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Gesellschaft

Kein Öl – also auch keine Intervention?

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Die Stimmung in Deutschland lebender Syrerinnen und Syrer angesichts der Situation in ihrer Heimat schwankt zwischen ohnmächtiger Wut und Resignation. Auch das Desinteresse und Zaudern des Westens erzeugen ein hohes Maß an Bitterkeit.

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Kein Öl – also auch keine Intervention?
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Das Leid in Syrien mag in den letzten Wochen weitgehend aus den Schlagzeilen verschwunden sein, es geht dennoch unverändert weiter. Seit dem 1. Juni 2013 werden wieder Waffen an Rebellen in Syrien geliefert. Das Waffenembargo der EU-Staaten gegen Syrien wurde aufgehoben. Grund hierfür war das Ergebnis der „zähen Verhandlungen“ innerhalb der EU-Staaten. Aber nicht nur Regierungschefs setzen sich mit der Situation in Syrien auseinander, sondern auch Syrerinnen und Syrer selbst, die in Deutschland leben. Hier kommen sie zu Wort.

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Deutsche Studentin mit syrischem Migrationshintergrund über Syrien

Sainab, eine Studentin aus Baden-Württemberg, findet es momentan sehr schwierig, die aktuelle Lage in Syrien einzuschätzen. „Es lässt sich auch kaum eine Aussage über zukünftige Entwicklungen machen. Durch den Eingriff der Milizen Hisbollahs und des Irans werden die Möglichkeiten der Opposition, gegen die brutalen Vorgehensweisen der syrischen Armee anzukämpfen, stark eingeschränkt.“ Unbestreitbar bleibe die Tatsache, dass tagtäglich Dutzende bis Hunderte von Unschuldigen ihr Leben verlieren, ganze Wohnsiedlungen zerstört und Menschen ohne jegliche Perspektive zurückgelassen werden. „Das einzige, was eine noch grundlegendere Zerstörung des Landes und seiner Einwohner verhindern könnte, ist eine Intervention, die Assad zwingt, seine Regierungsposition aufzugeben“, so die Bewertung der Geschehnisse aus der Sicht einer Deutschen mit syrischem Migrationshintergrund. Vertrauenswürdige Informationen beschaffe sie sich in erster Linie von Verwandten, die vor Ort leben. Natürlich hätten selbst diese keinen vollständigen Überblick über die Gesamtsituation, das sei ihr klar. Aber genauso klar sei für die 20-jährige Sainab das Machtstreben Assads: „Assad will, genau wie es sein Vater vor etwa 30 Jahren auch geschafft hat, um jeden, aber auch wirklich jeden Preis an der Macht bleiben.“ Für ein demokratisches, freies Syrien müsse Assad der Kultur- und Wirtschaftsstudentin zufolge gestürzt werden.

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Zeitzeuge des Revolutions-Beginns in Syrien

Kinan, ein Medizinabsolvent aus Syrien, bewertet die aktuelle Situation als verheerend. Er sei im September 2011 nach Deutschland geflüchtet und habe „die goldene und friedliche Zeit der Revolution“ selber erlebt. Er sei bisher immer gegen die Bezeichnung „Bürgerkrieg“, aber mittlerweile stimmt er dieser zu, da Syrer sich gegenseitig umbringen und die Situation zu einem Krieg zwischen Regierungsgegnern und regierungsfreundlichen Unterstützern, oder wie Kinan es sagt: zwischen Schiiten oder schiitennahen Alawiten und Sunniten, ausgeartet sei. Der Grund hierfür liege in der Instrumentalisierung der Religion durch Assad. Seitdem der Eingriff der schiitischen Hisbollah und des Irans nun offiziell sei, sehe man Kinans Vater, der derzeit noch in Aleppo wohne, zufolge an den Check-Points in Aleppo nur noch Milizen der Hisbollah und deren Fahnen statt Flaggen der syrischen Republik. Daran sehe man, dass auch die Hisbollah klare eigene Profilierungsziele habe. Doch sowohl Assad begründe diesen Einsatz der Hisbollah und des Irans als notwendige Verteidigung gegen die Sunniten, so wie auch internationale Medien es darstellen würden, als würde im Land ein Krieg gegen Schiiten bzw. Alawiten und nicht gegen einen Diktator geführt, der die Schiiten und Alawiten für seinen eigenen Vorteil verheize.

Anfängliche Prinzipien und Parolen wie Demokratie und Freiheit wurden vergessen

Das Problem hierbei liege auch darin, dass viele Aktivisten, angeheizt durch die Hisbollah, „religiöser“ wurden – und ihr Vorgehen deshalb religiös begründen. „Sie haben die anfänglichen Prinzipien und Parolen wie Demokratie und Freiheit vergessen“, bedauert Kinan. „Die Emotionen in der ganzen Region sind hochgekocht und es sieht so aus, als würde dieser Krieg kein Ende haben.“ Hierbei sieht er die größten Fehler in den langwierigen internationalen Verhandlungen. Kinan sieht keine Hoffnung in den internationalen Konferenzen rund um Syrien herum. Er befürchtet, dass auch die USA und die EU wie schon Russland, China und der Iran Assad helfen und dass die Konferenz in Genf eher Nachteile als Vorteile bringen würde. „Es ist ein Massaker, das hier vonstattengeht. Mehr als 100.000 Menschen wurden bis heute getötet und mehr als 3.500 Schulen vernichtet. Fast alle Krankenhäuser sind außer Betrieb! Und es liegt einfach ein zerstörter Staat vor. Es muss endlich ein Ende des Massakers herbeigeführt werden!“, fordert der Medizinabsolvent ganz deutlich. „Die Konferenz ist nicht mehr als ein Zögern, die Assad Zeit gibt, um noch mehr Menschen zu töten“, so Kinan.

Kinan bedauere es, dass die Menschen im Nahen Osten die gemeinsame friedliche Vergangenheit ihrer Vorfahren, die ungefähr 1.400 Jahre zusammengelebt hatten, vergessen. Durch Diktatoren (wie Assad, Nasrallah und Nejad) und Geistliche werden die religiösen Werte instrumentalisiert, um schiitennahe Alawiten, Schiiten und Sunniten aufeinanderzuhetzen. Den Nährboden für die Radikalisierung dieser beiden religiösen Gruppen habe laut Kinan die Zurückhaltung der säkularen Welt geliefert.

Auseinandersetzung der EU mit der Situation in Syrien nach wie vor Trugbild

Auch laut Franziska Brantner, außenpolitische Sprecherin der Fraktion Grüne – Europäische Freie Allianz, „können diese zähen Verhandlungen kaum darüber hinwegtäuschen, dass eine engagierte Auseinandersetzung der EU mit der Situation in Syrien nach wie vor mehr Trug- als realistisches Spiegelbild ist. Statt dieser erhärteten Fronten sollte sich die EU endlich zusammenraufen und alle Anstrengungen unternehmen, um die angestrebten Verhandlungen der Konfliktparteien in Genf zu einem politischen Erfolg zu führen.“

Syrischer Christ, der nun in Deutschland Zuflucht fand

Gabriel (Name von der Redaktion geändert), syrischer Christ, der noch Eltern und Schwester in Damaskus hat, findet es schrecklich, dass alles seit der Waffenruhe vom 12.4.2012 Tag für Tag schlimmer geworden sei und dass „die Sicherheit sowohl für die Unterstützer Assads als auch für Gegner der Regierung im Keller“ sei. Als Möglichkeiten Assads, die dieser noch habe, sieht Gabriel ganz klar seine treuen Unterstützer: „Assad kann man nicht mit anderen arabischen Diktatoren vergleichen. Er repräsentiert eine Minderheit in Syrien – die Alawiten – und die Alawiten unterstützen ihn, weil sie glauben, dass die Mehrheit – die Sunniten – sie umbringen wollen, da die Alawiten seit 40 Jahren an der Macht sind. Assad hat treue Unterstützer, die an ihn glauben und ihn bis zum Ende unterstützen werden. Assad konnte die Alawiten sowie die Mehrheit der Christen sowie die wohlhabenden Sunniten für sich gewinnen und instrumentalisiert sie für seine eigenen Zwecke. Es kam, wie am ersten Tag der Revolution prophezeit wurde: ‚Entweder Assad geht oder wir verbrennen das Land‘, hieß es in der ersten Tagen. Das Ergebnis sieht man jetzt: Assad ist geblieben und das Land ist verbrannt.“

Kein Öl, keine Intervention

Gabriel sieht das Problem darin, dass die Opposition ihre eigenen Ziele vergessen habe. „Während sie anfänglich für Freiheit und Menschenrechte waren, geht es diesen – genau wie der aktuellen Regierung – nur noch um Macht, oder auch um Stabilität.“ Als Indiz hierfür sieht er die Unstimmigkeiten unter den Oppositionellen. „Sie kämpfen nicht nur gegen die Regierung, sondern sie bekämpfen sich mittlerweile auch untereinander, was nur zur weiteren Destabilisierung des Landes führt“, so Gabriel, der im Februar 2010 zum Studieren nach Deutschland kam. „Und da es kein Öl in Syrien gibt, wird der Westen auch nicht so schnell eingreifen. Ich erwarte nichts vom Westen“, tut Gabriel kund. Der Student habe keine Lösungsvorschläge, doch einer Sache sei er sich sicher: „Die Gewalt kann keinen Frieden bringen.“

Ahmad aus Süddeutschland, ein deutsch-syrischer Hochschulabsolvent

Auch Ahmad aus Süddeutschland habe einiges zum Einsatz der Hisbollah in Syrien zu sagen. „Insgesamt kann man sagen, dass es in Syrien auf militärischer Ebene schon länger eine Art Pattsituation gibt. Zwar konnten die Truppen Assads zusammen mit der libanesischen Hisbollah kürzlich die strategische Kleinstadt Qussair zurückerobern, dies aber nur zum Preis der vollständigen Zerstörung und Entvölkerung der Stadt. Eine ähnliche Offensive steht aktuell auch der Stadt Aleppo bevor, die zur Hälfte schon seit Längerem in der Hand der Revolutionäre ist. Trotz dieses kurzfristigen Erfolgs wird dies langfristig an der Pattsituation nichts ändern. Die Rebellen werden Boden zurückerobern können und das Regime wird mit Bomben antworten. Die Lage ist daher weiterhin unverändert. Während die vom Regime kontrollierten Gebiete wie Tartous oder Lattaika vergleichsweise ruhig sind, sind die vom Regime befreiten Gebiete in einer desolaten Lage, was alle Belange des Lebens wie Gesundheitsversorgung, Wasser- und Energie sowie Lebensmittelversorgung anbelangt. Zusätzlich zu dieser Belagerung durch Assads Truppen leben die Menschen in ständiger Gefahr vor willkürlichem Beschuss durch Kampfflugzeuge oder Scud-Raketen“, so Ahmad.

Keine Glaubwürdigkeit der internationalen Konferenzen in Genf

Die internationalen Konferenzen habe der 26-jährige Hochschulabsolvent „ehrlich gesagt aufgehört zu verfolgen, da sie in der Vergangenheit nie etwas bewirkt haben außer leerer Worte und Versprechen.“ Der Westen habe durch sein passives Verhalten ganz deutlich gezeigt, dass er für die Menschen in Syrien nichts tun möchte und weder der einen noch der anderen Seite zu einem Sieg verhelfen möchte. Er habe dem jungen Mann, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, zufolge dafür gesorgt, dass ein Aufbegehren mit berechtigten Forderungen sich zu einem Bürgerkrieg entwickelt hat und dass sich die Menschen durch den Krieg haben radikalisieren lassen. Am schlimmsten finde er, dass „der Westen den täglichen Massenmorden und Verbrechen des Assad-Regimes tatenlos zuschaut.“

Kollektive Bestrafung durch syrisches Regime

Für Ahmad sei es auch sehr wichtig, sich der „kollektiven Bestrafung“, die von der syrischen Regierung ausgehe, bewusst zu sein. „Die humanitäre Lage in den von den Rebellen gehaltenen Gebieten ist sehr schlecht und die Zivilbevölkerung leidet sehr unter den unterschiedlichen Repressalien des Regimes. Schon seit Anbeginn der Demonstrationen konnte man beobachten, dass die Assad-Regierung mit einer kollektiven Bestrafung der Gebiete reagiert, sobald sie dort die Kontrolle zu verlieren droht. So werden beispielsweise der Strom und das Wasser abgestellt und die medizinische Versorgung eingestellt. Diese Gebiete und alle in ihnen lebenden Bewohner werden als Feinde betrachtet und müssen mit Angriffen aus der Luft oder Artilleriebeschuss leben. Zwar wird versucht, ein möglichst normales Leben weiterzuführen, aber täglich sterben Menschen durch vom Regime abgefeuerte Raketen, Mörser und Luftangriffe. Diese Mentalität der kollektiven Bestrafung habe zum Ziel, die Moral der Menschen zu brechen und die „Kosten“ der Freiheit in solche Höhen zu treiben, dass es sich nicht mehr „lohnen“ soll einen Regimewechsel anzustreben. Dies resultiert in einer extrem hohen Zahl von Binnenflüchtlingen und erhöht die Leiden der Zivilbevölkerung.“

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Spendenaktionen für Syrien und Franziska Brantners Lösungsvorschlag

Es gibt Benefiz-Veranstaltungen, wie die des Musikers Malek Jandali, oder Spendenaktionen, die das Leid der syrischen Bevölkerung und der in Syrien lebenden Menschen vermindern sollen. Aber das wird nicht reichen, um das Land Syrien zu retten.
Franziska Brantner sieht die Lösung darin, dass Katar und Saudi-Arabien erst einmal von der Notwendigkeit der Konferenz überzeugt, der Einigungsdruck auf die Nationale Koalition hochgehalten, der Iran beteiligt werden müsse. Im weiteren Verlauf macht Brantner deutlich, dass „im Norden des Landes die Menschen dringend humanitäre und Aufbauhilfe brauchen, im Zweifelsfall auch gegen den Willen Assads. Ein deutliches Signal, dass es die EU mit dem politischen Prozess in Syrien ernst meint, wäre beispielsweise die Ankündigung, sich an einer späteren Blauhelm-Mission der Vereinten Nationen zu beteiligen“, so Brantner in ihrer Pressemitteilung vom 28. Mai 2013.