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Politik

„Keine Kompromisse mehr“: Der Ton zwischen Europa und der Türkei wird immer rauer

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Nach den verbalen Angriffen und rassistischen Beleidigungen gegen deutsche Abgeordnete haben viele deutsche und europäische Politiker langsam die Nase voll. Das müsse man sich vom türkischen Staatspräsidenten nicht gefallen lassen. Auch die Bundeskanzlerin wird kritisiert, sie solle endlich klare Worte finden.

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Bundestagspräsident Norbert Lammert und Grünen-Abgeordneter Özcan Mutlu
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In Deutschland, aber auch auf EU-Ebene, wächst mit Blick auf die Türkei die Frustration. Bundestags- und EU-Parlamentsabgeordnete fordern angesichts der Drohungen und der Hetze, die aus der türkischen Spitzenpolitik, aber auch von türkischen Organisationen in Deutschland kommen, dass Bundesregierung und EU-Führung endlich klare Worte finden und die eigenen Volksvertreter verteidigen.

Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU, Foto links) hat die Angriffe des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan auf türkischstämmige Abgeordnete mit scharfen Worten zurückgewiesen. „Dass ein demokratisch gewählter Staatspräsident im 21. Jahrhundert seine Kritik an demokratisch gewählten Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit Zweifeln an deren türkischer Abstammung verbindet, ihr Blut als verdorben bezeichnet, hätte ich nicht für möglich gehalten“, sagte Lammert am Donnerstag im Bundestag. „Die Verdächtigung von Mitgliedern dieses Parlamentes als Sprachrohr von Terroristen weise ich in aller Form zurück.“ Erdoğan hatte die türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten, darunter Özcan Mutlu (Foto rechts) bezichtigt, der verlängerte Arm der Terrororganisation PKK zu sein.

Die Angriffe und Drohungen aus Ankara sollten heute auf Antrag der Linken ab 13.10 Uhr im Rahmen einer aktuellen Stunde im Bundestag debattiert werden. Aufgrund einer Stellungnahme Lammerts zu Beginn der Sitzung zog sie ihren Antrag jedoch zurück. Währenddessen wird auch die Kritik an Angela Merkels Verhalten immer lauter. Sie hatte die Äußerungen Erdoğans als „nicht nachvollziehbar“ bezeichnet, ein äußerst diplomatischer Sprachgebrauch angesichts der rassistischen Beleidigungen Erdoğans und der aggressiven Hetze, die in der Türkei gegen deutsche Bundestagsabgeordnete und Deutschland allgemein betrieben wird. Viele verlangen von Merkel, dass sie sich als Kanzlerin vehementer für das eigene Parlament einsetzt und endlich klare Worte in Richtung Ankara findet.

Auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hat Erdoğan für seine Anschuldigungen hart kritisiert. Wie Spiegel Online berichtet, verurteilt er Erdoğans Äußerungen in einem Brief, der heute an den türkischen Staatspräsidenten verschickt werden sollte. „Parlamentarier, die sich im Rahmen ihres Mandats positionieren, dürfen unbeschadet etwaiger Meinungsverschiedenheiten in einer politischen Frage keinesfalls in die Nähe von Terroristen gerückt werden“, so Schulz in dem Brief. Die Anschuldigungen stellten „einen absoluten Tabubruch dar, den ich aufs Schärfste verurteile.“

„Die Freiheit der Mandatsausübung, insbesondere die Freiheit von jedwedem äußeren Druck, ist einer der entscheidenden Gradmesser für die Qualität einer Demokratie“, so der 60-jährige SPD-Politiker. „Wenn Abgeordnete eines Parlaments allerdings erleben müssen, dass höchste Organe eines anderen Staates durch ihr Verhalten und ihre Äußerungen diese Garantie infrage stellen und dies gar zu Bedrohungen führt, wird das auf Dauer nicht ohne Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen bleiben.“

Im Europaparlament waren angesichts der Beitrittsverhandlungen und des EU-Türkei-Paktes in der Flüchtlingspolitik auch die politischen Zustände innerhalb der Türkei ein Thema. Vor allem die gestern in Kraft getretene Aufhebung der Immunität von mehr als einem Viertel der türkischen Parlamentsabgeordneten wurde durch alle Fraktion hindurch einhellig kritisiert. „Wir sind fassungslos, dass es im 21. Jahrhundert möglich ist, in einer derartigen Weise ein Klima der Angst und Einschüchterung zu schaffen“, sagte die Vorsitzende der Fraktion der Linken, Gabi Zimmer, am Mittwoch im EU-Parlament in Straßburg.

„Wir dürfen keine Kompromisse mehr machen“, sagte die niederländische Liberale Marietje Schaake unter Hinweis auf die von der Türkei geforderten Visaerleichterungen und die Beschleunigung von Beitrittsverhandlungen mit der EU. „Von unabhängiger Justiz ist keine Rede mehr“, sagte Alexander Graf Lambsdorff (FDP). „Wird die Sicherheitslage deswegen besser? Genau das Gegenteil ist der Fall.“ Erdoğan trete alle Grundrechte mit Füßen, sagte Renate Sommer (CDU). „Das ist ein Drama für die Türkei, aber es ist auch ein großes Problem für die EU.“ Die EU müsse die Beitrittsverhandlungen „endlich und endgültig“ beenden, forderte sie.

Für das Gegenteil plädierte der österreichische EU-Kommissar Johannes Hahn. Die EU-Behörde sei überzeugt, dass es sinnvoll sei, zwei neue Verhandlungsbereiche über Justiz und Grundrechte mit der Türkei zu eröffnen, um „Standards zu definieren“. Die Türkei sei zwar in der Flüchtlingsfrage ein wichtiger Partner – doch bedeute dies „keinen Blankoscheck“. Die Kommission sei über die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten und über die Lage in den Kurdengebieten „ernstlich besorgt“.

(mit Material von dpa)