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Politik

Keine Abstimmung zum „Völkermord“ im Bundestag

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Im Zusammenhang mit den Ereignissen von 1915/16 hat der Bundestag heute noch keine Abstimmung abgehalten. Drei Antragsentwürfe gehen an den Auswärtigen Ausschuss, in denen jeweils von einem „Völkermord“ im Osmanischen Reich die Rede ist.

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Bundestag
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Im Zusammenhang mit dem Gedenken an die Ereignisse von 1915/16 ist es im Deutschen Bundestag heute nicht zu einer Abstimmung über eine Erklärung zum „Völkermord“ an den osmanischen Armeniern gekommen.

Dies liegt weniger daran, dass es allzu große Kontroversen unter den Rednern und Abgeordneten darüber gegeben hätte, ob die Tötungen im Zusammenhang mit der Vertreibung von Armeniern aus dem Osmanischen Reich als solcher zu qualifizieren wären, sondern primär daran, dass sich die Fraktionen nicht darüber einigen konnten, wie weit die Darstellung gehen soll, die in der Schlusserklärung anklingt.

Es gibt nun drei Anträge, die an den Auswärtigen Ausschuss überwiesen werden. Konkret geht es darum, wie offen sich Deutschland zum so genannten „Völkermord an den Armeniern“ bekennt.

Zuvor war der Begriff jedoch schon mehrfach im Bundestag gefallen. Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) sagte am Freitag im Parlament: „Das, was mitten im Ersten Weltkrieg im Osmanischen Reich stattgefunden hat, unter den Augen der Weltöffentlichkeit, war ein Völkermord.“ In der anschließenden Debatte wurde diese Einschätzung von Rednern aller Fraktionen geteilt. Noch vor der Sommerpause will der Bundestag nun dazu eine Erklärung verabschieden.

Merkel und Steinmeier meldeten sich im Parlament nicht zu Wort

Mit der Debatte zum 100. Jahrestag der Massaker verabschiedete sich die deutsche Politik von der weitgehenden Praxis, den Begriff Völkermord aus Rücksicht auf die Türkei zu vermeiden. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) verfolgten die Aussprache von der Regierungsbank, ohne sich selbst zu Wort zu melden. Dagegen hatte Bundespräsident Joachim Gauck schon am Vorabend den Begriff „Völkermord“ verwendet, als er im Rahmen einer Gedenkveranstaltung der Kirchen sprach.

Aus der Türkei gab es zunächst keine offiziellen Reaktionen. Im Ersten Weltkrieg waren Armenier im Osmanischen Reich als vermeintliche Kollaborateure umgebracht und systematisch vertrieben worden. Die Verhaftungen und Zwangsumsiedlungen begannen am 24. April 1915. Von dieser Umsiedlung waren Armenier, die in Istanbul und Izmir lebten, nicht betroffen.

Die Türkei als Nachfolgestaat des Osmanischen Reichs lehnt die Einstufung der Ereignisse von 1915 als „Völkermord“ strikt ab und betont, dass es zu dieser Zeit zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen armenischen Aufständischen und osmanischen Truppen mit Opfern auf beiden Seiten gekommen sei. Die Armenier hingegen gehen davon aus, dass damals bis zu 1,5 Millionen Menschen bei Deportationen und Massakern umkamen.

Lammert bemühte sich, Wogen zu glätten

Sowohl Bundespräsident Gauck, als auch Bundestagspräsident  Lammert bekannten sich klar zur deutschen Mitverantwortung am damaligen Geschehen. Das Deutsche Kaiserreich war enger Verbündeter des Osmanischen Reichs. Der Bundestagspräsident betonte weiter: „Die heutige Regierung in der Türkei ist nicht verantwortlich für das, was vor 100 Jahren geschah. Aber sie ist mitverantwortlich für das, was daraus wird.“ Zugleich würdigte er die Bemühungen der Türkei, die infolge des Syrien-Kriegs mehr als eine Million Flüchtlinge aufgenommen hat.

Bundestag will noch vor dem Sommer entscheiden

In der geplanten Erklärung des Bundestags, die mit den Koalitionsfraktionen abgesprochen wurde, heißt es nun über die Armenier: „Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist.“ Nach der ersten Beratung geht der Text nun an den Außen-Ausschuss. Er soll bis zum Sommer verabschiedet werden.

Der Opposition aus Grünen und Linkspartei – und auch einigen Abgeordneten der Koalition – geht die Erklärung nicht weit genug. Sie warf der Bundesregierung vor, immer noch übertriebene Rücksicht auf die Türkei zu nehmen.

Grünen-Chef Cem Özdemir sagte: „Wir sind es den Opfern schuldig, dass niemand ausgelassen wird und alles beim Namen genannt wird.“ Die Linke-Abgeordnete Ulla Jelpke verlangte, mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan müsse endlich „Klartext“ geredet werden. „Dieses Versteckspiel hinter sprachlichen Spitzfindigkeiten ist beschämend.“ (dpa/dtj)