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Gesellschaft

Kritik an der Hizmet-Bewegung: „Islamisch-türkischer Nationalismus“ in edlem Gewand?

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Die Hizmet-Bewegung des in den USA lebenden türkischen Predigers Fethullah Gülen steht vor allem in Deutschland oft im Kreuzfeuer der Kritik: Sie schmücke sich mit edlen Zielen wie Bildungsarbeit und interreligiösem Dialog, verfolge aber in Wirklichkeit eine „islamisch-nationalistische“ Agenda. Was spricht dafür, was dagegen?

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Der Islamgelehrte Fethullah Güllen stand Zaman für ein Interview zur Verfügung.
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Barack Obama hat einen Vertreter zum Internationalen Sprach- und Kulturfestival (iflc) in Washington D.C. entsandt, um die internationale Kulturarbeit des iflc zu würdigen. Er verlas eine Botschaft des US-Präsidenten, in der der Dienst des iflc für die Völkerverständigung in höchsten Tönen gelobt wurde. Auch aus dem amerikanischen Kongress kam von Abgeordneten der Demokratischen Partei die Aufforderung, das Projekt zu unterstützen, weil es einen Beitrag zu „kultureller Vielfalt und für den Weltfrieden“ darstelle. In Frankreich wiederum hat der sozialistische Präsident François Hollande persönlich die Schirmherrschaft der iflc-Veranstaltung in Straßburg übernommen. Und in Deutschland? Da wird seit Jahren eine Debatte darüber geführt, wofür die Hizmet-Bewegung „eigentlich“ steht.

Auch im Vorfeld der iflc-Veranstaltung am letzten Wochenende in der nordrhein-westfälischen Hauptstadt Düsseldorf gab es Kritik und sogar so etwas wie eine kleine Debatte. Dabei ging es nicht um die Veranstaltung selbst, auch die Organisatoren waren nicht Gegenstand der Kritik. Vielmehr standen die Hizmet-Bewegung und der muslimische Prediger Fethullah Gülen im Zentrum der Berichterstattung. Wie bereits in früheren Jahren ging es auch diesmal darum, was die Hizmet-Bewegung ist und für welche Ideen der muslimische Prediger Gülen eigentlich steht. Eine immer wiederkehrende Frage ist dabei, ob die Bewegung vom Verfassungsschutz beobachtet wird oder nicht. Obwohl bisher alle Verfassungsschutzämter diese Frage verneint und darauf hingewiesen haben, dass es keinen Anlass zu einer Beobachtung gebe, unterlässt es fast kein Journalist, danach zu fragen.

Beispielhaft kann man all das am Artikel „Wie mit der Gülen-Bewegung umgehen?“ sehen, erschienen auf dem Nachrichtenportal der öffentlich-rechtlichen Tagesschau. Nachdem ausführlich die für die Bewegung existenziell bedrohliche Situation in der Türkei erörtert wird, widmet sich Autor Volker Siefert darin der Zusammenarbeit der Bundesregierung mit Einrichtungen der Hizmet-Bewegung. Dabei lässt er auch den Vorsitzenden des NRW-Innenausschusses Daniel Sieveke zu Wort kommen: „Die Bewegung schmückt sich oberflächlich mit den edelsten Zielen, verfolgt aber im Kern weiterhin einen islamisch-türkischen Nationalismus“. Mögliche Anhaltspunkte, die ihn zu diesem Urteil bewegen, werden nicht genannt. Sievekes Auffassung zufolge vertritt Gülen eine „äußerst zweifelhafte Weltanschauung“. Auch kritisiert der CDU-Politiker, dass das SPD-geführte Landesintegrationsministerium die Schirmherrschaft über die Veranstaltung übernommen hat.

Bekenntnis zur Demokratie nur gegenüber denen, die es hören wollen? 

Der Soziologe Ercan Karakoyun von der Stiftung Bildung und Dialog gilt als deutsche Stimme der Hizmet-Bewegung und ist dementsprechend ein aufmerksamer Beobachter dieser und ähnlicher Debatten. Wenn es um Fragen zu Gülen und der um ihn entstandenen Bewegung geht, ist die Stiftung, der er vorsteht, erster Ansprechpartner in Deutschland. Erklärungen dafür, wie Politiker zu solchen Beurteilungen kommen, hat er aber auch nicht. Zumal sowohl Gülen als auch die Stiftung in zahlreichen Publikationen – die auch auf Deutsch vorliegen – zu Nationalismus und politischen Ideologien im Allgemeinen Stellung bezogen haben. So hat sich beispielsweise die der Hizmet-Bewegung zuzuordnende Vierteljahreszeitschrift Die Fontäne erst letztes Jahr in einer Analyse der Frage zugewandt, wie Gülen und seine Bewegung zu Patriotismus und Nationalismus stehen. Das Fazit fiel eindeutig aus: Liebe zu Gesellschaft, Familie oder Nation sei durchaus legitim, dürfe aber „auf keinen Fall eine Ablehnung oder sogar Vernichtung anderer Nationen zum Ziel beinhalten“, schreibt der promovierte Soziologe Muhammad Akdağ. Kurz: Patriotismus geht, Nationalismus nicht – eine Haltung, die man nicht zwangsläufig teilen muss, die sich aber definitiv auf dem Boden der demokratischen Ordnung bewegt. Und die wohl fast alle Bundestagsabgeordneten, quer durch alle Parteien, unterschreiben würden.

Karakoyun hingegen verweist schlicht auf die Tätigkeitsfelder der pazifistischen Bewegung: „Schaut man sich die Arbeit der Menschen in Hizmet an, sieht man, dass diese sich für Dialog, Toleranz, und Vielfalt einsetzen. Sie sind vor allem im Bildungsbereich und humanitäre Hilfe aktiv und wollen Chancengleichheit ermöglichen. Sowohl die engagierten in Hizmet als auch Gülen stehen für einen Islam, der mit dem Grundgesetz, den universellen Menschenrechten so wie der Demokratie vereinbar ist.“

Bereits im Jahre 1994 hat sich Gülen in der Frage der Demokratisierung der Türkei klar positioniert: „Eine Rückkehr weg von der Demokratie ist nicht möglich“, sagte er damals. In zahlreichen Interviews in türkischen und internationalen Medien hat er die Position vertreten, dass Islam und Demokratie miteinander vereinbar sind. Und er hat diese Botschaft nicht nur gegenüber westlichen Medien vertreten, wo man so etwas gerne hört, sondern auch in der arabischen Welt, wo das Eintreten für Demokratie vielerorts als „unreligiös“ gesehen wird. In einem Interview mit der saudischen Asharq al-Awsat, einer der größten und einflussreichsten Zeitungen der arabischen Welt, sprach sich Gülen im März 2014 offen für eine demokratische Staats- und Gesellschaftsform aus. „Diese Gemeinde (gemeint ist die Hizmet-Bewegung, Anm. d. Red.) war von Anfang an nicht politisch. Ihr ging es darum, durch Bildung, Kultur, sozialer Arbeit und Solidarität der Menschheit zu dienen. Das ist der Leitgedanke, mit dem sie sich auf den Weg gemacht hat und für den sie ihre ganze Energie einsetzt. Sie hat sich dafür entschieden, die sozialen Probleme über den Weg der Bildung, der Arbeit am Menschen, zu lösen.“ Auch hat Gülen im selben Interview betont, dass er die Instrumentalisierung der Religion für politische Zwecke entschieden ablehnt.

Es wird sich schwer in Erfahrung bringen lassen, ob Sieveke, der Gülen vorwirft, „kaum echten Integrationswillen“ zu zeigen, all diese Äußerungen gelesen hat. Seine Kritik als Oppositionspolitiker hatte zwar nicht zur Folge, dass Minister Schmeltzer seine Schirmherrschaft zurückzog, jedoch hat er seine Teilnahme drei Tage vor der Veranstaltung „aus terminlichen Gründen“ abgesagt. Weder kam ein Vertreter des Hauses, noch wurde eine Grußbotschaft des SPD-Politikers verlesen.

Für diejenigen, die sich mit der Bewegung und ihren Projekten inhaltlich auseinandersetzen und sich einem Dialog öffnen, sieht das Bild anders aus. Im Gespräch mit Marco Ströhlein, dem Moderator des Sprach- und Kulturfestivals, wertete der Bundeswehrsoldat Oberst i. G. Reinhold Janke die Abschlussveranstaltung als einen wichtigen Beitrag für den Weltfrieden. Er beteuerte, auch die Bundeswehr habe einen Friedensauftrag und die Verbreitung der Ideen, für die das iflc steht, würden Konflikten entgegenwirken: „Ja, ich sage mir heute Abend, wenn so viel Harmonie, Gemeinschaftssinn und Sympathie wie hier auf der ganzen Welt wäre, dann bräuchte es meinen Beruf gar nicht.“ Daraufhin wendete sich Ströhlein, der eine gewisse Antipathie gegen die Uniform nur schwerlich verbergen konnte, an das Publikum und rief ihm zu: „Lassen sie uns dafür sorgen, dass Militär überflüssig wird. Genau das muss das Ziel sein.“ Dafür bekam er von den über 10 000 Gästen in der Arena tosendem Applaus. Nach der Veranstaltung bestärkte Janke seinen Standpunkt und betonte, dass mit staatlichen Finanzen falsch umgegangen werde: „Wir geben viel zu viel Geld für Dinge aus, die wir nicht brauchen. Dafür geben wir viel zu wenig Geld für Dinge aus, die eigentlich notwendig sind.“

Ob die Veranstaltung in Deutschland oder in einem anderen Land stattfindet sei zweitrangig. Wichtiger sei ein Ort an der Menschen zusammenkommen und das Gefühl haben, dass es sich dabei um ein Ort der Freiheit handele: „Und das ohne Hass, ohne Ideologie, ohne Fundamentalismus, ohne Vorbehalte und in einem Umfeld der die Meinungsfreiheit gewährleistet. Diese Werte, für die wir eigentlich alle eintreten und für die wir Soldaten auch da sind, dass ist für mich eigentlich so das Entscheidende. Ich würde mir wünschen, dass die ganze Welt ein Ort wäre, wo man so was feiern kann. Ich bin froh, dass wir das in Deutschland tun können.“

Die Gülen-Bewegung als „trojanisches Pferd der CIA“

Aus einem gänzlich anderen Lager als der CDU kommt ungleich härtere Kritik, die sich noch dazu mehr nach einer Verschwörungstheorie anhört. Nachdem die Bundesregierung eine kleine Anfrage der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, zur Hizmet-Bewegung beantwortete, nahm dies die Junge Welt zum Anlass, die Bewegung unter die Lupe zu nehmen. Sie sieht im „Gülen-Netzwerk“ ein „trojanisches Pferd“ des US-Geheimdienstes CIA, mittels dessen die Amerikaner Einfluss in der Türkei und Zentralasien nehmen wollen, heißt es in dem Artikel. Worauf sich diese These stützt, ist ihm ebenfalls nicht zu entnehmen.

Beschäftigt man sich mit Nick Brauns, dem Autor des Artikels, so fällt schnell auf, dass sein Urteil über Gülen und die von ihm begründeten Bewegung vernichtend ausfällt: Auf der Internetseite des Historikers und wissenschaftlichen Mitarbeiters von Ulla Jelpke ist beispielsweise von Gülen als einem „schattenhaften Puppenspieler“ und „seinem Parallelstaat“ die Rede. Dass vermeintlich Linke die Rhetorik und die Argumente von Recep Tayyip Erdoğan bis in den Wortlaut hinein übernehmen, ist tatsächlich ein selten zu beobachtendes Phänomen. Seine Arbeitgeberin Jelpke steht ihm da in nicht viel nach: In einer Pressemitteilung nimmt sie Stellung zur Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage bezüglich der Gülen-Bewegung. Die Bundesregierung könne sich nicht so einfach aus der Verantwortung ziehen, denn „spätestens wenn die Gülen-Anhänger um politisches Asyl in Deutschland ersuchen, muss sich die Bundesregierung zu der Frage der politischen Verfolgung positionieren.“ Dabei stehe es „der Gülen-Bewegung nicht zu, sich jetzt als verfolgte Unschuld zu präsentieren. Denn jahrelang haben die Gülen-Anhänger im engen Bündnis mit der AKP eben jene undemokratischen und rechtsstaatswidrigen Methoden (…) angewandt, die sie nun am eigenen Leib zu spüren bekommt.“

Zwei interessante Schlussfolgerung muss man aus Jelpkes Pressemitteilung ziehen: Einerseits gibt es bei Jelpke offensichtlich keine individuelle Schuld, sondern eine kollektive. All die Betreiber und Angestellten von Schulen, sozialen Einrichtungen und Krankenhäusern, die mittlerweile seit Jahren verhaftet und in Gefängnisse gesteckt werden, haben es anscheinend schon irgendwie verdient, auch wenn sie mit dem in der Politik durchaus geschehenen Unrecht der Vergangenheit gar nichts zu tun haben mögen. Aber sie sind halt Gülen-Anhänger. Andererseits vermittelt sie den Eindruck, die in der Türkei politisch Verfolgten hätten kein Recht, hier Asyl zu beantragen, schließlich „haben die Gülen-Anhänger im Staatsapparat selbst die rechtsstaatswidrigen Zustände geschaffen, unter denen sie jetzt kein faires Verfahren mehr zu erwarten haben“. So kann man das Menschenrecht auf Asyl also verwirken. Da sind sich Die Linke und AfD auf einmal sehr ähnlich.