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Politik

Zurückgetretene Minister streiten Vorwürfe im Parlament ab

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Am Montag beschloss das Parlament in Ankara die Bildung einer Untersuchungskommission zur Korruptionsaffäre in der Türkei. Sollten 276 Abgeordnete zustimmen, wäre die Anklage von vier Ex-Ministern vor den Staatsgerichtshof möglich. (Foto: zaman)

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Egemen Bagış und Zafer Çağlayan
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Am gestrigen Montag hat die Große Nationalversammlung in Ankara die Einrichtung einer Untersuchungskommission mit Blick auf die Korruptionsvorwürfe beschlossen, von denen am 17. Dezember 2013 bekannt geworden war, dass sie bereits seit längerem Gegenstand strafgerichtlicher Ermittlungen waren und die in weiterer Folge zu einer Staatskrise in der Türkei geführt hatten.

Im Rahmen einer 17-stündigen Debatte betonten Abgeordnete der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), man werde den Vorwürfen auf den Grund gehen und auch untersuchen, ob Regierungsoffizielle Bestechungsgelder angenommen hätten oder in einen kriminellen Goldschmugglerring involviert waren, der Beziehungen zum Iran hatte.

Der Abgeordnete für Giresun und stellvertretende Vorsitzende der AKP-Parlamentsfraktion, Nurettin Canikli, kündigte an, alles untersuchen zu wollen und die Dimensionen zu klären. „Niemand kann die Vorwürfe vertuschen. Alles, was zu tun ist, wird auf legalem Wege getan werden“, erklärte der Abgeordnete. Er rechnet mit einer Dauer der Untersuchung von bis zu vier Monaten, was bedeuten würde, dass mit einem Abschlussbericht nicht vor der Sommerpause zu rechnen ist.

Im Dezember waren nach dem Bekanntwerden der Ermittlungen vier Minister zurückgetreten, denen vorgeworfen wurde, in Fälle von Korruption verwickelt zu sein. Die Minister selbst bestreiten, gesetzeswidrig gehandelt zu haben.

Erdoğan sieht Korruptionsermittlungen als Ausdruck eines Komplotts

Auch Premierminister Erdoğan wies die zum Teil auch gegen sein persönliches Umfeld gerichteten Vorwürfe zurück. Er witterte hinter der Korruptionsaffäre einen gezielten Versuch, ihn und seine Regierung zu stürzen, und machte dafür ein Zusammenspiel von in- und ausländischen Kräften verantwortlich, wobei dem in den USA lebenden Islamgelehrten Fethullah Gülen nach Überzeugung Erdoğans eine Schlüsselrolle zukommen würde.

Nach Auffassung Erdoğans hätten Angehörige der von Gülen inspirierten Hizmet-Bewegung ihre Machtpositionen innerhalb des Staatsapparates genutzt, um Parallelstrukturen zu schaffen, mittels dieser die Ermittlungen voranzutreiben und durch gezielte Indiskretionen und illegale Vorgehensweisen die Vorwürfe gegen die Regierung zu untermauern. In der Tat tauchten seit Dezember mehrfach Tonbandmitschnitte auf, deren Inhalt die Vorwürfe gegen die Regierungsoffiziellen stützen sollen und die zum Teil Aufnahmen aus strikter Geheimhaltung unterliegenden Gesprächen der Öffentlichkeit zugänglich machten.

Beweise für eine Verwicklung von Hizmet-Anhängern in diese illegalen Veröffentlichungen oder für eine Steuerung derselben durch dieser zuzuordnende Personen oder Einrichtungen legte die Regierung bis dato allerdings keine vor. Dennoch veranlasste Premierminister Erdoğan eine groß angelegte Aktion zum Umbau der Justiz und Sicherheitsverwaltung, wobei mehreren tausend Beamten, vor allem solchen, die der Hizmet-Bewegung nahe stehen sollen, ihre bisherigen Aufgabenbereiche entzogen wurden.

Parlamentsfernsehen: AKP trickst Opposition aus

Auch die früheren Minister, die aus ihren Ämtern zurückgetreten waren, hatten der Sitzung beigewohnt. Alle vier streiten die wider sie erhobenen Vorwürfe ab, die in einem 300-seitigen Polizeibericht festgehalten sind, den die Opposition bereits im März vor den Kommunalwahlen versuchte, ins Parlament einzubringen. Dabei scheiterte sie an der Blockadehaltung seitens der AKP-Mehrheit. In der Vorwoche waren die Ermittlungen gegen 60 Verdächtige, darunter den Sohn eines der Ex-Minister, aus dem Verfahren ausgeschieden worden.

Die Opposition kritisiert zudem, dass die Sitzung seitens der AKP-Mehrheit bewusst auf den Montag gelegt wurde, da dies der einzige Wochentag ist, an dem das Parlamentsfernsehen Meclis TV nicht überträgt.

Die der Korruption verdächtigten Minister Zafer Çağlayan (Umwelt), Muammer Güler (Inneres), Egemen Bağış (Europa) und Erdoğan Bayraktar (Städteplanung) hatten jeweils zehn Minuten eingeräumt bekommen, um sich zu den Vorwürfen zu äußern. Dabei kam es immer wieder zu Schreiduellen und Handgemengen. Parlamentspräsidentin Meral Akşener hatte alle Hände voll zu tun, um die Gemüter zu beruhigen.  

Çağlayan wies dabei alle Anwürfe zurück und betonte, er habe seiner Nation mit Würde gedient und Geschäftsleuten geholfen, Kontakte herzustellen. Für die Luxusuhr, die ihm der iranische Geschäftsmann Reza Zarrab geschenkt haben soll, habe er bezahlt. Auch sei er nicht auf fremde Kosten zur Hajj gegangen.

Opposition befürchtet mehrheitsgesteuertes „Wahrheitsmanagement“

Güler ging nicht weiter auf die Vorwürfe ein, sprach aber dem Staatsanwalt das Recht ab, einen Minister zu verfolgen und empörte sich über das Abhören seiner Telefone. Bağış bezeichnete das Gespräch, in dem er einem Journalisten gegenüber den Koran geschmäht haben soll, als Fake und Manipulation. Bayraktar entschied sich in letzter Minute dazu, von seinem Rederecht nicht Gebrauch zu machen.

Am Ende der Anhörung soll die Untersuchungskommission einen Bericht anfertigen und diesen ans Parlamentspräsidium senden. Sollten mindestens 276 Abgeordnete dafür stimmen, würde es ein Verfahren gegen die beschuldigten Ex-Minister vor dem Obersten Staatsgerichtshof geben. Ob es so weit kommen wird, ist ungewiss. Die Opposition befürchtet, die regierende AKP werde ihre Mehrheit im Parlament nutzen, um am Ende ein ihr möglichst genehmes Ergebnis zu erzielen.

Bei den Kommunalwahlen schadete die Korruptionsaffäre der AKP nicht. Die Partei legte landesweit von 39 auf 44% der Stimmen zu, die Vorwürfe waren für die Mehrheit der Bürger kein Thema, das ihr Wahlverhalten beeinflusst hätte.