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Politik

Kann man ein muslimischer Demokrat sein?

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Die Ereignisse im Gezi-Park, die Blockade bei der Erstellung einer neuen Verfassung, die kommenden Wahlen, Spannungen und Polarisierung der Politik schaffen Probleme, die gelöst werden müssen. Doch leider bleiben wir stecken in Sackgassen. (Foto:iha)

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Kann man ein muslimischer Demokrat sein?
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Egal, welche der aktuellen Baustellen in der Türkei wir benennen, alle führen zum gleichen Grundproblem. Zwang und Ausgrenzung führen in eine Sackgasse. Die Anwendung von Gewalt und die Verweigerung anderer Lösungswege führen in eine Sackgasse. Einander nicht zuzuhören, nicht zu versuchen, einander zu verstehen und nicht nach Kompromissen zu suchen, führen in eine Sackgasse. Doch all diese sind Teile einer ganz großen übergeordneten Sackgasse.

Diese ist dadurch entstanden, dass wir die Lösung nicht wirklich in der Demokratie gesucht haben… Fast jeder spricht von Demokratie, doch die meisten erzählen über eine eigennützige Form derselben. Was sollen wir tun? Sollen wir einander in der Sackgasse gegenseitig ausschließen, aus dem Weg rammen, schlagen, schreien und weiterhin auf sinnlosen Fotos posieren?

Demokratie ist eine Frage der Mentalität. Noch wichtiger ist jedoch, dass die Demokratie an der Persönlichkeit, am Temperament, Verhalten und Charakter der Individuen selbst zu erkennen ist. Also: Guten Worten müssen auch gute Taten folgen. Im Kern des Problems liegt demnach der Unterschied zwischen Gesagtem und Gelebten. Der Ausweg aus diesen Sackgassen ist keine allzu große Kunst, sondern führt durch eine aufrichtige, natürliche Demokratie.

Eine Demokratie, die mit meiner muslimischen Identität nicht kollidiert, stelle ich mir folgendermaßen vor:

Die Demokratie, also der demokratische Säkularismus, wird als eine Basis der Versöhnung zwischen allen Bürgern angesehen, egal ob gläubig oder ungläubig. Man lernt, mit den Differenzen zu leben und akzeptiert diese wirklich als eine Bereicherung. Da keiner sich selbst gegenüber den anderen als überlegen betrachtet, wird niemand ausgeschlossen.

Man bevorzugt es, genauso ein Mensch wie die anderen zu sein und ein Mensch zu bleiben. Man macht sich nicht zum Sklaven von Erwartungen und denkt auch nicht daran, die Menschen zu unterdrücken.

Für ein inklusives Staats- und Gesellschaftskonzept

Das, was Sie sich selbst für sich nicht wünschen, wünschen Sie auch nicht den anderen. Das Gute und Schöne, was Sie sich selbst wünschen, wünschen Sie auch den anderen – und dabei bevorzugen Sie andere nach Möglichkeit sogar. Dass man mit roher Gewalt, Zerstörung und Verwüstung, Terror, Hass und Abneigung nirgendwo hingelangen kann, muss akzeptiert werden. Im Wesentlichen sind Sie respektvoll gegenüber jedermanns Position. Der Gedanke „Ich weiß es besser. Jeder muss meinen Anweisungen folgen“ verschwindet aus dem öffentlichen Bewusstsein. Das Teilen wird zur Basis des Miteinanders.

Man sucht nach gemeinsamen Lösungen. Man schließt niemanden aus. Man ruft die Menschen nicht dazu auf, von seinen eigenen Wahrheiten überzeugt zu werden, sondern dazu, auf der Basis der universellen menschlichen Werte zu einem Konsens zu kommen. Auf die Art und Weise des Auftretens wird sehr großer Wert gelegt. Wir respektieren unsere Heiligen, unsere Werte, Gedanken und Meinungen und sehen die Achtung gegenüber dem Mitmenschen als eine humanitäre Verpflichtung an. Das Zuhören, der Versuch, den anderen zu verstehen, die Empathie spielen eine überragende Rolle.

Worauf der Konsens beruhen sollte

Das Zusammenleben mit denjenigen, die uns nicht ähneln, die nicht so sind wie wir, nicht von uns sind, sucht man freiwillig und von sich aus. Der Wille zum Zusammenleben erfordert es dabei, niemanden zu entwürdigen. Denn die Sensibilität, die Sie an den Tag legen, wenn es darum geht, niemanden zu entwürdigen, verhindert es, dass Sie selbst entwürdigt werden. Auch wird man es vermeiden wollen, die Politik zu kommerzialisieren.

Einigen wir uns darauf, dass zwischen Republik und Demokratie, dem Islam, der islamischen Denkweise und der Praxis des Islam keine Unvereinbarkeiten bestehen! Setzen wir uns dafür ein, dass die Spannung und Polarisierung, welche wir erleben, durch die Demokratie überwunden werden kann! Glauben wir daran, dass, wenn die Regierenden in der Türkei demokratisch vorgehen, wir jegliche Unwägbarkeiten bewältigen können! Sehen wir den Islam zur Demokratie und die Demokratie zum Islam nicht als Gegensatz an. Lassen wir allerdings auch nicht außer Betracht, dass der Islam eine göttliche und himmlische Religion und die Demokratie eine von Menschen entwickelte Form der Regierung ist.

Da ich so denke, gelte ich nun als ein muslimischer Demokrat?

Autoreninfo: Gülerce, geb. 1950 in Edirne, ist Lehrer, Buchautor und „Zaman”-Kolumnist. Er war auch zeitweise stellvertretender Chefredakteur von Zaman. Sein Themenschwerpunkt ist die türkische Innen- und Parteienpolitik.