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Politik

Jemen: Ein falsches Wort am falschen Ort kann das Leben kosten

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Im gespaltenen Jemen spitzt sich nach dem Rücktritt des Präsidenten die Krise zu. Die Besetzung des Präsidenten-Palastes durch die Huthi-Rebellen sorgte für Panik in der Bevölkerung. DTJ sprach mit einem Deutsch-Jemeniten über die aktuell Lage. (Foto: dpa)

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Kinder-Krieger im Jemen
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Geplant war ein einfacher Familienbesuch im Jemen. Dass dieser sich allerdings als Albtraum herausstellen würde, damit hätte Dr. Mohammed al-Badr* nicht gerechnet. Der Berliner Universitätsdozent ließ sich auf Wunsch seiner Eltern, denen es gesundheitlich nicht sehr gut ging, überreden trotz der kritischen Lage im Jemen diese zu besuchen. „In meiner Heimatstadt Hardamaut im Osten des Jemen ging es eigentlich bisher sehr ruhig zu. Ich dachte, dass ich für einige Tage hierherfliegen und dann wieder nach Hause könnte“. Doch al-Badr sollte sich irren.

Die Situation im Land erwies sich alles andere als ruhig. Mit dem Rücktritt des Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi brach Panik im Land aus. Als der Flughafen daraufhin auch noch für einige Tage geschlossen wurde, kam auf einmal Todesangst in dem Dozenten hoch. Würde er seine Frau und Kinder in Berlin jemals wiedersehen? „Ich überlegte mir einen Plan B.“

„Das Problem ist, dass viele im Jemen ohne weiteres bewaffnet sind.“ Ein falsches Wort am falschen Ort kann eine Menschen sofort das Leben kosten. Von der Panik und der Todesangst getrieben kamen selbst diesem Erwachsenen Mann die Tränen. Niemand konnte ihm die Sicherheit geben, lebend wieder nach Berlin zu seiner Familie zu kommen.

Wiedersehen in Berlin

Über viele Umwege und mit viel Glück hatte es Dr. Mohammed al-Badr schließlich doch geschafft. Nach vielen Anstrengungen erreichte er Dubai. Er war erleichtert, weil er es geschafft hatte sein geliebtes Land lebend zu verlassen. Über Paris gelangte er nach Berlin, wo er seine Familie endlich sehnsüchtig in die arme nehmen konnte.

Dass die Lage im Land derart eskalieren würde, hätten die Jemeniten selbst nicht gedacht. Wir trafen Herrn Dr. Mohammed al-Badr in Berlin und sprachen mit ihm über die Lage in seinem Heimatland.

Was sind die Ursachen für den Konflikt im Jemen?

Die Ursachen des Konflikts sind viele. Der Jemen ist seit 1990 nicht stabil, vor der Einheit war dies genauso. Von den Parteien engagiert sich keine für das Land, sondern für ihre eigenen Interessen. Meiner Meinung nach sind dies die wichtigsten Ursachen. Außerdem suchte der ehemalige Präsident Ali Abdullah Salih – welcher genau wie die meisten Rebellen der schiitischen Untergruppe der Zaiditen angehört – neue Wege suchte, um erneut an die Macht zu kommen. Hier gibt es auch einen großen Haken. Die neue Allianz zwischen Salih und den Huthi-Rebellen ist nur temporär, denn schon bald werden sich beide auch gegenseitig bekämpfen. Salih hatte selbst sechs Jahre lang Krieg gegen die Huthi-Rebellen geführt. Das werden sie nicht vergessen.

Ist der Konflikt rein politisch oder ist auch die jemenitische Gesellschaft gespalten?

Man sollte nicht von politischem Willen sprechen, da keine Partei ein eigenständiges Programm für das Land hat oder stellen wird. Sie werden eher versuchen ihre eigenen Interessen durchzusetzen.

Welche Rolle spielt al-Qiada im Jemen? Wird al-Qaida durch die Krise stärker?

Durch das Chaos ist alles vertretbar. Wenn kein Machtmonopol im Staat existiert, dann kann auch ein Kind sagen „Ich bin der Machtinhaber“.

Sie waren im Jemen, um ihre Familie zu besuchen. Wann haben Sie gemerkt, dass die Situation plötzlich kritisch wurde?

Die Situation im Jemen ist schon lange sehr schlecht. Dies hat auch meine Reise verzögert. Da es in meiner Heimatstadt in Hadramaut eigentlich sehr ruhig zuging, habe ich mich überzeugen lassen dahin zu fliegen und wieder zurückkehren zu können. Als der Präsident jedoch zurückgetreten ist, wurde es dramatischer. Der Flughafen wurde geschlossen. Keine Maschine konnte starten oder landen.

Hatten Sie Angst nicht wieder zurückkommen zu können?

Ja, ich hatte Angst und mir sogar einen Plan B überlegt, um aus dem Land herauszukommen.

Wie geht es Ihrer Familie dort?

Es geht ihnen schlecht. Dem gesamten Land geht es schlecht. Man hat keine Sicherheit mehr. Die Situation könnte jeder Zeit eskalieren. Ein weiteres Problem ist nämlich, dass viele im Jemen ohne weiteres bewaffnet sind.

War es richtig, dass Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi zurückgetreten ist?

Je nach Lage wird das Zurücktreten anders interpretiert. Meiner Meinung nach ist es richtig, zumal Hadi keine Macht besitzt und ihm alles von anderen diktiert werden muss. Durch den Rücktritt ist allerdings im gesamten Land Panik aufgetreten.

Wie wird dieser Konflikt Ihrer Meinung nach ausgehen?

Das ist eine schwierige Frage, die selbst von Experten schwer zu beantworten ist. Meiner Meinung nach sollte die Situation vom 22.September 2014 wiederhergestellt werden, als die Rebellen die Hauptstadt Sanaa noch nicht erobert hatten. Und hier liegt der Haken: Solange die Macht und die Gewalt in ihrer Hand ist, werden sie niemals daran denken, sich zurückzuziehen.

Kampf der Konfessionen oder fehlende Rechtsstaatlichkeit?

HINTERGRUND Der sog. Arabische Frühling vom Dezember 2010 scheint im Nahen Osten eine Kettenreaktion ausgelöst zu haben. Angefangen hat das ganze in Tunesien mit der Selbstverbrennung des Gemüsehändlers Mohamed Bouazizi nach der Schließung seines Gemüsestandes. Der Funken des Protestes ist daraufhin auf zahlreiche weitere arabische Länder übergesprungen. Während der Fokus der deutschen Medien und Politik zur Zeit vor allem auf Syrien und dem Irak liegt, findet der Jemen, gelegen am Südende der arabischen Halbinsel, mit seinen Problemen kaum in der Berichterstattung kaum Erwähnung.

Nachdem die schiitischen Huthi-Rebellen am 20. Januar 2015 den Präsidentenpalast stürmten, spitzt sich die Krise täglich zu. Nach schweren Kämpfen übernahmen die Rebellen die Kontrolle in der Hauptstadt Sanaa und forderten mehr Macht. Eine ihrer Bedingungen war die Neubildung der Verfassungskommission. Im neuen Grundgesetz müsse eine größere Beteiligung der Schiiten verankert werden. Im Jemen stellen die sunnitischen Muslime die Bevölkerungsmehrheit, während die starke schiitische Minderheit ca. 40% der Bevölkerung ausmacht. Frieden und Stabilität ohne Beteiligung der Schiiten wäre also nicht möglich.

Kämpfe zwischen schiitischen Huthi-Rebellen, sunnitischen Stämmen und al-Qaida

Die Machtlosigkeit der Regierung des mittlerweile zurückgetretenen Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi führte dazu, dass sunnitische Stämme im Süden sich von den schiitischen Rebellen bedroht sahen und zwecks Selbstverteidigung zu den Waffen griffen. In der Folge ereigneten sich Kämpfe zwischen sunnitischen und schiitischen Stämmen. Daran beteiligte sich teilweise auch der jemenitische Ableger der terroristischen al-Qaida.

Ist es ein Konfessionskonflikt? Auf den ersten Blick vielleicht ja. Jedoch erscheinen der Mangel an Bildung, Korruption, Ausgrenzung der schiitischen Minderheit von der politischen Macht, hohe Arbeitslosigkeit und Armut, vor allem aber der Mangel an Rechtsstaatlichkeit und Demokratie als die tatsächlichen Ursachen des Konflikts.

Und auch die USA mischen im Geschehen mit. Über den Kurznachrichtendienst Twitter teilte al-Qaida im Jemen mit, dass vergangenen Donnerstag Harith al-Nadhari, ein hochrangiges Mitglied der Terrorgruppe al-Qaida, durch einen US-Drohnenangriff ums Leben gekommen sein. Beobachter sehen hinter dem Erstarken der schiitischen Rebellen außerdem den Iran.

Am Freitag schafften die schiitischen Rebellen Fakten und riefen eine Übergangsverfassung aus und kündigten an, dass das jemenitische Parlament durch einen provisorischen Nationalrat mit 551 Mitgliedern und der zurückgetretene Präsident durch ein noch zu wählendes fünfköpfiges Gremium ersetzt werden soll.

*Name von der Redaktion verändert