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Kolumnen

Hüzün – wie fiktive Melancholie zur Realität wird

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ein Gastbeitrag von Sema Gergerlioğlu

„Hüzün“- dies ist der zentrale Begriff aus dem Arabischen, den der Nobelpreisträger Orhan Pamuk in seinem Roman verwendet, um die Melancholie Istanbuls zu beschreiben. Laut Pamuk ist Hüzün „nicht mehr die von einer Einzelperson wahrgenommene Melancholie, sondern das von Millionen von Menschen zugleich empfundene schwarze Gefühl, der Hüzün von einer ganzen Stadt, der Hüzün von Istanbul.“

Diese Zeilen entnehme ich aus Pamuks Roman „Istanbul – Erinnerungen an eine Stadt“, eine Art Liebeserklärung an Istanbul. Als ich vor einigen Jahren diesen Roman las, mit der Intention, meine Heimatstadt besser nachzuvollziehen; in die nostalgische Silhouette meines zweiten Zuhauses einzutauchen, hätte ich nicht im Geringsten erahnen können, dass dieses Buch mir mal als eine Art Beruhigung dienen würde, um all die schlimmen Ereignisse der letzten Tage, Wochen und Monate zu mildern.

Einst mussten wir uns schreckliche Bilder aus Reportagen über den Krieg im Irak, in Afghanistan und Syrien ansehen. Doch nun ist es unsere eigene Heimat. Ist es gerade diese Tatsache, die es uns erschwert, die Situation zu akzeptieren? Die Tatsache, dass alles einmal schöner, friedlicher, sicherer war?

Unsere Stadt wird von Tag zu Tag fremder, melancholischer, düsterer. Dies haben wir leider in der vergangenen Zeit anhand von Terroranschlägen und der wachsenden Angst der Istanbuler – und natürlich der gesamten Türkei – beobachten müssen. In Istanbul wächst die Melancholie. Das von Millionen von Menschen zugleich empfundene schwarze Gefühl. Pamuks Zeilen werden zur Wirklichkeit.

Doch das ist nicht mein Istanbul. Mein Istanbul ist stark. So stark, dass es trotz seiner überwältigenden Vergangenheit immer noch standhaft ist, mit der gleichen Schönheit. Und es ist nun erst recht stärker denn je, denn wir werden nicht zulassen, dass der Terror das Bild, welches seit Jahrtausenden herrscht, zerstört. Wir werden diese schweren Zeiten überstehen. Indem wir uns gegenseitig als Menschen lieben und respektieren lernen – so wie es mit unserer ersten großen Liebe Istanbul war.


Sema Gergerlioğlu ist Jurastudentin aus Düsseldorf.