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Gesellschaft

Istanbul – die verwundete Stadt

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Ein Selbstmordattentäter tötete vor einem Jahr zwölf Deutsche in der Istanbuler Altstadt. Es ist der erste schwere Terroranschlag in der Millionenmetropole, für den die Terrormiliz IS verantwortlich gemacht wird. Eine Zäsur für Stadt und Einwohner.

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Istanbul im Januar 2017
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Im Istanbuler Viertel Sultanahmet wirbelt der Schnee um den ägyptischen Obelisken neben der berühmten Blauen Moschee. Weiß und unschuldig sieht der Ort aus, an dem vor einem Jahr bei einem Selbstmordattentat zwölf deutsche Touristen getötet und zahlreiche verletzt wurden. Als wollte der Schnee die schmerzhafte Erinnerung etwas abdämpfen.

Ein Selbstmordattentäter hatte sich am Morgen des 12. Januar 2016 neben dem Obelisken in die Luft gesprengt. Er steuerte direkt in eine deutsche Reisegruppe hinein. Die türkischen Behörden identifizierten den Attentäter später als den aus Syrien stammenden Nabil Fadli. Er soll im Auftrag der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gehandelt haben. Die Terrorgruppe bekannte sich jedoch nicht dazu.

Die Türkei wurde schon damals immer wieder von Anschlägen erschüttert. Das Attentat in Sultanahmet war jedoch der erste schwere Terroranschlag in Istanbul, für den der IS verantwortlich gemacht wurde. Eine Katastrophe für die Opfer und deren Angehörige – und eine Zäsur für die Stadt und deren Einwohner.

Auf Anschläge folgten Anschläge

Seitdem schlugen die Terroristen des IS oder der PKK in Istanbul immer wieder zu. Auf der Einkaufsstraße Istiklal, im Stadtteil Beşiktaş, am Atatürk-Flughafen, im Club Reina. Zusätzlich belastet die politische Situation. Die Stimmung ist gedrückt. Menschen und Stadt ächzen unter der wirtschaftlichen, mentalen und gesellschaftlichen Last.

Kaum beachtet von der Öffentlichkeit versucht das Gericht für schwere Straftaten in Istanbul die Hintergründe des Sultanahmet-Attentats aufzuklären. 26 Verdächtige sind angeklagt, die meisten davon aus Syrien. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen laut Anklageschrift unter anderem Mitgliedschaft in einer Terrororganisation und vorsätzliche Tötung vor. Am letzten Verhandlungstag im Dezember hatten die vernommenen jungen Männer Verbindungen zum IS abgestritten. Manche geben sogar an, vor dem IS geflohen zu sein. Die Befragung verläuft mühsam, es gibt Übersetzungsprobleme.

Mittlerweile sind noch fünf der Angeklagten in Untersuchungshaft. Das Gericht sieht bei ihnen dringenden Tatverdacht. Darunter ist ein 25-jähriger Syrer, der laut Anklage geholfen haben soll, die Bombe in die Türkei zu schmuggeln. Der Attentäter sollte sie später bei seinem Anschlag benutzen.

An die schwere Explosion in Sultanahmet kann sich der Verkäufer Ramco gut erinnern. „Ich war ein Stück entfernt, aber habe so etwas wie einen Feuerball gesehen und diesen furchtbaren Knall gehört.“ Damals arbeitete der 22-Jährige noch bei einer Reiseagentur, wie er erzählt. Den Job habe er inzwischen aufgegeben, Gehalt habe er sowieso nicht mehr bekommen. Es habe einfach zu wenig Touristen gegeben, die er hätte herumführen können. „Die Menschen haben seit dem Anschlag in Sultanahmet Angst, hierher zu kommen“, sagt Ramco.

Es sind tatsächlich nur wenige Touristen unterwegs, sicher auch wegen des Schneegestöbers. Ein Paar aus Singapur erzählt, sie seien das zweite Mal in der Stadt. Angst hätten sie nicht. Der türkische Touristenführer winkt das Paar weiter und sagt: „Anschläge können überall passieren, die Türkei ist sicher.“ Damit beendet er das Gespräch.

Hunderte Geschäfte mussten bereits schließen

Die Besucherzahlen – der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für die Türkei und für Istanbul – sind im Jahr 2016 eingebrochen. So kamen im Vergleich zum Vorjahr laut Kultur- und Tourismusdirektion von Istanbul rund 26 Prozent weniger Ausländer in die Stadt. In der Statistik wird kein Unterschied zwischen Touristen und in der Stadt Arbeitenden gemacht. Der Einbruch im Tourismussektor dürfte daher real noch höher sein. Mit rund einer Million Besucher machten die Deutschen 2016 noch immer die größte Besuchergruppe aus, doch es kamen deutlich weniger als im Jahr 2015. Damals waren es noch rund 1,3 Millionen.

Das hat Folgen für die heimische Wirtschaft: Türkische Medien berichteten schon im Oktober, dass im berühmten Großen Basar in Istanbul 500 von den 3600 Geschäften hätten schließen müssen – Tendenz steigend. Auch auf der berühmten Einkaufsstraße Istiklal machen immer mehr Läden dicht.

Ramco hilft inzwischen bei seinem Kumpel Ramo im Geschäft aus und verkauft Lampen. Die bunt bemalten Lampenschirme baumeln über den Köpfen der jungen Männer. Ramo hat eine Elektroheizung angestellt, die den kleinen Laden nur spärlich erwärmt. Geschlossen ist sowieso, wegen des Schneesturms vor der Tür. Doch das Geschäft laufe ohnehin schlecht, sagt Ramo. Dabei habe er den Laden sogar erst nach dem Sultanahmet-Anschlag angemietet, erzählt Ramo. Die Mietpreise seien damals gefallen, er sah das als Chance. Doch nun kämpft er um seine Existenz. „Ich dachte damals, es wird besser, aber nichts wird besser.“ (Mirjam Schmitt, dpa/ dtj)