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Wirtschaft

Jahresrückblick: So lief 2016 für die türkische Wirtschaft

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Wie 2016 angefangen hat, so hört es auch wieder auf. Terroranschläge erschütterten die Türkei über das ganze Jahr hinweg. Nicht nur die türkische Gesellschaft bleibt traumatisiert zurück, auch die einst boomende Wirtschaft ist eingebrochen. Es gibt jedoch auch Lichtblicke. Ein ökonomischer Jahresrückblick.

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Von Carolina Drüten

2016 war nicht nur politisch und gesellschaftlich ein entscheidendes Jahr für die Türkei. Auch wirtschaftlich hatte das Land es sehr schwer. Viele befürchten, dass 2016 das Ende des Aufschwungs der türkischen Wirtschaft markieren könnte. Den wohl größten Schlag des Jahres hatte die türkische Lira zu verkraften. Sie sank auf den tiefsten Stand seit der globalen Finanzkrise vor acht Jahren. Mit dem mexikanischen und dem argentinischen Peso ringt sie um die zweifelhafte Ehre, die schwächste Währung eines Schwellenlandes zu sein. Die Gründe für die Talfahrt der Lira sind vielfältig: Nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli, der Ausrufung des Ausnahmezustands, Dutzenden von Terroranschlägen und angesichts des autoritären Kurses der Regierung sind Investoren verunsichert. Mit der Wahl Donald Trumps zum nächsten US-Präsidenten erwarten Anleger außerdem höhere Zinsen in den Vereinigten Staaten und ziehen ihr Kapital aus Schwellenländern wie der Türkei, aber auch anderen aufstrebenden Volkswirtschaften ab. Bereits Ende September hatte die Ratingagentur Moody’s die Kreditwürdigkeit der Türkei auf Ramschniveau herabgestuft.

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Kurs der Türkischen Lira gegen den Euro in den letzten fünf Jahren. Quelle: Bloomberg

Auch in der Tourismusbranche schaut man auf ein enttäuschendes Jahr zurück. Durch die schlechten türkisch-russischen Beziehungen in der ersten Jahreshälfte machten weniger Russen Urlaub in der Türkei. Im Juni näherten sich die Präsidenten Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan zwar wieder an, doch auch die zugespitzte Sicherheitslage verschreckte viele Reisende. Im Vergleich zu den Vorjahren kommen deutlich weniger Urlauber – und damit Einnahmen – in die Türkei. Auch die Deutschen suchen sich lieber andere Ziele. „Wir hatten insgesamt mehr Kunden als im Vorjahr, aber eine Million weniger in der Türkei“, sagt Fritz Joussen, Chef des Reiseveranstalters TUI.

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Eigene Darstellung nach Daten des Türkischen Kultur- und Tourismusministeriums.

Tausende Unternehmen enteignet

Die Auswirkungen des missglückten Putschversuches auf die türkische Wirtschaft sind enorm. Die Säuberungspolitik der Regierung verschärft die Situation noch – Tausende Unternehmen wurden 2016 enteignet. Die Inhaber stehen unter Verdacht, der Gülen-Bewegung anzugehören und den militärischen Coup unterstützt zu haben. Fetullah Gülen, ein islamischer Prediger mit Wohnsitz in den USA, bestreitet diese Vorwürfe vehement. Doch Erdoğan führt seine Hexenjagd unbeirrt fort. Per Dekret erhielt die Bankenaufsichtsbehörde im September das Recht, Firmen mutmaßlicher Gülen-Anhänger zu verkaufen oder abzuwickeln. Die Einnahmen gehen an den Staat.

Zumindest die Euphorie der Baubranche hielt an. 2016 wurden in der Türkei zahlreiche Infrastrukturprojekte abgeschlossen, wie beispielsweise in Istanbul die dritte Bosporus-Brücke oder der Autobahntunnel, der den Bosporus unterführt.

In welche Richtung sich die Türkei entwickelt, bleibt abzuwarten. Die Beziehungen zur EU sind angespannt. Immerhin wollen Türkei und EU Anfang 2017 über eine Vertiefung der bestehenden Zollunion sprechen. Damit würden sich Chancen für die europäische und die türkische Wirtschaft ergeben. Jedoch ist Erdoğan nicht abgeneigt, dem Westen den Rücken zu kehren und sich anderen Akteuren wie China oder Russland zuzuwenden. Das schafft Unsicherheit, zusätzlich zu der sowieso schon fragilen Lage im Land. Nun ist zum ersten Mal seit sieben Jahren die türkische Wirtschaft geschrumpft – ein Alarmsignal. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ging nach Angaben des türkischen Statistikinstituts im dritten Quartal 2016 um 1,8% zurück. Ökonomen im In- und Ausland befürchten einhellig, dass im kommenden Jahr eine schwere Wirtschaftskrise bevorstehen könnte. „Die Regierung kann den Einbruch der Wirtschaft hinauszögern, aber ich fürchte, sie wird ihn nicht mehr verhindern können“, schreibt beispielsweise der renommierte Wirtschaftsjournalist Mustafa Sönmez.

2016 war gewiss kein rosiges Jahr für die Türkei – weder politisch, noch wirtschaftlich. Ein wichtiges Ereignis steht im nächsten Jahr an, wenn sich entscheidet, ob die türkische Regierung das angekündigte Präsidialsystem tatsächlich durchsetzen kann. Dann könnte Erdoğan auch formell beinahe uneingeschränkt regieren.