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Bildung & Forschung

Fall Khorchide: „Der Vergleich mit Herrn Kalisch ist unsinnig“

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Im Streit um die Position des Beirats im Zentrums für Islamische Theologie (ZIT) an der Uni Münster tritt Rektorin Ursula Nelles den Vorwürfen muslimischer Verbände entgegen, man würde diese vor vollendete Tatsachen stellen. (Foto: screenshot/youtube)

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Khorchide vor der Kamera - Wissenschaftsjahr 2013
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Das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) an der Universität Münster steht in der Kritik der muslimischen Verbände. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, hatte in der Vorwoche der Einrichtung insbesondere mit Blick auf die Lehrbefugnis des in Teilen der muslimischen Community umstrittenen Religionspädagogen Mouhanad Khorchide vorgeworfen, über die Köpfe der muslimischen Verbände hinweg zu agieren.

Uni-Rektorin Ursula Nelles äußerte sich am Montag im Interview gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) und wies die Vorwürfe zurück.

Frau Rektorin Nelles, der Bundespräsident besucht Ende November das Zentrum für Islamische Theologie (ZIT)…

Bundespräsident Joachim Gauck besucht vorrangig die Westfälische Wilhelms-Universität Münster. Er hat aber sein besonderes Interesse für das ZIT bekundet, weil er dem interreligiösen Dialog einen großen Stellenwert einräumt.

Die muslimischen Verbände attackieren öffentlich ZIT-Leiter Mouhanad Khorchide. Ist das ein guter Zeitpunkt für den Besuch?

Der Bundespräsident ist jederzeit willkommen. Möglicherweise kommt die Kritik der Verbände auch gerade jetzt im Vorfeld der Visite des Staatsoberhauptes auf, um besondere öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen.

Der Koordinationsrat der Muslime mit seinen vier Verbänden klagt darüber, bei Lehrinhalt und Lehrpersonal nicht mitreden zu dürfen.

Grundsätzlich gilt für die islamische Theologie das Gleiche wie für die christliche: Kirchen beziehungsweise Religionsgemeinschaften einerseits und der Staat andererseits sind in unserem freiheitlichen Gemeinwesen getrennt. Die Universität als Teil der staatlichen Behörden garantiert die Forschungs- und Lehrfreiheit.

Bei den bekenntnisorientierten Studiengängen sind wir aber verpflichtet, die Glaubensfreiheit der Religionsgemeinschaften zu respektieren und deren Mitwirkungsrechte sicherzustellen. Die entsprechenden Konkordate und Staatskirchenverträge haben wir konsequent analog auf die islamische Theologie übertragen. Wir berufen die Professoren nach wissenschaftlichen Kriterien, ernennen sie aber erst, wenn die Religionsgemeinschaften ihre Zustimmung gegeben haben.

Mit den Kirchen haben sie ein direktes Gegenüber. Die staatlich nicht als Religionsgemeinschaften anerkannten muslimischen Verbände sollen ihre Vertreter in einen Beirat des ZIT entsenden und darüber mitreden. Das Gremium hat sich aber noch gar nicht konstituiert. Klagen die muslimischen Verbände nicht zu Recht darüber, dass ohne sie Fakten geschaffen werden?

Nein, denn wir haben bislang keinerlei mitwirkungsbedürftige Entscheidungen wie beispielsweise die Ernennung eines Professors oder die Verabschiedung von Lehrinhalten gefällt. Nach der Beiratsordnung beruft die Universität acht Mitglieder: Vier Personen ernennt die Universität im Einvernehmen mit dem KRM, und weitere vier schlägt der Koordinationsrat selbst vor. Gegen einen von diesen mit Nähe zum Islamrat gab es Vorbehalte des Bundes wegen der Verfassungstreue.

Deshalb konnte ich ihn nicht für den Beirat berufen – andernfalls würde die Universität riskieren, dass der seine Zuschüsse für das Zentrum wieder streicht.

Zeigt der Vorgang, dass das Beiratsmodell nicht funktioniert?

Die Beiratslösung ist sicher nicht optimal und eine Art Hybrid-Lösung. Bei den christlichen Fakultäten haben wir ein klares Gegenüber: die Universität auf der einen Seite und die davon organisationsrechtlich getrennten Kirchen andererseits. Beim Beirat macht man die Bekenntnisgemeinschaft zu einem Teil der Binnenstruktur der Universität. Das löst Probleme aus. Es wäre besser und ehrlicher, wenn man eine legitime Vertretung der islamischen Religionsgemeinschaften neben der Universität hätte – mit all den Mitspracherechten, wie sie die Kirchen auch haben.

Auch Khorchide lehnt die Beiratslösung ab…

Das stimmt nicht. Er hat dieselben Vorbehalte wie ich. Aber im Moment gibt es keine andere Lösung zu dem vom Wissenschaftsrat vorgeschlagenen Modell.

Der Lehrbetrieb läuft seit einem Jahr. Wie stellen Sie die in der Verfassung abgesicherte Religionsfreiheit denn sicher?

Wir haben, wie gesagt, seitdem keine einzige endgültig bindende Entscheidung getroffen. Die beiden Lehrstuhlvertreter, die neben Herrn Khorchide im Zentrum lehren und forschen, haben nur Verträge, die auf ein Semester befristet sind. Zudem haben wir keine Lehrpläne abschließend beschlossen, sondern nur semesterweise das Curriculum fortgeschrieben. Dabei haben wir eine vorläufige Genehmigung des nordrhein-westfälischen Schulministeriums eingeholt, das sich nach der Einführung des islamischen Religionsunterrichtes in NRW auf einen eigenen Beirat stützen kann.

Die Verbände haben ein Gutachten über die Arbeit Khorchides angekündigt. Was ist, wenn sie ihm das Vertrauen entziehen?

Die Verbände haben selbst der Berufung von Khorchide zugestimmt. Wenn sie nun inhaltliche Einwände haben, mischt sich die Universitätsleitung grundsätzlich nicht ein – eben wegen der Trennung von bekenntnisorientierten Wissenschaftsinhalten einerseits und staatlicher Sicherstellung von Forschungsfreiheit andererseits. In der aktuellen Diskussion vermischen sich aber leider politische und theologische Fragen – ob beispielsweise alles verfassungsrechtlich korrekt organisiert ist und ob Khorchides Positionen allgemeine Meinung innerhalb der muslimischen Gemeinschaft sind.

Kann es sein, dass Khorchide wie sein Vorgänger Sven Kalisch den Lehrstuhl verliert?

Der Vergleich mit Herrn Kalisch ist unsinnig. Herr Kalisch hatte öffentlich erklärt, kein Muslim mehr zu sein. Vor diesem Hintergrund kann er natürlich nicht mehr islamische Theologie lehren, weshalb die Universitätsleitung ihn als Beamten mit einer anderen Aufgabe betraut hat – erneut in Analogie zu den Konkordaten und Staatskirchenverträgen. Solche Fälle gab es auch in der katholischen Kirche. Das zeigt, dass wir das Mitspracherecht der Glaubensgemeinschaften respektieren.

Eine Abberufung von Khorchide ist also auch möglich?

Ja. Wenn der Beirat sich konstituiert, kann er das machen.

Und Sie haben wieder ein Problem.

Das sind keine Probleme, das sind Herausforderungen – in diesem Fall übrigens eher hypothetischer Natur. Wann immer man etwas Neues anfängt, muss man damit rechnen, dass es am Anfang Verwerfungen gibt. Wir haben noch keine allzu lang zurückreichenden Erfahrungen mit der islamischen Theologie und sind in einer Art Experimentierphase. Wo, wenn nicht an Universitäten, sollte dieses Experiment Schritt für Schritt durchgeführt werden?

Drohen nicht Dauerauseinandersetzungen, wenn der Beirat seine Arbeit aufnimmt?

Ohne Auseinandersetzungen gäbe es keine Wissenschaft, keine Streitkultur und keine Debatten. Ich bitte geradezu um die Auseinandersetzung mit der islamischen Theologie. Diese müssen aber die Theologen und die Religionsgemeinschaften selbst führen und nicht die Universitätsleitung. Ich fürchte mich ja auch nicht vor der katholischen Kirche, nur weil sie schon mehrfach Professoren die Lehrbefugnis entzogen hat.

Wie entwickelt sich – unabhängig von den aktuellen Querelen – das islamische Zentrum?

Sehr gut. Das Interesse ist groß. Für das laufende Wintersemester hatten sich rund 1000 Bewerber auf 260 Plätze beworben. Durch die Einführung des bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichtes in NRW ist ein attraktives Berufsfeld entstanden. Auch in der öffentlichen Diskussion über die Inhalte des Studienganges sehe ich einen Erfolg. Sie zeigt, dass wir ihn brauchen.