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Kolumnen

Kotelett statt perfektes Dinner

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Der politische Journalismus glich, je näher seine Beteiligten an die Zentren der Macht heranrückten, einer Art Kuhhandel. Die einen boten Informationen feil, die anderen Platzierungen in Zeitungen und TV-Sendern. (Foto: dpa)

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Die Bild-Zeitung erklärte Stefan Raab zum Sieger des TV-Duells zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem SPD-Herausforderer Peer Steinbrück.
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Der neue Tag erwachte mit einem Kater. In großen Lettern erklärte die Bild-Zeitung auf ihrer ersten Seite Ulk-Moderater Stefan Raab zum Sieger des TV-Duells zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihrem SPD-Herausforderer Peer Steinbrück. Im Ausland machten die Medien keinen Hehl aus ihrer Enttäuschung. „Langweilig“ schrieb Hürriyet. „Ein komisches Duell“, wunderte sich die Londoner „Times“. Und wer das Duell nicht gesehen hatte, las auf Twitter zum ersten Mal etwas von einem „King of Kotelett“. Mit diesem Ausdruck hatte Raab den SPD-Kandidaten Steinbrück bedacht.

Über Nacht war die groß angekündigte und mit Spannung erwartete Konfrontation der Spitzenkandidaten und den von den Sender abgestellten sogenannten „Top“-Journalisten so vom „perfekten Dinner“ auf das Niveau eines gewöhnlichen Fleischgerichtes geschrumpft.

Nur mal zur Erinnerung: Es war das Duell zweier Politiker, die sich anschicken, die Zukunft nicht nur der Bundesrepublik, sondern ganz Europas neu zu gestalten! Wer diese Bundestagswahl gewinnt, ist der wichtigste Regierungschef auf dem gesamten Kontinent! Das nur mal so zum Rahmen der Veranstaltung.

Kanzlerduell: Nichts als belanglose Fragen

Von Macht möchte ich in diesem Zusammenhang übrigens nicht reden, denn die hat längst die Finanzindustrie übernommen. Aber wenn sie ihr jemand wieder entreißen wollte, dann müsste es der Gewinner der Bundestagswahl sein, also einer dieser beiden Duellanten, entweder „King of Kotelett“ oder die Dame mit der schwarz-rot-goldenen Halskette.

Wie konnte es unter diesen Voraussetzungen nur zu dieser enttäuschenden Vorstellung kommen? Zum einen sind da die Kandidaten selbst, die sich entweder im Klein-Klein verloren oder nicht den Mut zur Attacke aufbrachten. Den weitaus größeren Anteil an dieser Fehlleistung aber hatten die Journalisten, die es tatsächlich fertig brachten, nicht eine einzige der drängenden Fragen dieser Zeit zu stellen und auf Antworten der Spitzenkandidaten dazu bestanden.

Was die Menschen am meisten interessiert, ist die Frage, wohin die beiden Deutschland und Europa führen wollen. Wie sieht die politische und wirtschaftliche Perspektive aus? Wollen sie Europa demokratischer gestalten? Wie wollen sie die gigantischen Schuldenberge abbauen und gleichzeitig die Wirtschaft wieder in Gang bringen, damit zumindest ein Teil des heutigen Wohlstandes gerettet werden kann.

Außer einiger belangloser Fragen zum Euro kam dazu gar nichts. Sie fragten nicht, mit welchem Recht die Europäische Zentralbank mit ihrer Niedrigzinspolitik die Sparer kalt enteignet und warum die Politik diesen Zustand einfach so hinnimmt. Sie verlangten keine Antworten auf die drohende Altersarmut von Millionen Menschen in ganz Europa oder die Rolle der eigenen Nachrichtendienste bei der Rundum-Überwachung der eigenen Bürger. Auch zum Krieg in Syrien fiel den Journalisten keine kritische Frage ein.

Journalismus: Im Kuhhandel mit der politischen Elite

Woran liegt das? Nun, der politische Journalismus glich, je näher seine Beteiligten an die Zentren der Macht heranrückten, auch in der alten Bundesrepublik einer Art Kuhhandel. Die einen boten Informationen feil, die anderen Platzierungen in Zeitungen und TV-Sendern. Die Verhandlungsposition beider Seiten war etwa gleich stark, als die Auflagen der Zeitungen noch stiegen und die Quote im Fernsehen noch nicht das Maß aller Dinge war.

Damals hatten Zeitungen noch eine Botschaft, sie waren weltanschaulich klar verortet, das heißt, es gab eine mehr oder weniger klar erkennbare Identifikation mit den Zielen der einen oder andere politischen Partei. Wie in der Politik gab es also die linke, die konservative und die grüne Presse. Im Fernsehen gab es linke wie konservative Politikjournale. Und am kritischsten gingen Journalisten meist mit den Parteien ins Gericht, denen sie selbst nahestanden. Mit ihrer Arbeit kämpften sie sozusagen für ihre eigenen gesellschaftspolitischen Interessen.

Seit der wirtschaftliche und politische Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks die Sozialdemokratie ideologisch entkernte, drängte sie zusammen mit den Grünen und der Union in die Mitte. Dort mutierten sie gemeinsam zu politischen Organisationen, die sich heute im wesentlichen nur noch durch ihrem Namen unterscheiden.

Parallel zu dieser Entwicklung verlief die Machtergreifung der Finanzindustrie und der Konzerninteressen. Über die Globalisierung hebelten sie national gesetzte politische Grenzen aus und machten Staats- und Regierungschefs zu ihren Marionetten.

In den Zeitungen zeigte sich der Aufstieg der Ökonomie zum einen durch eine deutliche Ausweitung der Wirtschaftsteile. Bald schon gaben die dem neoliberalen Denken anhängenden Wirtschaftsjournalisten in den großen politischen Magazinen und Zeitungen den Ton an. Wie zwischen den Parteien lösten sich nunmehr auch in der gesamten Medienlandschaft die klaren Unterscheidungsmerkmale wie Brausetabletten in einem Wasserglas auf, bis aus allen nur noch der Geist der neuen Zeit sprudelte.

Hinzu kam, dass viele Redaktionen wegen der sinkenden Anzeigenerlöse radikal ausgedünnt wurden. Nie zuvor verloren so viele Journalisten ihre Arbeitsplätze. Wer woanders unterkommen wollte, musste anpassungsfähig sein. Also schrieben nun alle so, dass sie jederzeit überall problemlos einsteigen konnten. Und weil Zeitungsmanager nun die Nennung des eigenen Titels in den Nachrichtenagenturen und Abendnachrichten zur „Branchen-Währung“ und damit zur Messlatte für guten Journalismus erklärten, war die Politik in dem alten Kuhhandel nunmehr im Vorteil. Weil die Journalisten nach Zitaten und Interviews gierten, konnten sich die Damen und Herren aus Politik und Wirtschaft nun aussuchen, wen sie wie und wann belieferten. Seither hängt der politische und der wirtschaftspolitische Journalismus am Gängelband.

Ein trauriges Stück Fernsehgeschichte

Im Fernsehen sorgte der durch die Privatsender entstehende Quotendruck für eine ähnliche Entwicklung, bis findige Produzenten den Politik-Klamauk erfanden. Gemeint ist die allabendliche Polit-Talkshow. Nun waren auch hier knackige Aussagen von Politikern die journalistische Währung, weil sie Quote brachten. Die einst kritisch nachfragenden Journalisten mutierten – wie viele ihrer Zeitungskollegen – zu Stichwortgebern. Denn wenn ein Politiker einmal zu hart angefasst wurde, drohte er der nächsten Einladung nicht mehr zu folgen. Und das könnte ja der Quote schaden.

Das vorläufige Finale dieser Entwicklung war das Duell der beiden Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl. Es war ein ebenso trauriges Stück Fernsehgeschichte wie die nichtssagenden Sommerinterviews mit der Kanzlerin.

Man fragt sich, warum 18 Millionen Menschen dieses Trauerspiel zur besten Sendezeit anschauten. Sie hätten diesen wunderschönen Sommerabend sicher sinnvoller und vor allem schöner verbringen können. Und wenn sie echten und guten Journalismus suchen, wissen diejenigen, die sich dafür interessieren, wo sie ihn finden können.

Nämlich in Spartensendern wie arte oder 3sat und den Zeitungen, die sich den kritischen Blick auf das Weltgeschehen bewahrt haben. Dort finden sie Reportagen von Reportern, die nicht zum Beziehungsgeflecht von Regierungen, Parteien, Konzernen und Banken gehören. Diese Reporter haben sich eine Freiheit und innere Distanz bewahren können, über die ihre Kollegen im Dunstkreis von Parteizentralen, Regierung und Bundestag schon lange nicht mehr verfügen.