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Politik

Kennt der niedersächsische Verfassungsschutz kein Google?

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Der niedersächsische Verfassungsschutz zeigt in einer seiner jüngsten Veröffentlichung den Deutsch-Türken Osman P. als gewaltbereiten „Islamisten“. Eine Anfrage bei Google hätte enthüllt: Der Mann war ein areligiöser Kleinkrimineller.

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Von Ismail Kul

Eine Nebenwirkung von James-Bond-Filmen, die im Fernsehen laufen, ist die Vorstellung beim „Otto Normalbürger“, Geheimdienste und Verfassungsschutzbehörden bestünden nur aus außerordentlich schlauen Mitarbeitern. Dass es Behörden wären, die an Findigkeit nicht zu überbieten sind. Die über alle Maßen hinaus über clevere Mitarbeiter verfügen und mit superschlauen Erfindungen an jedes Geheimnis herankommen, bevor es überhaupt verborgen werden kann.

Doch dabei wissen wir: Die meiste Arbeit der Geheimdienste und Verfassungsschutzbehörden ist graue Bürotätigkeit. Sie beziehen ca. 70-80 Prozent ihrer Erkenntnisse aus öffentlich zugänglichen Informationsquellen – zum Beispiel aus Veranstaltungen, Eigendarstellungen diverser Organisationen, Fernsehen, Zeitungslektüren, Internet.

Und doch mag es scheinen, als gäbe es Verfassungsschutzbehörden, die nicht mal Zeitungen lesen. Oder denen Google ein Fremdwort ist. Womit diese sich dann den Tag vertreiben, scheinen wohl nur sie zu wissen. Als besonders erschreckendes Beispiel könnte man den niedersächsischen Verfassungsschutz nennen. Warum? Sie zeigen Osman P. aus Walldorf bei Heidelberg als einen Islamisten. In dem kleinen Buch „Islamismus. Entwicklungen-Gefahren-Gegenmaßnahmen” mit Stand August 2012 schreiben sie unter verhinderten Anschlägen in Deutschland auf Seite 42 tatsächlich: „Im September 2002 nahm die Polizei einen 25-jährigen Türken und dessen 23-jährige Verlobte, eine Amerikanerin türkischer Abstammung, wegen geplanter Anschläge auf US-Militäreinrichtungen und die Heidelberger Innenstadt fest. In der Wohnung des Paares wurden Sprengsätze festgestellt.”

Ist Osman P. nun tatsächlich ein Islamist, der auf US-amerikanische Militäreinrichtungen Anschläge plante? Erinnern wir uns: Einen sogenannten Heidelberger Terrorprozess gab es tatsächlich. Osman P. und seine damalige Freundin Astrid E. gab es auch. Sie standen auch vor Gericht. Am 5. September 2002 hatten Spezialeinheiten der Polizei tatsächlich die Wohnung des Paares in Walldorf bei Heidelberg gestürmt. Kurze Zeit später benannte der damalige Innenminister Baden-Württembergs, Thomas Schäuble, Osman P. als einen „strenggläubigen Moslem”.

Diese Meldungen gingen damals auch durch die Republik. Doch es stellte sich schnell heraus: Alle Meldungen waren damals unzutreffend und an den Haaren herbeigezogen. Weder plante Osman P. einen Anschlag auf amerikanische Einrichtungen, noch war er ein Islamist. Ganz im Gegenteil: Er war damals lediglich ein religiös völlig uninteressierter, faktisch völlig assimilierter Kleinkrimineller und träumte davon, mit seiner Freundin in den USA zu leben.

Der angebliche „Islamist” träumte von einem Leben in den USA

Die deutsche Presse schrieb damals sogar über den Fall. In einem noch heute abrufbaren Bericht über die Gerichtsverhandlung des Paars vom 7. Mai 2003 (Überschrift: „Heidelberger Terror-Prozess endet mit milden Strafen“) der Zeitung „Die Welt” ist zu lesen: „Staatsanwaltschaft lässt Vorwurf der Anschlagsplanung fallen”, und weiter: „Kein Wort verliert der Urteilsspruch über angebliche islamistische Gesinnungen oder Pläne zu einem Anschlag.”

Angesichts dieser Tatsachen stellt sich natürlich die Frage: Wie kann der niedersächsische Verfassungsschutz angesichts all dieser – jedermann zugänglichen – Informationen von einem vereitelten Terroranschlag in Heidelberg schreiben und dabei Osman P. als einen Islamisten erwähnen, obwohl dieser mit Religion gar nichts am Hut hatte?

Dass der niedersächsische Verfassungsschutz künstlich eine islamistische Gefahr aufbauschen will, wollen wir ausschließen. Denn es ist bekanntlich die Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden, die Gesellschaft zu beobachten und nicht selber Politik zu betreiben oder die Gesellschaft gar zu manipulieren. Wenn wir dies aber ausschließen, bleibt nur noch eine Erklärung für diese Peinlichkeit übrig: Der niedersächsische Verfassungsschutz liest keine Zeitungen. Und heute: Man besitzt dort keinen Internetzugang.