritiker der AKP-Regierung unter Staatspräsident Erdoğan, dem er vorwirft, die Prinzipien der Republik auszuhebeln und eine “rassistische, nationalistische Diktatur” aufzubauen. Über die AKP äußerte Şık sich am Rande der Verhaftungen mehrerer Chumhuriyet-Journalisten, diese sei „keine politische Partei, sondern eine Mafia“. Ihr Ziel sei es, „jeden Bürger, der nicht zu der AKP gehört, mundtot zu machen. Falls die Behörden auf der Suche nach einer kriminellen Organisation sind, sollten sie den Sitz des Premierministers der Republik Türkei durchsuchen.”
Prozessbeginn gegen Aslı Erdoğan
Der Prozess gegen Aslı Erdoğan und weitere Angeklagten begann unter großer öffentlicher Aufmerksamkeit. Der Andrang am Gerichtsgebäude Çağlayan war so groß, dass der Richter nur einem Teil der Beobachter Zugang zur Verhandlung gewährte. Den Angeklagten wird unter anderem PKK-Mitgliedschaft vorgeworfen. Ihnen droht lebenslange Haft.
Hintergrund ist die Tätigkeit der Angeklagten für die inzwischen geschlossene pro-kurdische Zeitung „Özgür Gündem“. Die türkischen Behörden sehen das Blatt als Sprachrohr der PKK. Aslı Erdoğan hatte unter anderem Kolumnen für die Zeitung geschrieben und saß in einem vor allem symbolischen Beratungsgremium des Blattes. Im August war sie bei einer Razzia gegen „Özgür Gündem“ festgenommen worden. Die Autorin und weitere drei der Angeklagten sitzen in Untersuchungshaft.
Der Parlamentarier Yarkadaş bezeichnete den Prozess als „Skandal“. Der Fall hätte nie vor Gericht gebracht werden dürfen, sagte er. „Die Türkei ist vollständig zur Hölle für Journalisten geworden.“
Auch die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) hatte die türkische Justiz vor Prozessauftakt scharf kritisiert und den Behörden „Missbrauch des Strafrechts auf Kosten der freien Meinungsäußerung“ vorgeworfen. Die 1967 in Istanbul geborene Aslı Erdoğan ist auch international bekannt. Ihre Bücher wurden unter anderem im Züricher Unionsverlag publiziert. (dpa/ dtj)