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Gesellschaft

„Keine Sorge, ich lebe noch!”

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Am Freitag detonierten zwei Bomben vor zwei Moscheen im nordlibanesischen Tripoli. 47 Menschen kamen ums Leben und 500 wurden schwer verletzt. Die trauernden Menschen bieten mittels sozialer Netzwerke einen Blick auf den Schrecken. (Foto: ap)

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Ein verletzter Mann mit seinem Mobilgerät in Tripoli. Kurz zuvor detonierten zwei Bomben. Dutzende starben, Hunderte wurden verletzt.
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„Ich lebe noch, ich lebe noch!” – Dies waren erlösende Worte für viele nordlibanesische Bürger am vergangenen Freitag. Nach dem Freitagsgebet detonierten zwei Bomben vor zwei Moscheen in Tripoli, der zweitgrößten Stadt Libanons. Bei den Explosionen kamen 47 Menschen ums Leben und über 500 wurden verletzt. Die Überlebenden schienen von besonders fleißigen Schutzengeln begleitet worden zu sein.

An jenem Vormittag saßen meine Eltern und ich gerade zusammen, als wir in den arabischen Nachrichten von den Bomben erfuhren. Zuerst machten wir uns aufgrund der mangelnden Informationen keine weiteren Gedanken darüber, denn wir waren es gewohnt, dass die Unruhen in Tripoli, dem Heimatort meiner Eltern, ständig anhielten. Doch dann schickte meine Tante meiner Mutter ein Foto von dem Rauch, der sich in der Luft ausbreitete. Sie sagte ihr, dass es unserer Familie gut ginge, doch auch, dass das ganze Haus gewackelt hätte. „Wir haben gerade gebetet, als plötzlich das ganze Haus zu wackeln begann. Die Fenster sind zerbrochen, doch uns geht es gut”, berichtet uns meine Großmutter. Plötzlich ändert sich die Stimmung; wir fangen an, uns Sorgen zu machen, denn in den arabischen Medien gibt es auf einmal genauere Informationen und die Anzahl der Toten steigt.

Ich schaue bei Facebook nach, ob ich weitere Details erfahren kann, da dies für uns in Deutschland Lebende mitunter die einzige und effektivste Verbindung in das Heimatland ist. Mir fährt es eiskalt den Rücken herunter, als ich den Post meines Cousins lese, der sich zur Zeit der Anschläge in einer der beiden Moscheen aufgehalten hatte. „Keine Sorge, ich lebe noch! Erzählt er weiter, damit sich keiner Gedanken macht. Mir ist nichts passiert.”

Mittlerweile erfuhren wir, dass einige Verwandte und Bekannte verletzt im Krankenhaus liegen würden. Ich scrolle weiter und sehe, wie sich die Rabia-Profilbilder nun verändern und durch schwarze Profilbilder mit trauernden Aufschriften, wie „Protest” oder „Gott beschütze Tripoli”, ersetzt werden. Das Leid in Ägypten scheint nun nicht mehr so groß im Vergleich zum eigenen Leid.

Facebook als einzige Möglichkeit, Anteilnahme zu zeigen

Neben den empörten und erzürnten Statusmeldungen der Bürger aus Tripoli sind nun auch Fotos von verbrannten Toten zu sehen. Besonders ein Foto erhält große Aufmerksamkeit und sorgt für wütende Kommentare: Man sieht einen knienden, komplett verbrannten Jungen, der sich in einer Gebetstellung befindet. Auch ich ändere mein Profilbild und schreibe eine Statusmeldung, um meiner Wut und meiner Trauer Ausdruck zu verleihen. Nachdem ich dies getan hatte, spüre ich, wie ich etwas ruhiger werde. Was bleibt uns anderes übrig, als in unserer sicheren digitalen Welt von unserem Empfinden zu berichten, denn hier kann man immerhin sicher sein, dass das Wort gesehen wird und vielleicht auch von anderen (im wahrsten Sinne des Wortes) geteilt wird?! Hier kann man einen nicht dafür bestrafen, seine Meinung zu vertreten, so wie es in der Realität passiert und man einen für seine Meinung büßen lässt.

Von anderen Bekannten und Freunden in Deutschland erfahren wir, dass deren Familien ebenfalls betroffen wären und sich in jeder Familie mindestens ein Verletzter befinden würde. Ein Bekannter schickt mir ein Foto von drei Kindern, im Alter von 3-7 Jahren, die alle bei den Anschlägen ums Leben gekommen waren. Ich kann meine Tränen nicht mehr zurückhalten. Ich weiß auch nicht, was ich sonst machen soll. Mir scheinen die Hände gebunden und stattdessen schaue ich weiter auf Facebook, was die anderen posten und durch die Likes zeigen wir unseren gemeinsamen Schmerz.

Ein weiteres Bild erregt meine Aufmerksamkeit besonders. Meine Tante postete ein Foto mit der Beschriftung: „Wie schön der Libanon doch ist: In einer Minute bist du in den Bergen, in zwei Minuten am Meer und in einer Sekunde im Jenseits…” Ich frage meine Mutter, was meine Tante damit sagen möchte und sie erzählte mir, dass meine Tante ihre Kinder zehn Minuten vor dem Anschlag angerufen hatte und ihnen sagte, dass sie in zehn Minuten bei ihnen sein werde. Ihr Weg zur Arbeit führt sie täglich genau an der einen Moschee vorbei, vor der eine Bombe detoniert wurde. Als die Bomben sieben Minuten später in die Luft gingen, fingen mein Cousin und Cousine zu kreischen und weinen an. Sie griffen sofort zum Telefon, um ihre Mutter zu erreichen. Diese beruhigte ihre Kinder und sagte ihnen, dass sie noch auf Arbeit sei, da ihre Chefin sie um ein Gespräch gebeten hatte. Hätte ihre Chefin sie nicht nach dem Feierabend noch zu sich gerufen, so wäre meine Tante jetzt tot und mein Cousin und meine Cousine hätten um ihre Mutter getrauert.

Bürger aus schiitischen Landesteilen solidarisieren sich

Es wird viel spekuliert, wer hinter diesen Anschlägen steckt und was die Absichten sind, doch man hat keine klare Antwort. Ist es aber wirklich wichtig zu wissen, wer hinter all dem steckt? Ist es nicht schlimm genug, dass das alles passiert? In Syrien, Ägypten, im Libanon und vielen weiteren Ländern sterben täglich unschuldige Menschen… und uns bleibt nichts übrig außer zuzuschauen…

Während meiner Suche auf Facebook stoße ich auf Video mit einer netten Geste der schiitischen Bürger aus dem Süden Libanons, die den größtenteils sunnitischen Bürgern in Tripoli, ihr Mitleid und ihren Trost aussprechen und ihnen versichern, dass sie alle ein Volk seien und sie nichts trennen würde. Sie wüssten, wie sie sich fühlen, da ihnen eine Woche zuvor das Gleiche wiederfahren war. Diese sehr unerwartete Geste stößt auf viel Resonanz bei den Bürgern in Tripoli.

Nach diesem Video schließe ich meine Facebook-Seite. Für den Tag hatte ich genug gesehen. Ich bin traurig und erleichtert zugleich. Traurig über die vielen Verletzten und Toten, doch erleichtert und dankbar dafür, dass es dem Großteil meiner Familie gut geht. Ich bin auch glücklich darüber, zu sehen, dass die Bürger im Libanon auch durch solche Geschehnisse die Hoffnung nicht verlieren, sondern zusammengeschweißt werden und neue Mittel und Wege finden, um auf diese Gewalt in einer friedlichen Art zu antworten…