Kolumnen
Jihad auf Bayrisch
Im Tagesspiegel vom 14. Juli 2015 attestiert Richard Weber dem Bayerischen Rundfunk (BR) eine Themenverfehlung mit seinem Beitrag unter dem Titel „Terrorkrieg im Internet – Die mörderische Strategie des ,Islamischen Staates‘“, der in der ARD am 13. Juli spät abends ausgestrahlt wurde.
Weber zieht am Schluss seiner kommentierenden Analyse folgendes Fazit: „Nach dieser Tour de Force durch alles, was irgendwie mit IS, Islam und Internet zu tun hat, fragt man sich, ob es bei der ARD eigentlich noch die guten, alten Abnahmen gibt. Qualitätserzeugnisse von Qualitätsmedien sollten durchdachter und intelligenter sein. Und formal hochwertiger.“
Tour de Force
Den Eindruck, dass es sich bei der Reportage um ein Potpourri aus allen möglichen Facetten und Informationsfetzen handelt, konnte man sich wirklich nicht entziehen. An einigen Stellen lohnt noch das genauere Hinsehen. Produziert wurde die Sendung von der Report München-Redaktion.
Der BR war erst kürzlich in die Schlagzeilen geraten, weil er eine Serie zum Ramadan mit einem Halbmond-Logo ausstrahlte. Das war einigen Zuschauern zu viel und so verschwand der Halbmond wieder vom Bildschirm. An der geplanten Serie selbst und dem positiven Gesamtbild der Ramadan-Serie änderte sich nichts. Sie setzte einen Kontrapunkt zur ansonsten eher krisenbezogenen Berichterstattung aus der sog. Islamischen Welt. Der Bezugspunkt zum sonst üblichen Frame „Islam und Gewalt“ wurde am 13. Juli durch den BR-Beitrag der Report München-Macher wieder hergestellt.
Rhetorik auf der einen, Fakten auf der anderen Seite
Report München-Redakteur Stefan Meinung hatte bereits mit seinem Buch „Eine Moschee in Deutschland“ versucht, eine direkte Linie von der NS-Zeit mit Muslimen in München zu ziehen. Mit dem Beitrag „Terrorkrieg im Internet“ begibt man sich nun erneut auf Spurensuche, wie alles genau zusammen passt – und das im Internet. Und erneut beauftragt Meining Ahmet Şenyurt mit den Recherchen. Şenyurt ist sozusagen spezialisiert darauf, Strategien einer islamischen Weltverschwörung auszumachen. In dieser Logik erscheint es plausibel, wenn im Beitrag behauptet wird, Ziel des IS sei es, den Westen zu erobern. Das blendet denn doch einige wichtige Zusammenhänge aus, etwa den Entstehungsort des sog. IS und natürlich den Kontext seiner Entstehung. Rhetorik (des IS) ist das eine, facts on the ground das andere.
Der Beitrag beginnt mit Bildern vom Terroranschlag in Paris vom 7. Januar 2015. Obwohl wir nicht sicher wissen, wer genau hinter den Anschlägen auf die Charlie Hebdo Redaktion steckt – es gibt mehrere, die die Verantwortung dafür reklamieren – ordnen die Macher der Doku die Mordtaten als Auswüchse des sog. Islamischen Staates in Europa ein. In diesen Frame und in dieser Logik wird dann auch das Massaker am Strand von Sousse in Tunesien gesehen. Dabei ist man derzeit etwa in Großbritannien dabei, die Rolle von Hani Al-Sibai zu prüfen, der nicht nur als geistiger Einpeitscher des tunesischen Terroristen, sondern auch als möglicher Kontaktmann des Geheimdienstes in Erscheinung getreten ist, wie ägyptische Quellen behaupten und u.a. Daily Mail am 8. Juli 2015 berichtete. Nun ist die Recherche zu diesem Beitrag des BR vielleicht am 8. Juli bereits abgeschlossen gewesen, aber von einem Investigativteam darf man durchaus tiefergehende Hinterfragungen und Details erwarten, statt platte Aufzählungen von Halbwahrheiten.
Ähnlich verhält es sich mit dem Fall in Lyon, der im Beitrag gezeigt wird. Dort erklärte der Verdächtige bei seiner Vernehmung allerdings, dass seine Tat gar keinen terroristischen Hintergrund habe. Das ist Report München wohl entgangen. Mehrere Medien hatten unmittelbar nach der Tat von einem „islamistischen Attentat“ gesprochen, ohne die Ermittlungen abzuwarten.
Ditib-Fixierung offensichtlich
Das Folgende über die Möglichkeiten von Terroristen, das Internet für ihre Zwecke zu nutzen, ist beängstigend, richtig und wichtig. Allerdings fehlen einige wichtige Informationen. Dies mag auch an einer gewissen Ditib-Fixierung Ahmet Şenyurts liegen. Dazu passt im Kontext dieser Sendung zum (Cyber-)Jihad des sog. IS wie auch ins Framing von Moscheen allgemein, dass islamische Zentren eher als potentielle Radikalisierungsorte für junge Muslime angesehen werden als andere Treffpunkte. Nicht so sehr der gezeigte King‘s Sport Club in Dinslaken, wo viele der von dort ausziehenden Jihadisten trainierten, sondern die Ditib-Moschee gerät unter Radikalisierungsverdacht. Das lässt mindestens die Erkenntnisse über die Rolle des Kampfsportclubs in Solingen außen vor, wo die Rechtsradikalen trainierten, die schließlich den Anschlag auf das Wohnhaus der Familie Genç verübten.
Insgesamt reduziert die Dokumentation das Thema Terrorismus und Cyberkrieg auf sog. Islamisten, deren Anschlagspläne natürlich nicht weniger gefährlich sind als die von anderen Radikalen, die das Internet sowohl für Propaganda, als auch für Hackerangriffe und andere Cyberkriminalität nutzen. Insofern ist eine Formulierung wie die folgende natürlich korrekt, wenn von einer „Suchmaschine, die auch Jihadisten nutzen“ die Rede ist. Die Zuweisung zu dieser einen genannten Gruppe von Verbrechern bleibt damit jedoch tendenziös – schlicht, weil die Spezifik fehlt.
Think Tanks werden nicht eingeordnet
Ein weiteres Versäumnis des Beitrags ist es, die zu Rate gezogenen Fachleute einzuordnen. Etwa der Think Tank MEMRI, auf den man sich bezieht, ist ob seiner Schlagseite in der Auswahl arabischer Medien schon des Öfteren kritisiert worden. Das von Igal Carmon 1998 gegründete Middle East Media Research Institute liefert immer wieder für deutsche und andere ausländische Medien Beispiele aus arabischen und iranischen Medien, die belegen sollen, wie gefährlich Islam und Muslime für Israel und Europa sind. Der kostenlose Übersetzungsdienst, den es lange vor dem neutraler arbeitenden und kostenpflichtigen Mideastwire gab, bietet seine Dienste in Form von Medienkooperationen an. Die Übersetzungen sind weitestgehend korrekt und seriös. Allerdings ist die Auswahl der arabischen Medien so stereotyp, dass der Eindruck entstehen könne, dass die propagandistischen Zuspitzungen des Hisbollah-Senders Al Manar oder Al Aksa-TV der palästinensischen Konkurrenz „die arabische Sicht“ auf die Dinge liefern würden. Das Deutschlandbüro von MEMRI, das bis 2007 von Götz Nordbruch und Jochen Müller betrieben wurde, schloss vermutlich nicht aus finanziellen Gründen – wie behauptet – sondern weil es vermehrt Kritik an dem nicht repräsentativen Mitschnitt arabischer Medien gab.
Übrigens, die ehemaligen Büroleiter gründeten schließlich Ufuq, das bei der Bundeszentrale für politische Bildung angesiedelt ist, aber das ist eine andere Geschichte, die den Rahmen dieser Sendung sicher gesprengt hätte. An dieser Stelle sei jedoch darauf verwiesen, dass sich die alte Ausrichtung der Protagonisten manchmal noch Bahn bricht, wie in diesen beiden Gutachten (1, 2) nachgelesen werden kann.
Neben vielen weiteren Kleinigkeiten, der fehlenden Kohärenz des Beitrags vom 13. Juli und den von Weber erwähnten technischen Mängeln, bleibt vor allem der Eindruck bestehen: Wer suchet, der findet. Und was die Macher suchen, wird auf Grund ihrer Auswahlentscheidungen nur allzu deutlich. Insgesamt scheint es noch nicht möglich zu sein, Muslime außerhalb der Frames „Religion“ oder „Extremismus“ darzustellen. Mal sehen, ob und wann die nicht wenigen säkularen Muslime auch einmal einen Sendeplatz bekommen. Und das Thema Cyberkriminalität verdiente eine Reportage in Gänze.